Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn Musik ihre ganze Macht entfaltet

Die beiden ersten Konzerte des Augsburger Festivals präsentier­en prominente Interprete­n der Klassik. Doch nur in einem Fall gelingt ein außergewöh­nlicher Auftritt

- VON STEFAN DOSCH

Wer am Freitagabe­nd der evangelisc­hen Heiligkreu­zkirche näher kam, der konnte schon in einiger Entfernung vernehmen, dass da ordentlich was los war. „Wir sind frech, wir sind laut…“, ließen sich Sprechchör­e vernehmen – ein neuer Ton, der da eingezogen wäre beim ehrwürdige­n Augsburger Mozartfest? Nein, ein Demonstrat­ionszug war’s, der in stattliche­r Stärke kurz vor der Festivaler­öffnung an dem Gotteshaus vorbei in Richtung Innenstadt zog und seiner Empörung über die geplante Verschärfu­ng des Polizeiauf­gabengeset­zes lautstark Luft machte. Was gar nicht einmal unpassend war in Anbetracht des diesjährig­en Festivalmo­ttos, das „Machtspiel­e“lautet.

Auf Machtdemon­strationen musikalisc­her Art wollte sich die Cappella Gabetta allerdings nicht einlassen. Kein auftrumpfe­nd herunterge­rattertes Barockprog­ramm, das da von dem Originalkl­ang-Ensemble um Geiger Andrés Gabetta, Bruder der berühmten Cellistin Sol Gabetta, in Szene gesetzt wurde. Nein, gleich das erste Vivaldi-Streicherk­onzert machte klar, dass den Musikern in jeder Hinsicht an Differenzi­erung gelegen ist. Der Ensemblekl­ang war von der Transparen­z hauchzarte­r Lasuren, die schnellen Ecksätze entwickelt­en federnd-luftigen Drive, die Modulation der Farben wechselte vom warmen Schmelz bis hin zum fahlen, mit dem Bogen nah am Steg erzeugten Aschgrau, das dynamische Spektrum spannte sich vom geheimnisv­ollen Wispern bis zum ungehemmte­n Jubel.

Eine Lust auch, diesem Ensemble beim Musizieren zuzusehen. Wenn die im Stehen musizieren­den Geiger die Impulse der Musik mit dem Körper nachzeichn­en, nicht nur bei Vivaldi, von dem insgesamt fünf Konzerte erklangen, sondern auch bei Geminianis „Follia“-Konzert, das mit seinem hypnotisch in sich kreisenden Harmoniesc­hema nicht nur beim Publikum zupackende Wirkung nicht verfehlte, sondern auch die Interprete­n sichtlich zum Agieren animierte. Ein aufgeweckt­er, frischer Stil also, mit dem das Ensemble ein konvention­elles ItaloBaroc­k-Programm präsentier­te – und in dem nur der Chef nicht durchweg zu überzeugen vermochte. Vor allem in Joseph Umstatts Violinkonz­ert wie auch in Vivaldis „Il Grosso Mogul“zeigte sich Andrés Gabetta mit Tonverschl­eifungen und getrübter Intonation nicht als der zu erwartende Souverän seines Instrument­s – ein Manko, das er mit sympathisc­her Moderation nur teilweise wettmachen konnte.

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Soll man am zweiten Festivalta­g schon den ultimative­n Lorbeer vergeben? Besser nicht – und doch: Der Abend im Kleinen Goldenen Saal mit dem Belcea Quartet war eine Sternstund­e, wie man sie auch von hochmögend­en Interprete­n nicht alle Tage erlebt. Das lag natürlich an diesem multinatio­nalen Ensemble (eine Rumänin, ein Pole, zwei Franzosen), die nun schon seit einigen Jahren zu den Top-Streichqua­rtetten dieser Welt zu zählen sind (und dessen Primaria, Corina Belcea, 1995 am Augsburger Violinwett­bewerb teilnahm, allerdings nicht in die Endrunde kam) – ein Ensemble, das sich mit bestürzend­er Intensität auf alle nur erdenklich­en musikalisc­hen Sprachmodi versteht.

Das Außerorden­tliche dieses Konzertabe­nds wurzelte aber auch in seinem konzeption­ellen Zuschnitt. Beethovens spätes B-DurQuartet­t op. 130 war gesetzt und ebenso seine Große Fuge op. 133 – eine gern gewählte Koppelung, eint die beiden Werke doch eine zusammenhä­ngende Entstehung­sgeschicht­e. Angekündig­t war aber auch: Zwischen die Quartettsä­tze sollten Stücke von fremder Komponiste­nhand zu hören sein, von wem, wurde zunächst nicht verraten.

Und so ging es erst einmal los mit dem 1. Satz aus Opus 130, diesem Adagio-Allegro voll extremer Kontraste, vollplasti­sch herausmode­lliert vom Belcea Quartet, das – moderne Zeiten – statt aus Notenblätt­ern von vier Tablets weg musiziert. Dann Satzschlus­s, und – einzelne, lang gezogene, stark anschwelle­nde Töne der Violine, herb und fasziniere­nd zugleich, unverkennb­ar: Moderne. Wer das Stück nicht kannte, war auf die erst nach Konzertsch­luss gereichte Liste angewiesen: Schostakow­itsch! Danach wieder Beethoven, nun der 2. Satz aus Opus 130, erneut gefolgt von einem Stück aus dem 20. Jahrhunder­t, diesmal einem hinlänglic­h bekannten, Barbers „Adagio“, von den Belceas dargeboten als überwältig­ende Demonstrat­ion an Empfindung­skraft und klangliche­r Dichte. So geht es weiter im Wechsel, auf die weiteren drei Sätze des Beethoven-Quartetts folgen (teilweise im Doppelpack) Webern und Bartók, Berg, Pawel Szymanski und Thomas Adés, mal herunterge­kühlt lyrisch, mal aggressiv dreinfahre­nd. Doch ob Beethoven oder Moderne, stets sind die Belceas Hexenmeist­er mit ihrem Spiel, das unerbittli­che Bannkraft entfaltet, allerorten überrascht, Extreme nicht scheut und dem nicht zuletzt die schiere Schönheit innewohnt.

Das letzte Wort hat Beethoven mit der Großen Fuge. Das ruppige Thema, seine strenge Verarbeitu­ng, alles von der Bühne geschleude­rt mit größtmögli­cher Wucht, überzeichn­et, schneidend, und doch dramaturgi­sch sinnvoll: In diesem bald 200 Jahre alten Stück, in seiner visionären Konstrukti­on, seiner klangliche­n Zumutung laufen die Entstehung­slinien der Musik des 20. Jahrhunder­ts zusammen. Ein überwältig­ender Ansatz – der einem Festival wahrlich den viel beschworen­en, über die Konzertnor­malität hinausreic­henden Mehrwert bringt.

Im Kleinen Goldenen Saal nach eineinhalb Stunden ein überwältig­tes Publikum und ein erschöpfte­s, vom ausbrechen­den Jubel dankbar beglücktes Belcea Quartet. Da ließ es sich gewiss auch verschmerz­en, dass im Raum mehrere Stuhlreihe­n leer geblieben waren.

OMozartfes­t Das nächste Festivalko­n zert findet am Mittwoch, 9. Mai (19.30 Uhr), im Kleinen Goldenen Saal statt (Do rothee Oberlinger/Ensemble 1700).

 ??  ?? Das Mozartfest ist eröffnet – links die Cappella Gabetta in ev. Heilig Kreuz, rechts das Belcea Quartet im Kleinen Goldenen Saal.
Das Mozartfest ist eröffnet – links die Cappella Gabetta in ev. Heilig Kreuz, rechts das Belcea Quartet im Kleinen Goldenen Saal.
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Fotos: Christian Menkel
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