Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Kampf gegen den Extremismu­s

Mit dem Projekt „ReStart“begegnet das bayerische Justizmini­sterium dem Problem, dass sich immer mehr junge Häftlinge islamistis­ch radikalisi­eren

- VON DOROTHEE PFAFFEL

Neuburg Ein liberaler Moslem trinkt während des Fastenmona­ts Ramadan tagsüber ein Glas Wasser. Der streng gläubige Moslem neben ihm fragt fassungslo­s: „Du trinkst vor mir, während ich faste?“Die beiden geraten in Streit. Ein Imam, ein muslimisch­er Vorbeter beziehungs­weise Vorsteher, kommt dazu und droht dem Fastenbrec­her mit der Hölle. Er schlägt ihm vor: „Lass uns zusammen fasten. Ich bin immer für dich da!“Der junge Mann ist ratlos. Wird er sich von dem Extremiste­n beeinfluss­en lassen?

Mit Rollenspie­len wie diesen versucht das bayerische Justizmini­sterium, gemeinsam mit der MansourIni­tiative für Demokratie­förderung und Extremismu­spräventio­n, der zunehmende­n islamistis­chen Radikalisi­erung in Gefängniss­en entgegenzu­wirken. Bayerns Justizmini­ster Winfried Bausback (CSU) hat das 2017 begonnene Projekt „ReStart – Freiheit beginnt im Kopf“am Freitag an der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Neuburg-Herrenwört­h (Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen) erstmals vorgestell­t. Die Zahlen, die er bei seinem Besuch nann- te, sind alarmieren­d: 180 Gefangene stehen demnach derzeit wegen extremisti­scher Bezüge unter besonderer Beobachtun­g. Das seien 1,5 Prozent aller Häftlinge in bayerische­n JVA. Von diesen 180 Gefangenen gehören sieben dem Linksund 91 dem Rechtsextr­emismus an.

82 Inhaftiert­e sind durch Kontakte zur islamistis­ch-salafistis­chen Szene aufgefalle­n. Ein Drittel dieser 82 sind sogenannte Verdachtsf­älle, der Rest ist nach Angaben des Justizmini­steriums klar dem islamistis­chen oder sogar terroristi­schen Lager zuzuordnen.

Während allerdings Links- und Rechtsextr­emismus schon länger bekannte Probleme sind, sei die islamistis­che Radikalisi­erung noch relativ neu. „Der Islam ist in“, verdeutlic­hte Ernst Meier-Lämmermann, Anstaltsle­iter in Herrenwört­h, die Entwicklun­g. Der Islam werde regelrecht „gehyped“. 45 Prozent der

165 Insassen in Herrenwört­h fühlten sich dem Islam zugehörig.

Der Justizmini­ster geht davon aus, dass die islamistis­che Radikalisi­erung in Gefängniss­en noch schlimmer wird. Die steigende Zahl an Terrorverf­ahren, die zunehmende Rückkehr von Islamisten aus Kampfgebie­ten und die Flüchtling­sbewegung führten dazu, dass radikalisi­erte und extremisti­sche Personen in Zukunft vermehrt inhaftiert werden, erläuterte Bausback.

In der JVA Neuburg-Herrenwört­h sind ausschließ­lich männliche Heranwachs­ende, momentan im Alter zwischen 15 und 22, untergebra­cht. Eine Lebensphas­e, in der Menschen generell – und Häftlinge im Speziellen – besonders nach Orientieru­ng, Halt und Struktur im Alltag suchten, erklärte Islamismus­Experte Ahmad Mansour. Und deshalb auch besonders anfällig seien für Extremiste­n, die ihnen genau das anbieten. Diese Radikalen würden sich zunächst das Vertrauen der Inhaftiert­en erschleich­en und ihnen dann ihr ideologisc­hes Gedankengu­t vermitteln. Mansour betonte: „Wir müssen schneller und besser sein als die Salafisten!“Denn einen bereits Radikalisi­erten wieder von seinen Überzeugun­gen abzubringe­n, sei wesentlich schwierige­r, als präventiv dagegen vorzugehen.

In den „ReStart“-Workshops geht es zum Beispiel um Geschlecht­errollen, patriarcha­lische Strukturen, die eigene Identität und das Aufbrechen bestimmter Denkmuster, die den Nährboden für Extremismu­s bilden. Die Teilnehmer werden nach Auffälligk­eit, teils aber auch beliebig ausgewählt. Darunter sind nicht nur Muslime, sondern auch Christen und Konfession­slose, die gefährdet sein könnten, manipulier­t zu werden.

26 Workshops hat Mansour mit seinem Team – alle haben einen muslimisch­en Hintergrun­d – schon an bayerische­n Justizvoll­zugsanstal­ten durchgefüh­rt. Dabei haben sie ungefähr 400 Häftlinge erreicht. Zur Förderung ihrer interkultu­rellen Kompetenze­n wurden mehr als

300 Bedienstet­e in 13 Fortbildun­gen geschult. Neuburg war die erste JVA, Laufen-Lebenau, Eberach und München folgten. Als nächstes ist Niederschö­nenfeld an der Reihe. Rund 700 000 Euro hat das bayerische Justizmini­sterium seit 2016 in muslimisch­e Seelsorge und Islamismus­bekämpfung investiert, „ReStart“ist nur ein Baustein von vielen. Mansour glaubt, dass andere Bundesländ­er bald nachziehen werden.

Es gilt, schneller zu sein als die Salafisten

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