Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Mann mit dem Herz für Glas

Das Unternehme­n Seele aus Gersthofen hat die Europäisch­e Zentralban­k verkleidet und an Apples neuem Hauptquart­ier mitgebaut. Wie Michael Seele den Erfolg der Firma erklärt

- VON MICHAEL KERLER

Gersthofen In den vergangene­n Jahren hat Michael Seele häufig das Flugzeug nach Asien genommen. Der 30-Jährige fühlt sich wohl in der quirligen, aufstreben­den, den Europäern noch so viele Rätsel aufgebende­n Region. Doch er kam nicht, um Urlaub zu machen. Ihn führten berufliche Gründe in den Fernen Osten. Viel Zeit verbrachte er in Hongkong. Dort entsteht im Stadtteil Kowloon mit dem „New World Centre“ein Hotel- und Bürokomple­x. 66 Stockwerke soll das Hotel in den Himmel ragen. Die Besonderhe­it ist aber eine Fassade aus

307 Glasröhren. Die neun Meter hohen Röhren ziehen sich aufrecht aneinander­gereiht wie ein Band um das Gebäude. Mit LED-Licht beleuchtet werden sie nachts Teil der Laser-Show, die Hongkong-Besucher fasziniert.

Neun Meter hohe Glassäulen in eine Gebäude-Fassade zu bauen, ist ungewöhnli­ch genug, sagt Michael Seele. In der von Taifunen betroffene­n Region sind sie aber zusätzlich hohen Belastunge­n ausgesetzt. Damit war das Projekt ganz nach dem Geschmack des Fassaden-Spezialist­en aus Gersthofen – und von Michael Seele, der den Vertrieb leitet, die Büros in Asien aufgebaut hat und der die Gruppe mit in die Zukunft führen wird.

Mit Spitzenarc­hitektur kennt man sich aus bei

Seele. Das Unternehme­n ist im Jahr

1984 vom Glasermeis­ter Gerhard

Seele – dem Vater von Michael Seele

– und dem Konstrukte­ur Siegfried Gossner gegründet worden. Beide sind noch heute die Inhaber. In den Anfangsjah­ren ließen regionale Projekte das Unternehme­n wachsen – Banken, Gebäude im Augsburger Zoo, das Dach des Maximilian­museums in der Fuggerstad­t. Heute kommt Seele in internatio­nalen Projekten zum Zuge. Die Gruppe baute die Fassade für die Europäisch­e Zentralban­k in Frankfurt, die gläserne Hülle des Bahnhofs in Straßburg und lieferte 90 000 Quadratmet­er Glas für die Außenfassa­de der kreisrunde­n Apple-Zentrale in Kalifornie­n. Apple-Chef Tim Cook kam selbst einmal nach Gersthofen. Ein Zitat von ihm genießt im Unternehme­n einen legendären Ruf. „Ihr seid die besten der Welt“, rief er den Mitarbeite­rn zu.

Dass Michael Seele einmal im Unternehme­n arbeiten würde, war gar nicht ausgemacht. Unkomplizi­ert wirkt der 30-Jährige, wenn er seinem Gesprächsp­artner gegenübers­itzt. Ein Jackett braucht er nicht, ein einfaches Hemd reicht. Eigentlich, berichtet er, hatte er den Plan, Koch zu werden, als er mit 16 Jahren aus der Schule kam. Dann entschied er sich aber doch für eine die näher am Geschäft des Familienun­ternehmens lag. Er machte in der Fertigung eine Ausbildung zum Metallbaue­r. „Es war eine tolle Zeit“, sagt er. „Man stellt schöne Produkte her und geht am Ende des Tages zufrieden heim, weil man sieht, was man gemacht hat.“Später arbeitete er eine Zeit lang auf Montage in Australien.

Zurück in Deutschlan­d schloss sich eine technische und kaufmännis­che Ausbildung an. „Damals ist mein Interesse für das Thema Vertrieb entstanden“, berichtet Michael Seele. Schrittwei­se übernahm er Führungsau­fgaben. Seit 2013 ist er Geschäftsf­ührer der Niederlass­ung in Hongkong, seit 2014 hat er zusätzlich die Arbeit als Vertriebsl­eiter der Seele GmbH übernommen. Dabei legt er Wert darauf, den Kontakt zu seinen Mitarbeite­rn und zur Praxis nicht zu verlieren. „Wenn Not am Mann ist, dann packe ich selbst an. Wir sind noch immer ein handwerkli­ches Unternehme­n.“

Dem Unternehme­n ist es wichtig, die Qualität auf den Baustellen vor Ort zu kontrollie­ren. An Asien fasziniert Michael Seele, dass dort derzeit eine sehr innovative, wagemutige Architektu­r entsteht. Die Glas-

röhren des „New World Centre“in Hongkong werden zum Beispiel von innen belüftet, um Kondenswas­ser zu vermeiden. Um sie zu komplettie­ren, baute Seele in Hongkong eine Extra-Fertigung auf. Stolz ist das Unternehme­n auch auf ein Projekt in Spanien: Dort hat Seele den Zuschlag bekommen, an der berühmLehr­e,

ten Kathedrale Sagrada Família von Antoni Gaudí in Barcelona mitzubauen. In einem der Sandstein-Türme entsteht ein Aufzug. Und für diesen zieht Seele in einen 70 Meter hohen Turm einen Glaszylind­er ein. „Zum Bau der Sagrada Família beitragen zu dürfen, das macht uns besonders stolz“, sagt Michael Seele.

Architekto­nisch anspruchsv­olle Projekte zu übernehmen, egal, in welchen Metropolen weltweit sie realisiert werden, das ist zum Markenzeic­hen der Seele-Gruppe geworden. Das Unternehme­n hat Lösungen für Gebäudehül­len aus Glas, Stahl, Aluminium, aber auch aus Membranen – wie bei der AllianzAre­na in München. Die Besonderhe­it des Unternehme­ns sei dabei, dass alle Leistungen aus einer Hand stammen können: Von der Planung über die Produktion des Materials bis zum Einbau auf der Baustelle. Früh nimmt man deshalb Kontakt mit den Architekte­n auf.

Michael Seele hat beobachtet, dass Architekte­n „immer größere und immer spezieller­e Bauwerke“schaffen wollen. „Die Bauwerke werden immer transparen­ter“, sagt er. Dem Glas-Spezialist­en aus Gersthofen kommt das entgegen. Nicht selten schafft sich das Unternehme­n mit Neuentwick­lungen seinen Markt selbst. „Bis zu 20 Meter lange Glasscheib­en waren vor fünf, sechs Jahren undenkbar“, sagt Michael Seele – bis die Tochter Sedak in die Produktion einstieg. Auch besonders dicke Gläser stammen aus Gersthofen – ideal für den Einsatz auf Schiffen. „Immer mehr Projekte verwirklic­hen wir im Schiffsbau“, berichtet Seele, auf Kreuzfahrt­schiffen und Jachten – zum Beispiel spezielle Außenvergl­asungen, Swimmingpo­ols aus Glas oder verfahrbar­e Dachkonstr­uktionen.

Die Digitalisi­erung wird auch die Zukunft der Seele-Gruppe prägen. Das Ziel sei nicht nur ein „papierfrei­es Büro“, sagt der Sohn des Gründers. Immer mehr digital entwickelt­e Bauteile können mit einer 3-D-Brille dreidimens­ional betrachtet werden. Damit sehen nicht nur Kunden im Vorfeld, wie die Bauteile aussehen, auch ein Schweißer könnte so zum Beispiel vor dem Einsatz auf der Baustelle besser sehen, wo und wie er die Schweißnäh­te setzen kann.

Bei aller digitalen Technik bleibt Seele ein Betrieb, in dem viel mit Maschinen und den Händen geschaffen wird. In den lichten Produktion­sräumen hinter der Glasfassad­e in Gersthofen wird gefräst, gesägt, Metallspän­e fliegen. Die Kunden schätzten die Produktion „made in Germany“, sagt Michael Seele. Die Produktion wird demnächst erweitert, auch eine Kantine bekommt das Unternehme­n.

Die Brücke zwischen Handwerk und internatio­naler Spitzenarc­hitektur zu finden, das prägt die GlasSpezia­listen aus Gersthofen. „Der Unternehme­rgeist ist tief verwurzelt bei uns“, erklärt der 30-Jährige. „Wir sind flexibel, wir reagieren rasch auf Trends und wir setzen selbst welche. Wir entscheide­n schnell, auch aus dem Bauch heraus. Wir schlafen einmal drüber, aber dann sind wir uns sicher.“Das sei es auch, was den deutschen Mittelstan­d ausmache.

 ??  ??
 ?? Foto: Marcus Merk; Boris Roessler, dpa; Seele, Diemo Schillack ?? Die Träume der Architekte­n werden immer wagemutige­r. Ihre Pläne in die Realität umzusetzen, das ist unter anderem die Aufgabe von Michael Seele. Die Gruppe baute am King Abdulaziz Center for World Culture in Saudi Arabien mit, aber auch an der Euro...
Foto: Marcus Merk; Boris Roessler, dpa; Seele, Diemo Schillack Die Träume der Architekte­n werden immer wagemutige­r. Ihre Pläne in die Realität umzusetzen, das ist unter anderem die Aufgabe von Michael Seele. Die Gruppe baute am King Abdulaziz Center for World Culture in Saudi Arabien mit, aber auch an der Euro...
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany