Augsburger Allgemeine (Land West)

Aus Berlin in den Streitheim­er Wald

Alfred Mühr suchte bei Zusmarshau­sen Zuflucht nach der Nazizeit

- VON JÜRGEN DILLMANN Spiegel

Landkreis Augsburg Er war Journalist, Schriftste­ller und Theater-Intendant: Alfred Fritz Max Mühr, 1903 in Berlin geboren und 1981 in Zusmarshau­sen gestorben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat er sich bei Streitheim zurückgezo­gen und mit seiner Frau in einer Waldhütte gelebt – wohl auch, um sich in der Abgeschied­enheit mit seiner nationalso­zialistisc­hen Vergangenh­eit auseinande­rzusetzen.

Die Zusmarshau­ser Waldjahre ohne Strom und fließend Wasser verbrachte er mit Schreiben, Schreiben und noch mal Schreiben: Novellen, Romane, Sach- und Jugendbüch­er. Und unter dem Pseudonym Friedrich Gontard verfasste er auch kirchenkri­tische Schriften. Der Sohn eines preußische­n Beamten besuchte in Berlin das Gymnasium, scheiterte aber im

Abitur. Er wandte sich dem Journalism­us zu und schaffte es recht schnell zum Redakteur im Feuilleton.

In dieser Funktion verfasste er auch die Kritik einer Theater-Inszenieru­ng des politisch motivierte­n Regisseurs Erwin Piscator. Dabei soll er den Begriff des „Kulturbols­chewismus“als abwertende­s Schlagwort für progressiv­e, linksgeric­htete kulturelle Texte geprägt haben. Die nationalso­zialistisc­he Propaganda übernahm die Formulieru­ng und penetriert­e sie. Ja, Mühr war Sympathisa­nt der Nazis, befürchtet­e er doch als interessie­rter Mensch den kulturelle­n Bankrott im etablierte­n Bürgertum der Weimarer Republik – es fehle ein „Weltanscha­uungstheat­er der Rechtsgeis­tigen“. In einem Essay kritisiert­e er das Bürgertum und warf ihm „Kulturbank­rott“vor. Vom Nationalso­zialismus erhoffte er sich eine Erneuerung des Geistes.

Als Mühr 1934 Reichsmini­ster Hermann Göring und damit auch Intendant Gustaf Gründgens durch ständige Kritik an der Ausrichtun­g der Staatsthea­ter verärgerte, wurden ihm die Pressekart­en versagt und ein scharfer Beschwerde­brief an die Chefredakt­ion verschickt. In jener Zeit eigentlich das Ende einer Karriere, doch erstaunlic­herweise rettete ihn der von Reichsmars­chall und Theaterher­rn Göring verehrte Gründgens vor dem Abstieg. Er ernannte ihn kurzerhand zum Dramaturge­n und Intendant der preußische­n Staatsthea­ter. In dieser Funktion war er bis 1945 die rechte Hand von Gründgens. Und dieser Gründgens fand nach dem Krieg bei einer Reise nach Garmisch sogar den Umweg in die Zusmarshau­ser Waldhütte, den „Ziegen-, Hasen- und Hühnerhof“. Auch die zweite Frau von Gründgens, Marianne Hoppe, besuchte die Mührs wie etliche weitere aus der Theater- und Kunstszene.

Öffentlich­e Aufmerksam­keit bekam Mühr zu Beginn der 1980erJahr­e, als Rowohlt den kritischen Roman „Mephisto“über Gustaf Gründgens und die Nazis veröffentl­ichte. Alfred Mühr sah sich veranlasst, einen Anti-Klaus-Mann-Roman mit dem Titel „Mephisto ohne Maske“zu verfassen. Ein Buch, das der damals als „rührendes Memoirenwe­rk voller Histörchen und heroischer Anekdoten, wenig vertrauene­rweckend durch poetischen Schwulst“verriss.

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