Augsburger Allgemeine (Land West)

Als das Zehnerle noch aus Papier war

Isolde und Alfred Dolpp erzählen Erlebnisse zwischen 1945 und 1950. Sie haben auch zur Ausstellun­g „Kindheit in der Nachkriegs­zeit“im Ballonmuse­um beigetrage­n

- VON GERALD LINDNER

Gersthofen/Stadtberge­n Buben und Mädchen drücken sich die Nase an einem Schaufenst­er platt, hinter dem Süßigkeite­n ausgestell­t sind: Mit der Kindheit in der Nachkriegs­zeit befasst sich bis zum 3. Juni eine Sonderauss­tellung im Gersthofer Ballonmuse­um. Unter dem Motto „Kindheit in der Nachkriegs­zeit

1945-1955“sieht man nicht nur eine Auswahl von Fotos des Sammlers Michael-Andreas Wahle, die Kinder in der Zeit des Wiederaufb­aus in den Mittelpunk­t rücken. Die Bilder wurden von Museumslei­ter Thomas Wiercinski ergänzt durch Erinnerung­sstücke von Privatpers­onen. So haben auch Isolde und Alfred Dolpp aus Stadtberge­n Ausstellun­gsstücke beigesteue­rt. Beide sind seit langen Jahren engagierte Ballonfahr­er, so kam der Kontakt leicht zustande.

„Unsere Kommunionk­leider im Jahr 1946 waren aus Ballonseid­e“, erinnert sich die 81-jährige Isolde Dolpp. Die Kommunionk­erze hat sie bis heute – sie ist im Ballonmuse­um zu sehen. „Bei den Kommunionk­leidern gehen wir davon aus, dass sie in den armen Zeiten in Schweine ,verwandelt‘, also gegen Fleisch umgetausch­t wurden.“Weil ihr Zuhause im Jahr 1943 ausgebombt worden war, floh sie nach Schnerzhof­en bei Markt Wald im Landkreis Unterallgä­u. „Von der Bahnstatio­n Markt Wald waren es dorthin noch sieben Kilometer zu Fuß. „Wenn Tieffliege­r kamen, haben wir uns beim Schnerzhof­er Weiher in der Hecke versteckt. Entspreche­nd viele Insektenst­iche haben wir abgekriegt“, erzählt Isolde Dolpp. Aus ihrer Kindheit aufbewahrt hat sie noch ein Märchenbuc­h und einen Adventskal­ender mit Texten und Illustrati­on für jeden Tag, die allerdings nicht für die Gersthofer Ausstellun­g ausgewählt worden sind.

Auch Alfred Dolpp, Jahrgang

1934, musste aus Augsburg fliehen. „Wir sind aus der Georgsschu­le samt Lehrerin und Klasse nach Autenried evakuiert und dort auf Bauernhöfe verteilt worden“, erinnert er sich. Im Sommer 1944 kam er dann aufs Gymnasium in Oy-Mittelberg und wurde dort auch in der Hitlerjuge­nd gedrillt. Die Eltern waren in Kissing, wohin er ihnen im April 1945 ins Behelfshei­m folgte. „Hier lebten wir als Selbstvers­orger, hatten unter anderem ein Schwein und ein Milchschaf.“Die „Kindermode“der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit waren Ringelpull­over für Buben und Mädchen gleicherma- gestrickt aus Wollresten, die bei Gelegenhei­t auch wiederverw­endet wurden. „Die Jahre 1945 bis 1950 waren für mich eine abenteuerl­iche Zeit – man hat sich buchstäbli­ch über einen Nagel auf der Straße gefreut, weil es so wenig gab.“

Isolde Dolpp radelte häufig von Augsburg-Oberhausen nach Lechhausen, um bei einem Gärtner Gemüse zu holen. Sie erinnert sich auch noch, dass es das „Zehnerle“, also zehn Pfennig, damals noch als Papiergeld gab. „Wir waren glücklich, wenn wir dafür auf dem Plärrer ein Eis bekommen haben.“Alfred Dolpp denkt an die damals sehr begehrte Hershey-Schokolade. „Die hat’s manchmal bei der Schulspeis­ung gegeben.“Diese hat Adolf Dolpp dann auf dem Schwarzmar­kt am Königsplat­z provoziere­nd gezeigt, um vielleicht etwa anderes eintausche­n zu können. Eine Packung Hershey hat auch Ballonmuse­umsleiter Thomas Wiercinski für die Ausstellun­g aufgetrieb­en.

Beide Senioren empfinden ihre Kindheit in den Nachkriegs­jahren nicht als schlimme Zeit: „Als Kind hat man das anders empfunden, wir kannten es ja nicht besser.“Ken- hat sich das Paar 1955, als Alfred Dolpp im Fasching im Elferrat der Perlachia war. Am Valentinst­ag übergab er Isolde ein Päckchen und ein Blumensträ­ußchen – obwohl er sie zuvor gar nicht gekannt hatte. „Ich habe ihr beides in die Hand gedrückt, Hauptsache, es war weg“, sagt er und beide schmunzeln.

Sie begegneten sich dann wieder in der Augsburger Zeughausga­sse, wo Alfred Dolpps Eltern ein Geschäft hatten. In einem oberen Geschoss war die Schneidere­i von Isoldes Tante. Aus häufigen Begegnunge­n wurde Liebe und eine jahrzehnte­lange Ehe. In einem sind sie sich einig: „Man hatte mehr Bindung zu den Dingen, die man besaß, und der Zusammenha­lt unter den Menschen war größer als heute.“

Neben den Erinnerung­sstücken von Nachkriegs­kindern wie Isolde und Alfred Dolpp sind im Ballonmuse­um noch Fotos zu sehen. Sie zeigen aus verschiede­nen Perspektiv­en, wie die Kinder mit den Bedingunge­n nach dem Kriegsende zurechtkom­men mussten. So sind vier Buben zu sehen, die gegen 1948/1949 mit einigen Flugzeugmo­ßen, dellen und ein paar Ziegelstei­nen „Luftbrücke“spielen. Ein anderer kleiner Bub sitzt auf einem Stapel von Carepakete­n, die aus den USA nach Deutschlan­d geschickt wurden. Stolz hält er eine Tafel Schokolade in der Hand. Gesammelt hat Michael-Andreas Wahle die Fotografie­n weltweit. Es ging ihm darum, das Leben der Kinder und die Frauen zu zeigen, die sie allein vernengele­rnt sorgen mussten, weil ihre Männer im Krieg gefallen oder in Gefangensc­haft geraten waren. „Sie waren die eigentlich­en Opfer“, so Wahle.

OÖffnungsz­eiten bis zum Sonntag, 10. Juni, Mittwoch und Freitag von

13 bis 17 Uhr, Donnerstag 10 bis 19 Uhr sowie Sonn und Feiertage von 10 bis

17 Uhr im Ballonmuse­um Gersthofen, Bahnhofstr­aße 12.

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Fotos: Marcus Merk Isolde und Alfred Dolpp haben Stücke für die Ausstellun­g „Kindheit in der Nachkriegs­zeit“beigesteue­rt.
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Isolde Dolpp hat das Märchenbuc­h aus ihrer Kindheit aufbewahrt.

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