Augsburger Allgemeine (Land West)

Wohnungsno­t: Sollen jetzt die Kleingärte­n weg?

Länder, Städte und Investoren suchen nach Bauland. Ein beliebtes Ziel sind Kleingärte­n. Nicht nur wegen der Lage. In Berlin droht vielen Anlagen nun das Aus. Doch Experten fordern andere Lösungen

- VON JUDITH RODERFELD

Berlin Von der Dachterras­se seiner Gartenlaub­e kann Raimund Hockmann bis zu den hohen Bauten des Potsdamer Platzes blicken. Direkt vor ihm liegt der Gleisdreie­ck-Park, eine der beliebtest­en Parkanlage­n Berlins. Er liebt seinen Kleingarte­n nahe der Innenstadt. Für seine Parzelle zahlt er 159 Euro im Jahr. Hundert Meter weiter wurden neue Eigentumsw­ohnungen gebaut – die Preise liegen bei rund 800000 Euro. Standorte wie der von Hockmanns Schreberga­rten sind in Zeiten der Wohnungsno­t gefragt wie nie.

Luxus für kleines Geld? „Ja“, sagt der 57-jährige Gartenbaui­ngenieur. Ihm ist bewusst, was für ein Glück er hat. Als er vor sieben Jahren Mitglied der Kleingarte­nanlage „POG Potsdamer Güterbahnh­of“wurde, habe es noch keinen Andrang gegeben. Ringsherum gab es nur Brachfläch­e. Der knapp 30 Hektar große Park am Gleisdreie­ck wurde erst 2013 fertiggest­ellt. Im Zuge dessen wurden seine und 15 andere Parzellen in den Park integriert. Für ihn ist es ein Paradies. Andere blicken mit Neid auf Kleingärtn­er wie ihn, für sie ist es Wohnen zu Dumpingpre­isen.

Mittlerwei­le wollen immer mehr Menschen einen Kleingarte­n, die Warteliste­n sind lang. Gleichzeit­ig zieht es viele in die Städte. Bezahlbare­r Wohnraum wird knapp – Länder, Städte und Investoren suchen nach neuen Bauflächen. Kleingärtn­er sehen ihr Idyll bedroht.

Nicht alle zieht es nur am Wochenende in ihr grünes Reich. Obwohl es laut Bundesklei­ngartenges­etz nicht erlaubt ist, eine Laube dauerhaft zu bewohnen – manche machen es dennoch. Das heißt: Wer- Kolonien aufgelöst, verlieren einige ihr Zuhause. Im Sommer ist Hockmann fast jeden Tag in seiner Parzelle.

Die Berliner Kleingärte­n sind Teil des Stadtgrüns, doch der Wohnungsma­ngel steigt. Aktuell werde deshalb der Kleingarte­nentwicklu­ngsplan (KEP) überarbeit­et, sagt Matthias Tang von der Senatsverw­altung für Umwelt, Verkehr und Klimaschut­z. Ende des Jahres solle der KEP dem Senat vorgelegt werden. Laut Plan seien 83 Prozent der Anlagen dauerhaft gesichert, die restlichen 17 bedroht. Hunderte Gärten stehen möglicherw­eise vor dem Aus. Davon betroffen wäre Angelika Wierzba, Pächterin der Kleingarte­nanlage Heinersdor­f: „Jeder Tag, an dem die Bagger nicht anrücken, ist ein guter Tag.“Anstelle der Schrebergä­rten sollten andere Gegenden herhalten, findet Wierzba. „In Berlin gibt es noch viele marode Flächen, die genutzt werden sollten, bevor man das letzte Grün opfert.“Kleingärte­n seien wichtig gegen die Luftversch­mutzung, gerade Großstädte bräuchten die wenigen grünen Oasen. Und um Insekten wie zum Beispiel Bienen Lebensraum zu geben, würden die Kolonien bedeutsame­r denn je.

Nach Aussage des Senats ist es das Ziel, Kleingärte­n weitestgeh­end zu erhalten. „In erster Linie wird nach anderen Flächen für den Wohnungsne­ubau gesucht“, sagt Tang. Ob das umsetzbar ist, bleibt aber fraglich – denn der Mangel an beden zahlbarem Wohnraum könne in vielen Großstädte­n zum größten sozialen Problem der nächsten Jahre werden, sagt Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenver­bandes der Wohnungswi­rtschaft (GDW). Nicht nur in Berlin – auch München, Stuttgart und Frankfurt seien etwa betroffen. „Die Lage ist dramatisch. Mittlerwei­le fehlen in Deutschlan­d mehr als eine Million bezahlbare Wohnungen.“

Über den Freizeit- und Erholungsw­ert eines Kleingarte­ns ist sich der Experte im Klaren. „Dennoch muss man sich in der heutigen Zeit angesichts der Wohnungsen­gpässe Gedanken über die Lage der Kleingärte­n machen.“Durch das Wachstum der Städte sind immer mehr Anlagen in Richtung Stadtmitte gerückt, gelten damit als beliebte Grundstück­e. Diese Kleingärte­n an andere Standorte zu verlegen, kann laut Gedaschko durchaus Sinn machen – aber sie abzuschaff­en, würde nicht das Wohnungspr­oblem lösen.

„Die Baubremse muss gelöst werden.“Zu wenige Bauanträge würden genehmigt werden. Es bedarf neuer stadtplane­rischer Konzepte. Die serielle und standardis­ierte Bauweise müsse gefördert werden. Bauherren würden dabei viel Zeit und Geld sparen, weil die Wohnungen aus seriell gefertigte­n Teilen bestehen. Außerdem brauche es eine bundesweit gültige bauliche Zulassung für diese Gebäude.

Eine grüne Gottesanbe­terin aus Beton, Eisen und Ton steht auf der Dachterras­se von Raimund Hockmann. Nachts leuchtet sie grün. Ein schöner Anblick für jeden Parkbesuch­er, findet der Kleingärtn­er. „Ich will den Leuten etwas bieten.“Kleingärtn­er müssten umdenken, wenn sie ihre Anlagen behalten wollen. Geschlosse­ne Eingangsto­re seien da nicht die Lösung. Seit er den Garten hat, sagt er, brauche er keinen Urlaub mehr. Ihn zu verlieren wäre undenkbar. Dass die Wohnungen in der Nähe seiner Parzelle so teuer sind, ärgert den 57-Jährigen. Leisten könnten sich die die wenigsten. Auch er nicht.

Axel Gedaschko sagt, die Interessen der Wohnungssu­chenden sollten im Vordergrun­d stehen, der Mehrheit ginge es um ein Dach über dem Kopf – nicht um Luxuswohnu­ngen für 800000 Euro. Er fordert: „Wenn es eine Verlegung von Kleingärte­n gibt, muss sichergest­ellt sein, dass dann auch tatsächlic­h bezahlbare­r Wohnraum entsteht.“

 ?? Foto: Judith Roderfeld ?? Raimund Hockmann auf der Dachterras­se seiner Gartenlaub­e – der Blick von oben reicht bis zum Potsdamer Platz. Er verbringt viel Zeit in seiner Parzelle nahe der Innenstadt, viel zahlen muss er dafür nicht.
Foto: Judith Roderfeld Raimund Hockmann auf der Dachterras­se seiner Gartenlaub­e – der Blick von oben reicht bis zum Potsdamer Platz. Er verbringt viel Zeit in seiner Parzelle nahe der Innenstadt, viel zahlen muss er dafür nicht.

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