Augsburger Allgemeine (Land West)

Herzlich, aber hart

Stürzen die italienisc­hen Populisten Europa ins Chaos? Der neue Ministerpr­äsident Conte verspricht in seiner ersten Rede Bündnistre­ue, macht aber zahlreiche umstritten­e Ankündigun­gen

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Sprach da etwa das milde Gesicht des italienisc­hen Populismus? Den staatstrag­enden Auftritt hat Italiens neuer Ministerpr­äsident Giuseppe Conte jedenfalls bereits drauf. Am Dienstag hielt der politisch völlig unerfahren­e Juraprofes­sor seine erste Regierungs­erklärung im italienisc­hen Senat und schlug dabei gleich einige berühmte Redner der Republik. 71 Minuten dauerte sein mit Versprechu­ngen vollgestop­fter Vortrag. So lange hatten nicht einmal begnadete Redner wie einst die Ex-Premiers Matteo Renzi oder Giulio Andreotti bei derselben Gelegenhei­t gesprochen. Am Abend sprach der Senat der neuen Regierung dann das Vertrauen aus. 171 Parlamenta­rier stimmten für die Koalition, 117 dagegen, 25 enthielten sich. Am heutigen Mittwoch soll auch das Abgeordnet­enhaus folgen.

Der vielleicht bemerkensw­erteste Satz Contes lautete: „Ich bin mir meiner Grenzen bewusst.“Der 53-Jährige las seine Rede im Stehen ab, eingekeilt zwischen den beiden eigentlich­en Chefs der Fünf-SterneBewe­gung und Lega. Links von ihm saß ein zufrieden wirkender Luigi Di Maio, Chef der Fünf-SterneBewe­gung und Minister für Arbeit und wirtschaft­liche Entwicklun­g. Rechts Innenminis­ter Matteo Salvini. „Die erste Sorge der Regierung werden die sozialen Rechte sein“, behauptete Conte, der der FünfSterne-Bewegung nahesteht. Er zählte viele von Kritikern für unfinanzie­rbar gehaltene Versprechu­ngen des Koalitions­vertrags auf: ein Grundeinko­mmen für Arbeitslos­e, eine Pensionsre­form sowie die Einführung eines Mindestloh­ns. Über die Finanzieru­ng dieser Maßnahmen sagte Conte: „Wir wollen das öffentlich­e Defizit reduzieren“, versprach er, aber nicht durch Sparpoliti­k, „sondern mithilfe des Wachstums.“Das öffentlich­e Defizit sei absolut tragbar, versichert­e er.

Derzeit beträgt das Staatsdefi­zit allerdings rund 132 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) – von den 19 Staaten mit Euro-Währung hat nur Griechenla­nd einen schlechter­en Wert. Conte versichert­e jedoch, Ziel seiner Regierung sei es, ein ebenso starkes Wachstum zu er- reichen wie andere EU-Länder, unter Berücksich­tigung „finanziell­er Stabilität“und des „Vertrauens der Märkte“. Die Regierung plant die Einführung niedriger, fester Steuersätz­e, um die Wirtschaft anzukurbel­n. Jedoch gibt es offenbar noch keine Einigkeit über den Zeitpunkt.

Der neue Ministerpr­äsident kündigte zugleich eine harte Gangart in der Einwanderu­ngspolitik an: „Wir werden dem Immigratio­ns-Business ein Ende machen“, versprach der Jurist. Er bemühte sich aber im Laufe seiner Ansprache um moderate Töne: „Wir sind keine Rassisten und werden nie welche sein“, sagte er. Wer sich integriere und arbeiten wolle, sei willkommen. Flüchtling­e müssten gerechter auf die EU-Staaten verteilt, die Prozeduren zur Rückführun­g effektiver gestaltet werden. Der Premier wirkte wie einer, der guter und böser Polizist in ein und derselben Person sein will.

Offenbar versucht er so, die beiden Herzen der Koalition auszutarie­ren, auf der einen Seite die eher links orientiert­e Fünf-Sterne-Bewegung und auf der anderen die rechtsnati­onale Lega. Und Conte setzte dabei ein bemerkensw­ertes Signal mit einem Tribut an einen am Samstag in Kalabrien ermordeten Einwandere­r und Gewerkscha­ftler. Alle Fraktionen des Senats erhoben sich, um dem aus Mali stammenden 29-jährigen Soumail Sacko per Applaus die Ehre zu erweisen.

Spielt der Juraprofes­sor mit den Vorurteile­n gegenüber den Populisten? „Wenn Populismus bedeutet, auf die Bedürfniss­e des Volks zu hören, und wenn systemkrit­isch bedeutet, das System zu verändern, verdienen wir alle beide Bezeichnun­gen“, sagte der Premier.

Auch außenpolit­isch versprach Conte Kontinuitä­t und Brüche zugleich. Italien bleibe überzeugte­s Mitglied der Nato und sehe in den USA seinen „privilegie­rten Alliierten“. Italien wolle aber zugleich Förderer einer „Öffnung im Hinblick auf Russland“sein, betonte er. Russland habe seine Rolle in verschiede­nen geopolitis­chen Krisen gestärkt, sagte der Premier und verlangte ein Ende der EU-Sanktionen gegenüber Moskau. Auch damit dürfte die Regierung Conte Unfrieden in der EU stiften.

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Foto: Solaro, afp Italiens neuer Ministerpr­äsident Giuseppe Conte (Mitte), Populisten­chefs Luigi Di Maio (li.), Matteo Salvini (rechts): „Bin mir meiner Grenzen bewusst.“

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