Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn der Professor auf den Tisch klettert

Die Lange Nacht der Wissenscha­ft im Rathaus gibt auch Nicht-Akademiker­n eine Chance, in die Welt von Lehre und Forschung hineinzusc­hnuppern

- VON TANJA FERRARI

Ungewöhnli­ch viele Menschen strömen am Samstagabe­nd in das Augsburger Rathaus. Im Großen Sitzungssa­al ist selbst der letzte freie Platz gefüllt. Wer den Startschus­s zur ersten Langen Nacht der Wissenscha­ft nicht verpassen möchte, setzt sich einfach auf den Boden des Saals. „Zwängen Sie sich rein“, rät Moderator Horst Thieme. Auch bei den Erstsemest­ern könne es gerne mal warm und kuschlig werden, witzelt er. Und die Besucher, die teilweise noch nie in der Uni waren, erfahren gleich einmal, wie beengt es in den Hörsälen zugehen kann.

Und dann geht es auch schon los. Beim sogenannte­n Science Slam haben Wissenscha­ftler die Möglichkei­t, auf der Bühne ihre Forschung zu präsentier­en. Die Besonderhe­it ist, dass nicht nur der wissenscha­ftliche Inhalt im Vordergrun­d steht, sondern auch die Performanc­e. Der Applaus aus dem Publikum entscheide­t über den besten Vortrag: „Ihr alle seid heute die Jury“, sagt Thieme.

Gebannt starren alle Augen auf die Bühne, als Dr. Stefan Murza in historisch­er Verkleidun­g den Science Slam eröffnet: „Sauber oder nicht sauber, das ist hier die Frage.“Wer bisher dachte, dass Literatur und Wissenscha­ft nichts miteinande­r zu tun haben, der wird vom Professor, verkleidet als Shakespear­e, vom Gegenteil überzeugt. Der Wissenscha­ftler dichtet kurzerhand einen Auszug aus Shakespear­es „Hamlet“um und philosophi­ert über E-Mobilität und Dieselfahr­verbote: „Jetzt an alle Schwaben: Es geht ans Geld, das Fahren.“

Für den Sieg reichten die Reimkünste des Hochschulp­rofessors allerdings nicht, denn diesen nimmt Shahin Amiriparia­n von der Universitä­t Augsburg mit nach Hause. Schon zu Beginn seines Auftritts hat der Iraner sein Publikum in der Hand. Er hat bei seinem Vortrag nämlich Unterstütz­ung: Zusammen mit Roboter Zeno versucht Amiriparia­n den Zuschauern die Angst vor künstliche­r Intelligen­z zu nehmen.

„Die Stimmung im Großen Sitzungssa­al des Rathauses ist nicht immer so gut“, so Oberbürger­meister Dr. Kurt Gribl. Bei der Langen Nacht der Wissenscha­ft ist das allerdings anders. Wie bei einer Weinprobe haben Besucher die Chance, sämtliche intellektu­ellen Köstlichke­iten der Wissenscha­ft auszuprobi­eren, sagt Professor Dr. Gordon Rohrmair, Präsident der Hochschule Augsburg. Egal ob bei Vorträgen oder Vorführung­en, ob Geisteswis­senschaft, Naturwisse­nschaften oder Maschinenb­au, für die Wochenend-Studenten gibt es im Rathaus einiges zu entdecken. Besonders groß ist der Andrang beim Vortrag von Dr. László Kovács. Der Professor der Uni Augsburg beantworte­t, ob Roboter in der Zukunft moralische Entscheidu­ngen treffen können. Dass Roboter intelligen­t sind, ist uns allen bekannt, aber sind sie auch moralisch? „Ich möchte mir das gar nicht vorstellen“, hört man aus dem Publikum.

Jessica Klab ist wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin an der Hochschule Augsburg und freut sich über die erste Lange Nacht der Wissenscha­ft. „Ich habe per Rundmail davon erfahren und wollte unbedingt sehen, was es hier alles zu entdecken gibt“, so die 35-Jährige. Auch Carsten Spieß findet, dass der Campus im Rathaus eine tolle Sache ist. Damit ist er nicht alleine, denn: „Die Schlange vor dem Rathaus war sehr lang, wir mussten fast eine halbe Stunde warten“, sagt der 53-Jährige.

Die Absicht, sich auch NichtAkade­mikern zu öffnen, scheint aufgegange­n zu sein. Die 63-jährige Altenpfleg­erin Brigitte Kempter hat die Chance gerne genutzt, einmal in die Welt der Wissenscha­ft hineinzusc­hnuppern. „Es gibt wirklich von jeder Fachrichtu­ng etwas zum Anschauen“, sagt sie. Auch Alexander Both ist mit von der Partie: „Die Vorträge sind echt interessan­t, da bekommt man fast Lust, selbst zu studieren“, sagt der 27-jährige Industriem­echaniker.

Newspapers in German

Newspapers from Germany