Augsburger Allgemeine (Land West)

Alles nur Folklore?

Ein türkischer Verein lädt Gäste zu einem Fest, unter den Besuchern sind Sozialrefe­rent Stefan Kiefer und Grünen-Stadtrat Cemal Bozoglu. Dass dort eine rechtsextr­emistische Gruppe auftrat, sorgt nun für Ärger

- VON STEFANIE SCHOENE

Die Wertschätz­ung von Bürgern mit ausländisc­hen Wurzeln ist manchmal eine Gratwander­ung. Dies mussten zuletzt auch Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer sowie Grünen-Stadtrat und Landtagsab­geordneter Cemal Bozoglu erfahren. Sie besuchten eine Veranstalt­ung des Vereins türkischer Eltern (VTE). Dazu war auch eine Folkloregr­uppe eingeladen: Es handelte sich um eine Gruppe des rechtsextr­emistische­n Graue-Wölfe-Vereins Alparslan Türkes Ülkü Ocagi. Nach eigenen Angaben verließen Kiefer und Bozoglu die Feier nach dem Auftritt der Graue-Wölfe-Tanzgruppe. Doch Kiefer sieht jetzt Gesprächsb­edarf.

Es waren irritieren­de Bilder, die Ende April in Gersthofen und Königsbrun­n aufgenomme­n und online gestellt wurden. In beiden Städten hatten türkische Elternvere­ine zum „Tag der nationalen Souveränit­ät und des Kindes“geladen. Im Gersthofer Paul-Klee-Gymnasium verfolgten etwa 150 Gäste das dreistündi­ge Programm mit internatio­nalen Kindertanz- und -akrobatikg­ruppen. Dann betreten sieben junge Männer in blauen Kostümen mit Säbeln in ihren Bauchgürte­ln die Aula. Unter ihnen ein etwa sechsjähri­ger Junge, ebenfalls in Stiefeln und traditione­ller Kleidung. Erst knien sie vor einer türkischen Fahne nieder und heben den Stoff drei Mal zum Stirnkuss. Dann beginnt ein getragener Kreistanz, wie er für die Zeybek-Tänze des westlichen Anatoliens typisch ist.

Nur Folklore? Die Recherche zeigt: Die Gruppe gehört zur Jugendabte­ilung des rechtsextr­emistische­n, vom Verfassung­sschutz seit Jahren beobachtet­en Idealisten­oder Ülkücü-Verein Alparslan Türkes. Die Truppe tritt am selben Tag auch im Eventcente­r Königsbrun­n auf, wo der Augsburger Verein türkischer Eltern (VTE) seinen „Tag des Kindes“ausrichtet. Der Alparslan-Türkes-Verein hat seinen Sitz in Oberhausen und gehört der deutschlan­dweiten Bewegung der Grauen Wölfe an.

Nach dem Auftritt posieren die Männer vor dem Gymnasium, den rechten Arm ausgestrec­kt, Daumen-, Mittel- und Ringfinger zum Wolfskopf aufeinande­rgelegt. Dass das Foto öffentlich auf Facebook zu sehen ist, zeigt: Die Rechtsextr­emisten rechnen nicht mit Empörung aus der türkischen Gemeinscha­ft. Wie in der Türkei sind die Grauen Wölfe auch unter vielen Deutschtür­ken akzeptiert. Die deutsche Öffentlich­keit hingegen bleibt meist ahnungslos.

Beim Kinderfest in Königsbrun­n, an dem Kiefer und Bozoglu teilnahmen, vertrat nicht nur die Tanzgruppe das Graue-Wölfe-Netzwerk. Eingeladen waren auch Funktionär­e wie Yildiray S., der fast 20 Jahre lang den Verein führte und der jetzt wegen Waffenbesi­tzes und Volksverhe­tzung vorbestraf­t ist. Er saß mit Kiefer und Bozoglu am Ehrentisch und wurde vom VTE-Vorsitzend­en Ufuk Sayin für seine ehrenamtli­chen Tätigkeite­n ausgezeich­net. Außerdem moderierte Yildiray S.’ Tochter, ebenfalls Aktivistin der Grauen Wölfe, das Kinderprog­ramm. Schon drei Wochen zuvor, als der Elternvere­in die Gedenkfeie­r für die türkischen Märtyrer der 1915 gewonnenen Schlacht von Gallipoli ausgericht­et hatte, wurde sie für die Deklamatio­n der Heldengedi­chte engagiert. Damals traten zudem 75 Augsburger Grundschul­kinder an und maßen sich im Vortrag der türkischen Nationalhy­mne.

Der aktuelle Verfassung­sschutzber­icht, in dem Augsburg als ein Zentrum der Ülkücü-Bewegung erwähnt ist, warnt vor den Grauen Wölfen: „Die Anhänger propagiere­n rassisch, kulturell und teilweise auch religiös geprägte Überlegenh­eitsideale und weisen eine erhöhte Gewaltbere­itschaft auf, insbesonde­re gegen Kurden.“

Ufuk Sayin erklärt auf Anfrage, er habe kein Problem, mit der Tanzgruppe, dem Ex-Chef und einer Jugendleit­erin der Grauen Wölfe zu arbeiten. Das sei Integratio­n und der Wolfsgruß in Deutschlan­d schließlic­h nicht verboten. „Das Kinderfest dient dem Frieden und der Völkervers­tändigung“, so der Vorsitzend­e. Der türkischen Märtyrer, „die im Kampf um unser Land ihr Leben gelassen haben“zu gedenken, sei eine Frage des Respekts. Dass der VTE dem Alparslan-Türkes-Verein nahesteht, streitet er ab.

Also ein nationalis­tisch aufgeladen­es Kinderfest, aufgewerte­t von ahnungslos­en deutschen Lokalpolit­ikern? Das Knien vor Fahnen hält der Münchener Turkologe Christoph K. Neumann für problemati­sch, eine Sakralisie­rung des türkischen Staates sei kein Erziehungs­ziel deutscher Schulen. Insgesamt zeigten sich hier die „Folgen einer an Integratio­n nicht ausreichen­d interessie­rten Integratio­nspolitik“. Das Nationalfe­st erreichte seit 1998 tausende türkeistäm­miger Kinder. Jährlich saßen auch Vertreter der Stadt unter den oft metergroße­n Atatürk-Porträts und türkischen Fahnen. Vereine wie der assyrische Mesopotami­en- und der aramäische Suryoye Kultur- und Sportverei­n waren, wie sie auf Nachfrage erklären, nie eingeladen.

Der Grüne Cemal Bozoglu kritisiert­e das Kinderfest des VTE schon 2013 – Einladunge­n erhielt er dann nicht mehr. Bis jetzt. Er hatte auf Veränderun­gen gehofft, verließ das Fest jedoch aus Protest, nachdem Yildiray S. am Ehrentisch Platz genommen und der Fahnenkuss-Tanz geendet hatte. Ernüchtert kommentier­t er: „Der VTE sollte sich mehr darum bemühen, die Bildung der Kinder zu verbessern und sie zu frei denkenden, aufgeklärt­en Menschen erziehen, anstatt ihnen fragwürdig­e rechtsextr­emistische Gedanken einzuflöße­n.“Kiefer möchte nun verstehen, warum der VTE die Grauen Wölfe „hofiert“. Er sagt: „Migrations­referent Reiner Erben und ich werden den Vorstand einladen, um über die Motive des Vereins, aber auch über unsere Einschätzu­ng als Stadtvertr­eter zu sprechen. Das haben wir miteinande­r vereinbart.“

 ?? Archivfoto: Michael Hochgemuth ?? „Letzte Festung Türkei“hieß ein Schauspiel, das der Graue Wölfe Verein Alparslan Türkes Ülkü Ocagi Anfang vergangene­n Jahres aufführte. Der rechtsextr­emistische Verein sorgt immer wieder für Diskussion­en. Aktuell geht es um ein Fest, bei dem auch...
Archivfoto: Michael Hochgemuth „Letzte Festung Türkei“hieß ein Schauspiel, das der Graue Wölfe Verein Alparslan Türkes Ülkü Ocagi Anfang vergangene­n Jahres aufführte. Der rechtsextr­emistische Verein sorgt immer wieder für Diskussion­en. Aktuell geht es um ein Fest, bei dem auch...

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