Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie sicher fühlen Sie sich in unserer Stadt?
Augsburg gilt als zweitsicherste Großstadt in Deutschland. Dennoch gibt es Menschen, die sich unwohl fühlen, wenn sie draußen unterwegs sind. Woran das liegen kann – und was die Zahlen über die Lage sagen
Er taucht immer wieder in der Stadt auf, seit Monaten schon. Meistens in Linienbussen oder Bahnen. Er hat immer einen Tablet-Computer dabei. Und er entblößt sich. Bisher ist es der Polizei nicht gelungen, den Exhibitionisten zu schnappen. Zuletzt hat er Mitte April eine Frau in der Innenstadt angesprochen. Eskaliert ist bislang keine der Taten, keine Frau wurde Opfer eines körperlichen Übergriffs. Dennoch fahndet die Kripo intensiv nach dem dunkelhäutigen Mann. Fälle wie dieser jagen nicht nur den Betroffenen einen Schrecken ein. Sie sind geeignet, das allgemeine Sicherheitsgefühl der Menschen zu belasten.
Im Internet schrieb eine jüngere Frau unter einen Bericht über den sogenannten Tablet-Exhibitionisten: „Es wird ja immer schlimmer, wann hört das auf?“Wird es wirklich immer schlimmer? Die Zahlen sagen etwas anderes. Beispiel Exhibitionismus: Im Jahr 2017 wurden bei der Polizei in Augsburg 37 entsprechende Fälle angezeigt. Im Jahr zuvor waren es exakt gleich viele. Blickt man etwa länger zurück, ins Jahr 2008, so zeigt sich: Damals wurden 53 Fälle gezählt, in denen sich ein Täter entblößt hatte. Ähnlich ist die Lage auch bei schweren Sexualstraftaten im öffentlichen Raum. Im Jahr 2017 wurden in der Stadt drei überfallartige Vergewaltigungen gezählt. Im Jahr 2008 waren es fünf entsprechende Taten.
Polizeipräsident Michael Schwald hat dennoch den Eindruck, dass das Sicherheitsgefühl der Menschen in den vergangenen Jahren gelitten hat – obwohl die objektiven Zahlen gut sind und Augsburg als zweitsicherste Großstadt in Deutschland gilt. Experten wie Thomas Bliesener vom kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen gehen davon aus, dass sich die Zahl der Straftaten nur wenig auf das Gefühl der Menschen auswirkt. Entscheidend sind andere Punkte: etwa eine gravierende Straftat in unmittelbarer Nähe oder wenn Medien verstärkt über ein bestimmtes Thema berichten. Wobei die Rolle der sozialen Medien im Internet wichtiger wird. Jeder kann jede Polizeimeldung lesen, die irgendwo in Deutschland veröffentlicht wird. Das war früher, als es das Internet noch nicht gab, nicht so.
Klaus Kratzer ist Hauptkommissar bei der Augsburger Kripo. Er hält regelmäßig Kurse zum Thema Zivilcourage ab. Auch er hat den Eindruck, dass das Sicherheitsgefühl der Menschen gelitten hat. In
Kursen betont er, dass es in Augsburg keine sogenannten Nogo-Areas gibt – also keine Orte, die man besser nicht betreten sollte, weil es dort zu gefährlich ist. Auch Frauen rät er dazu, sich nicht in ihrer Freiheit einschränken zu lassen. „Wir bestreiten nicht, dass etwas passieren kann“, sagt Klaus Kratzer. „Es gibt aber keinen Grund, Angst zu haben.“In den Kursen lernen die Teilnehmer, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie Zeuge einer Straftat werden. Es wird aber auch angesprochen, was man tun kann, wenn man selbst Opfer wird. man sich wehren kann erklärt auch die Trainerin Gabi Schwab ihren Schützlingen. Sie leitet Selbstverteidigungskurse in Augsburg. Die Nachfrage sei gestiegen, erzählt sie, speziell bei Frauen. Auch die Silvester-Übergriffe von Köln hätten das angestoßen. Die Kurse sollen dazu beitragen, dass sich die Teilnehmer hinterher wieder besser fühlen, wenn sie unterwegs sind.
Tatsächlich scheint die Angst der Menschen allgemein, trotz aller Verunsicherung, auch nicht so dramatisch zu sein. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsseinen
instituts Civey zusammen mit unserer Redaktion ergab, dass sich die Bayern überwiegend – zu etwa 78 Prozent – sicher fühlen. Nur etwa 14 Prozent sagen, dass sie sich unsicher fühlen. Auch die generelle Terrorgefahr – vor Augen geführt durch Absperrungen und Sicherheitspersonal bei größeren Festen – scheint sich zumindest nicht in konkreten Ängsten niederzuschlagen.
Interessant ist: Nach Klaus Kratzers Erfahrung haben ältere Menschen mehr Angst vor einem Übergriff als jüngere. Faktisch ist das Risiko aber genau anders herum. JünWie gere Menschen sind deutlich öfter von Übegriffen und Gewalt im öffentlichen Raum betroffen. In der Regel spielen sich Schlägereien unter in etwa Gleichaltrigen ab. Der Blick auf das Alter der Tatverdächtigen zeigt: Bei gefährlichen Körperverletzungen sind rund ein Drittel (32 Prozent) der Tatverdächtigen jünger als 21 Jahre. In der Bevölkerung der Stadt macht diese Altersgruppe aber nur 19 Prozent aus.
Viele Straftaten, die sich stark auf das Sicherheitsgefühl der Menschen auswirken, fasst die Polizei unter dem Stichwort Straßenkriminalität zusammen – darunter fallen unter anderem Straßenraub, überfallartige Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung im öffentlichen Raum und Exhibitionismus, aber auch Taschendiebstahl oder Graffiti. Schaut man sich die vergangenen Jahre an, so erkennt man bei der Straßenkriminalität
Wer weniger gefährdet ist, hat am meisten Angst
keinen eindeutigen Trend – sie schwankt mal in die eine und in die andere Richtung. So gab es 2017
4001 Fälle, 2015 waren es nur 3797 Taten, im Jahr 2008 dafür immerhin
4290. Schaut man noch mal genauer hin, so haben die Fälle von gefährlicher Körperverletzung auf öffentlichen Straßen und Plätzen zuletzt zugenommen. Innerhalb von drei Jahren um 25 Prozent. Zuletzt waren es 346 solche Gewalttaten im Jahr 2017. Der Blick auf längere Zeiträume relativiert aber auch diese Entwicklung wieder deutlich. Im Jahr 2008 war die Zahl der schweren Gewalttaten in der Öffentlichkeit mit 320 Fällen ähnlich hoch.
Furchteinflößend sind für manche Menschen auch gar nicht die konkreten Straftaten, sondern eher bestimmte Gruppen, die sich treffen und dabei teils laut oder aggressiv auftreten. Etwa die Punkerszene. Der frühere Polizeipräsident Klaus Waltrich kommentierte das oft so: „Nicht alles, was nicht schön aussieht, ist auch verboten.“Die Stadt hat das Thema aber angepackt und will die Aufenthaltsqualität auf den Innenstadt-Plätzen verbessern – etwa mit neuem Mobiliar, freundlichen Appellen und mehr Präsenz des Ordnungsdienstes. Und am Königsplatz, wo es in den vergangenen Jahren einen Anstieg der Straftaten gab, der teils auch durch junge Flüchtlinge ausgelöst wurde, will die Polizei noch in diesem Jahr eine großflächige Videoüberwachung installieren.»Kommentar und Seite 36