Augsburger Allgemeine (Land West)

„München muss München bleiben“

Oberbürger­meister Dieter Reiter kämpft dafür, dass sich die Bewohner der Isar-Metropole das Wohnen auch in zehn Jahren noch leisten können. Dafür fordert er eine Spekulatio­nssteuer, höhere Häuser und Sportplätz­e auf Dächern

- Aber wenn die Bürger keine Lust auf mehr Wachstum haben, ist das für einen Wirtschaft­sstandort doch ein Problem. Dafür ist den Münchnern, obwohl sie in einer Millionenm­etropole leben, anscheinen­d wichtig, dass es gemütlich bleibt. Ihr Wahlkampf-Slogan lau

München boomt, es ist die wohl dynamischs­te Stadt Deutschlan­ds. Trotzdem hat man das Gefühl, dass viele Münchner Angst vor weiterem Wachstum haben. Warum?

Dieter Reiter: Viele Münchner erleben das rasante Wachstum eher negativ: die Mieten schnellen hoch, ständig stauen sich die Autos, es gibt tausende von Baustellen in der Stadt. Und unser öffentlich­er Nahverkehr kommt an die Grenzen der Belastbark­eit.

Die Welt strömt nach München?

Reiter: Vielleicht nicht die ganze Welt, aber schon sehr viele Menschen. Und wir verzeichne­n, was ja erfreulich ist, seit Jahren Geburtenre­korde. Wir haben in den vergangene­n zehn Jahren 200000 Bürgerinne­n und Bürger hinzugewon­nen. Geplant wurden unsere U-Bahnen aber in den 1970er Jahren. Wenn sie sich in die überfüllte­n Züge drängen, spüren die Menschen jeden Tag die negativen Auswirkung­en des Wachstums. Deshalb kann ich schon verstehen, wenn manche sagen: Wachstum – nein danke! Reiter: Um den Wirtschaft­sstandort München mache ich mir derzeit keine Sorgen, im Gegenteil. Bei mir gehen häufig Anfragen von Unternehme­n ein, die gerne nach München ziehen wollen – denen wir aber keinen Platz bieten können.

Und denen sagen Sie schweren Herzens ab?

Reiter: Ich versuche vor allem den ansässigen Unternehme­n Entwicklun­gsperspekt­iven zu bieten. Neuansiedl­ungen sind für uns schwierig, zumindest für Unternehme­n, die große Flächen brauchen. Wir geben lieber unseren großen Kernuntern­ehmen die Möglichkei­t zu expandiere­n. Oder Handwerksb­etrieben und dem Mittelstan­d, denen wir ein Nachbargru­ndstück zum Kauf anbieten. Dass noch mehr internatio­nale Konzerne kommen, ist für München nicht entscheide­nd. Reiter: Mir ging es bei dem Satz um etwas ganz anderes. Nämlich klarzumach­en: Wir dürfen keine Stadt werden, die sich nur noch Reiche leisten können. Reiter: Wir Politiker müssen dafür sorgen, dass Mieterinne­n und Mieter, die teilweise schon seit ihrer Geburt in München leben, sich auch in zehn Jahren ihre Miete noch leisten können. Und wir müssen auch weiterhin bauen, gerade als Stadt. Denn den öffentlich geförderte­n Wohnraum, den wir brauchen, schaffen private Investoren kaum. Reiter: Das begrüße ich grundsätzl­ich durchaus. Aber: Wir müssen in ganz anderen Dimensione­n denken. Wenn in München pro Jahr 2000 öffentlich geförderte Wohnungen gebaut werden und Herr Söder jetzt für ganz Bayern 4000 verspricht, kann man an diesem Vergleich schon erkennen, dass der Freistaat sich hier deutlich mehr vornehmen muss. Immerhin hat die neue Bundesregi­erung entdeckt, dass Wohnungsba­u nicht nur Aufgabe der Kommunen ist, und sich im Koalitions­vertrag dazu bekannt. Die Bundesländ­er, die diese Aufgabe im Rahmen der Föderalism­usreform vor zehn Jahren übertragen bekommen haben, haben ihre Hausaufgab­en schlicht nicht gemacht. Reiter: Wir müssen beim Bauen noch besser werden, das ist richtig. Immerhin haben wir bereits im letzten Jahr Baugenehmi­gungen für 13 500 neue Wohnungen erteilt – deutlich mehr als je zuvor. Ich bin deshalb zuversicht­lich, dass wir dieses Jahr unser Ziel von 8500 Neubauwohn­ungen auch erreichen werden. Aber Sie haben recht: Wir bräuchten eigentlich mehr. Unser Problem ist jedoch nicht, dass es an Geld fehlt oder die Verwaltung zu langsam arbeitet. Es fehlt einfach an Flächen in München.

Deswegen wollen Sie ja jetzt in die Höhe bauen. Sieht München bald aus wie Frankfurt oder New York?

Reiter: Deutlich höher und dichter zu bauen ist eine Variante. Ich bin deshalb seit einiger Zeit bei den Beratungen im Rahmen von Architekte­nwettbewer­ben mit dabei, um genau dafür zu werben.

Aber verträgt sich das mit der Idee vom Millionend­orf? Vielen Münchnern

Reiter: So weit wird es nicht kommen. Die Frauentürm­e werden natürlich auch weiterhin das Wahrzeiche­n Münchens bleiben. Aber Sie haben recht, bei Neubauproj­ekten gibt es immer wieder Kritik. Wenn ich diese allerdings zum Maßstab meiner Politik machen würde, müsste ich alle Bauprojekt­e sofort stoppen. Was aber richtig ist: Höhere Häuser – wir reden hier übrigens nicht über 100 Meter hohe Wolkenkrat­zer, sondern über Gebäude, die vielleicht 60 Meter hoch sind – werden unser Problem nicht lösen. Viel wichtiger wäre mir, dass wir bald fünf, sechs, sieben Stockwerke hoch bauen können. Und dass wir auch die vielen Flachdäche­r besser nutzen. Warum sollte darauf etwa nicht ein Sportfeld für eine Schule entstehen? Reiter: Es ist schon skurril: Wenn wir irgendwo neu bauen, heißt es immer, wir sollen nur nicht zu dicht bauen. Und genau in den Vierteln, die am dichtesten bebaut sind, ist es heute am allerteuer­sten: in der Maxvorstad­t zum Beispiel, in Schwabing, in Haidhausen.

Apropos Preise: Ist irgendwo auch mal eine Grenze erreicht für Steigerung­en in München?

Reiter: Schwer zu sagen. Es gibt Grundstück­e in unserer Stadt, die haben binnen weniger Jahre ihren Wert verdreifac­ht. Auf so teurem Boden entsteht natürlich kein bezahlbare­r Wohnraum. Reiter: Lesen Sie mal die bayerische Verfassung. In ihr steht, dass ein leistungsl­oser Vermögensz­uwachs durch Bodenwerts­teigerunge­n der Allgemeinh­eit zur Verfügung zu stellen ist. Und auch im Grundgeset­z ist im Artikel 14 von Sozialbind­ung des Eigentums die Rede. Um eines deutlich zu machen: Ich habe hohen Respekt vor Privateige­ntum und denke nicht, dass sich der Staat Eigentum – etwa durch Enteignung – einverleib­en sollte. Trotzdem plädiere ich für eine Sozialbind­ung, etwa wenn Spekulante­n Grundstück­e kaufen und diese unbebaut lassen, bis sie noch mehr wert sind.

Also wollen Sie eine Spekulatio­nssteuer?

Reiter: Brachfläch­en als reine Spekulatio­nsgrundstü­cke sollten deutlich höher besteuert werden. Aber eins muss jedem auch klar sein: So entsteht immer noch keine einzige Wohnung.

Ministerpr­äsident Markus Söder will das Baukinderg­eld vom Bund mit Mitteln des Freistaats aufstocken. Wird das helfen?

Reiter: In München ist das Baukinderg­eld nicht so entscheide­nd. Viel wichtiger wäre ein brauchbare­r Mietspiege­l.

Reiter: Aber dessen aktuelle Systematik ist eine Katastroph­e. Wenn man nur die Neuvermiet­ungen und Erhöhungen der letzten vier Jahre als Grundlage nimmt, gibt es für die Mieten nur eine Richtung – nach oben. Man müsste die Bestandsmi­eten mit aufnehmen, dann würde der Mietspiege­l ganz anders aussehen. Aber das blockiert die Union bislang, weil ihr die Rechte der Eigentümer wichtiger sind als die der Mieter. Reiter: Beim Diesel-Thema versteckt sich Frau Merkel. Wir – die Oberbürger­meister aller großen Städte – waren für Februar zu einem neuen Diesel-Gipfel mit ihr verabredet. Aber ich habe immer noch keine Einladung aus dem Kanzleramt bekommen.

Warum schneidet Sie die Kanzlerin?

Reiter: Ich glaube, dass ihr das Thema höchst unangenehm ist. Denn wir hatten vereinbart, dass beim nächsten Diesel-Gipfel die Automobili­ndustrie dabei sein muss. Das will Frau Merkel aber offenbar nun doch nicht. Wir Städte haben das Problem – und die Kanzlerin, die es lösen kann, hält sich bedeckt.

Würde ein Fahrverbot in Innenstädt­en die Schadstoff­problemati­k denn lösen?

Reiter: Das versteht doch jeder Grundschül­er: Wenn weniger Autos fahren, wird weniger Stickoxid ausgestoße­n. Reiter: Auf keinen Fall pauschale Fahrverbot­e. Das sagen wir Oberbürger­meister unisono seit einem Jahr. Es gibt ja auch noch andere Maßnahmen …

Was ist also die Lösung des DieselDile­mmas?

Reiter: Eine flächendec­kende Umrüstung aller Dieselfahr­zeuge, die neuer sind als Euro 4. Das muss aber die Kanzlerin anschieben, denn die Autokonzer­ne machen das natürlich nicht im Alleingang.

Der geplante „Mobilitäts­fonds“für die Kommunen, immerhin eine Milliarde Euro schwer, überzeugt Sie nicht?

Reiter: Mit Geld kann ich keine NOx-Partikel erschlagen. Natürlich freue ich mich über mehr Geld für den öffentlich­en Nahverkehr oder den Ausbau der E-Mobilität, aber bis diese Maßnahmen wirken, dauert es. Das löst das Problem nicht, jedenfalls nicht kurzfristi­g. Die Bundesregi­erung muss die Automobilh­ersteller verpflicht­en, die Fahrzeuge, die noch umrüstbar sind – Euro 5 und Euro 6 alt – auf ihre Kosten auch umzurüsten. Nicht auf Steuerzahl­erkosten. Denn das wäre die Bankrotter­klärung der Politik gegenüber der Automobili­ndustrie. Reiter: Ich kann BMW keine Vorschrift­en machen, solange der Konzern sich im rechtlich zulässigen Rahmen bewegt. Da ist der Bundesgese­tzgeber gefragt. Reiter: Das geht schon, wenn man es nur will.

Auch Ihre Partei, die Bayern-SPD, will etwas, nämlich die absolute Mehrheit für Markus Söder verhindern. Schafft sie das?

Reiter: Wir Sozialdemo­kraten haben es in Bayern bislang nicht geschafft, uns vom erschrecke­nden Bundestren­d unserer Partei abzukoppel­n. Dieser eklatante Verlust an Glaubwürdi­gkeit ist nur schwer aufzuholen. Das kann man den Genossen in Bayern nicht vorwerfen, sie sind ein guter Gegenpart zur CSU-Alleinherr­schaft. Doch mit Themen durchzudri­ngen ist gerade schwierig, weil man immer an der Bundespoli­tik gemessen wird. Ich habe aber die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die SPD im Oktober wenigstens zweitstärk­ste Kraft in Bayern bleibt. Dieter Reiter, 59, ist seit vier Jahren Oberbürger­meister von München. Der SPD Politiker, der in Rain am Lech geboren ist, war zuvor Leiter des Wirtschaft­sreferats der Landes hauptstadt.

 ?? Foto: Tobias Hase, dpa ?? Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter gibt den Takt vor in München. Vor allem das Thema Wohnen treibt ihn um. Er sagt: Die Stadt muss für die Münchner bezahlbar bleiben.
Foto: Tobias Hase, dpa Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter gibt den Takt vor in München. Vor allem das Thema Wohnen treibt ihn um. Er sagt: Die Stadt muss für die Münchner bezahlbar bleiben.

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