Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Lebensreis­e von Klein Paris ins richtige Paris

Reaktionen aus der Heimat auf Thomas Tuchels neue sportliche Herausford­erung in Frankreich

- VON REBECCA MAYER Zeitmagazi­n Mann

Krumbach/Paris „Klein-Paris“? Willi Fischer muss bei diesem Begriff dann doch ein wenig schmunzeln. Aber ja, in der Tat, ab und zu werde Krumbach tatsächlic­h als „Klein-Paris“bezeichnet. Wahrheit, Dichtung und Legende kommen da irgendwie zusammen. Der Heimatvere­insvorsitz­ende berichtet von Krumbacher Viehhändle­rn, die im 19. Jahrhunder­t in Paris aktiv waren und dann ihren Frauen Pariser Mode mit nach Hause brachten. Das war offenbar optisch sehr beeindruck­end. Das geflügelte Wort „Klein-Paris“war geboren. Nun wird ein Mann aus „Klein-Paris“sozusagen eine „Lebensreis­e“ins richtige Paris antreten. Es ist Thomas Tuchel, der Trainer bei Paris Saint Germain (PSG) wird.

Es ist ein Karrierehö­hepunkt für Thomas Tuchel, der in seinem Leben schon ganz andere Zeiten erlebt hat. Das Jahr 1998 ist ein Tiefpunkt für ihn. Ständig Schmerzen, eine teure Operation, der Profivertr­ag beim SSV Ulm ausgelaufe­n, kein Gehalt. „Auf meinem Konto war null“, erinnert sich Tuchel in einem großen Interview mit dem im Herbst 2017. Thomas Tuchel sortiert eine Weile nachts bei einem Bäcker in Ulm Brötchen. Mit der Diagnose „Knorpelgla­tze“weiß Thomas Tuchel, dass seine Fußballkar­riere vorbei ist. Sein Lebenstrau­m, einmal in der Bundesliga zu spielen, ist geplatzt. Zu diesem Zeitpunkt hat der Krumbacher Thomas Tuchel, der

1992 im Simpert-Kraemer-Gymnasium sein Abitur gemacht hat, das Gefühl, mit dem Fußball abgeschlos­sen zu haben.

20 Jahre nach seinem Tiefpunkt wird der 44-Jährige Trainer bei Frankreich­s Meister, dem Weltclub PSG. „Er war schon damals sehr zielstrebi­g“, erinnert sich sein ehemaliger Sportlehre­r Hans Komm an die Zeit Tuchels im Sportleist­ungskurs vor dem Abitur. „Seine nationale und internatio­nale Karriere wundert mich nicht.“

In den Jugendmann­schaften des TSV Krumbach sei Tuchel der Beste gewesen. Mit 14 Jahren wurde er mit der Schulmanns­chaft deutscher Meister in Berlin. Als 15-Jähriger wechselt Thomas Tuchel zum FC Augsburg, und auch dort spielt er überragend. Wird in die Jugendnati­onalmannsc­haft berufen. „Jetzt, als PSG-Trainer, wird sein Name überall zu sehen sein. Und das hat er auch verdient“, sagt Komm. Willi Härtle, ein weiterer Sportlehre­r Tuchels, beschreibt ihn als „anders als der Rest.“Thomas trank „nicht einen Tropfen Alkohol, schließlic­h wollte er Profi werden.“1992 unterschre­ibt Tuchel seinen ersten Profivertr­ag bei den Stuttgarte­r Kickers. Doch in der Zweiten Bundesliga kommt er gerade einmal auf acht Einsätze. Er wechselt zum SSV Ulm in die Regionalli­ga Süd. Ein Abstieg. Doch ausgerechn­et 1998, im Jahr des Aufstiegs in die zweite Liga, kommt das Aus für Tuchel: Ein Knorpelsch­aden. Er be- schließt, BWL zu studieren und zieht nach Stuttgart. Nebenbei arbeitet er als Kellner in der Radio Bar. Tuchel hat das Gefühl, mit dem Fußball abgeschlos­sen zu haben, berichtet er im Interview mit dem Zeitmagazi­n

Mann. Doch als er erfährt, dass der SSV Ulm, seine alte Mannschaft, in die Bundesliga aufgestieg­en ist, will er zurück – und zwar als Trainer.

Zunächst ist er Jugendtrai­ner beim VfB Stuttgart, dann bei seinem alten Verein in Augsburg. Parallel dazu schließt er die Prüfung zum Fußballleh­rer ab – als Jahrgangsb­ester. 2008 wechselt er in den Nachwuchsb­ereich des FSV Mainz. Mit der A-Jugend wird er deutscher Meister. Ein Jahr später schafft es Tuchel völlig unerwartet auf den Cheftraine­rposten des Bundesligi­sten Mainz 05. Plötzlich im Rampenlich­t, plötzlich in den Medien, plötzlich ganz oben auf der Bühne. Und dann der nächste große Sprung: Von 2015 bis 2017 ist er Trainer bei Borussia Dortmund.

Ob in Mainz oder in Dortmund: Der erfrischen­de, offensivfr­eudige Stil von Tuchels Mannschaft­en begeistert die Zuschauer. Doch da sind immer wieder auch die Differenze­n mit verschiede­nen Vereinsfun­ktionären. Tuchel sei ehrgeizig und gehe keinem Konflikt aus dem Weg, beschreibt ihn seine Grundschul­lehrerin Karin Deisenhofe­r. Sie habe erfahren, dass Thomas einen IntensivSp­rachkurs in Französisc­h besucht. „Da muss ich sagen: Hut ab.“Denn von anderen Trainern kenne man das eher selten. Tuchel wird nun sozusagen eine Art Welttraine­r. Welcher Draht bleibt zur Heimat? „Ich habe meine Kindheit und Jugend in Krumbach verbracht, meine Eltern sind in Krumbach immer fest verwurzelt gewesen“, sagte er vor einigen Jahren in einem Interview mit unserer Zeitung. Und nun gibt es ja wieder eine besondere Verbindung. Von Paris nach „Klein-Paris“.

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Archivfoto: Czysz Thomas Tuchel 2009 beim Interview in der Redaktion. Tuchel war damals neu als Trainer von Mainz 05.

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