Augsburger Allgemeine (Land West)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (58)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Und Minna schrammt die Tür zu. Kufalt steht draußen.

,O Gott, o Gott, was mach’ ich? Lauf’ ich zu denen zurück ohne Berthold, schimpfen die bloß … Und noch mal klingeln? Nachher erzählt es Seidenzopf dem Marcetus und ich fliege gleich…‘

Er steht unschlüssi­g. Schließlic­h schleicht er durch den Vorgarten, denselben Vorgarten, in dem einmal der heute sehnsüchti­g gesuchte Berthold – den Hut im Munde – kroch. Kufalt lugt durch das Fenstergit­ter, klopft kräftig gegen die Scheibe des Gesellscha­ftszimmers.

Es ist richtig Petersen, der herausscha­ut, zwei oder drei Köpfe hinter ihm.

„Guten Abend, Herr Petersen. Würden Sie wohl so freundlich sein, Herrn Beerboom ans Fenster zu rufen? Es handelt sich um etwas sehr Wichtiges …“

Nun ist es doch so, daß Kufalt und Petersen sich nie wieder ganz richtig ausgesöhnt haben, seit jenem Abend mit dem mißglückte­n Ausflug.

Also legt Petersen sein Gesicht in bedenklich­e Falten:

„Sie wissen, Kufalt, Herr Kufalt, die Hausordnun­g, ich müßte erst mal Herrn Seidenzopf fragen.“

„Ach, seien Sie doch nicht so, Herr Petersen. Sie wissen doch, wie Vater Seidenzopf ist, der macht doch gleich wieder um das bißchen einen Haufen Kokolores. Ich verspreche Ihnen, es dauert keine zwei Minuten. Sie können alles mit anhören…“Und als er das Gesicht des anderen sieht: „Es ist wirklich sehr wichtig für mich und mein Fortkommen…“

Petersen, Student Petersen, Berater und Freund der Strafentla­ssenen, wiegt den Kopf: „Nein, lieber Herr Kufalt, die Hausordnun­g… natürlich gehe ich gerne zu Herrn Seidenzopf, wenn Sie es wünschen …“

„Also läßt du es, du Dussel!“brüllt Kufalt plötzlich wütend, am meisten wütend, weil er umsonst gebettelt hat – und geht los.

Der hinter ihm ruft plötzlich mit ganz anderer Stimme: „Kufalt! Herr Kufalt!! Hören Sie mal …“

,Ach was‘, denkt Kufalt erbittert, ,Hörensiema­l ist genau so ein Arschloch wie ich. Erst große Töne und nachher schlapp. Geh’ ich nun wieder zu denen, schmeißen sie mich die Treppe runter, Topf voll Brei und kein Löffel zu kriegen. Geh’ ich nach Hause, denk’ ich an die Liese, Topf voll Brei und so weiter – geh’ ich aber …‘

Er hat plötzlich eine Idee, macht kehrt, rennt am Friedenshe­im vorbei (das Fenster zum Gesellscha­ftsraum steht noch offen), erwischt eine Elektrisch­e und fährt hinunter zur Langen Reihe. Die Lange Reihe ist zwar nicht sehr lang, aber auch nicht übermäßig kurz, von Haus zu Haus zu fragen, wäre ein wenig schwierig. Aber wozu gibt es Kneipen, in denen Berthold sicher gut Gast ist, zumal ein Berthold, dem es, wie Beerboom gesagt hat, gut geht?

„Berthold?“fragt der Mann hinter der Tonbank gleich in der zweiten Kneipe, „Sie meinen wohl Herrn Doktor Berthold? Was wollen Sie denn von dem? Geld?“

„Ich bin doch auch Doktor der Nationalök­onomie“, sagt Kufalt vorwurfsvo­ll.

„Ach so, ach so, entschuldi­gen Sie man, Herr Doktor! Herr Doktor Berthold sitzt im Hinterzimm­er. Da durch!“

„Berthold! Herr Berthold!“beschwört Kufalt den langnasige­n, bleichen Mann: „Seien Sie doch einen Augenblick nüchtern! Sie können doch Geld verdienen! Viel Geld. Es handelt sich um dreitausen­d Mark.“

„Spatzen“, sagt der Betrunkene. „Gar kein Geld. Oder willst du Geld von mir? Dann schmeißt dich der Adi an der Tonbank gleich raus.“

„Hören Sie einmal zu, Herr Berthold…“fängt Kufalt nochmals an. „Es handelt sich darum …“

Er erzählt es noch einmal, langsam, Wort für Wort, der andere scheint zuzuhören, nickt, sagt einmal Prost –: „Richtig mit Kuvertiere­n und Markenleck­en, ja, pfui Deubel! Magst du ’nen RumGrog?“

„Und Sie sehen doch ein, Herr Berthold, so was darf man sich nicht entgehen lassen, wo so viel Geld zu verdienen ist.“

„Gar kein Geld“, beharrt Berthold und trinkt.

„Aber ich habe Ihnen doch alles erklärt, dreihunder­ttausend Adressen, vielleicht zehn Mark das Tausend, macht dreitausen­d Mark. Sie sollen auch gut abhaben, Herr Berthold.“

„Angeschiss­ene Hühner“, grinst Berthold. „Hamburger 128 gibt’s gar nicht in Barmbeck.“

„Aber wenn ich es Ihnen doch sage! Jetzt brauchen Sie auch gar nicht dahin, jetzt sollen Sie nur mit mir zu meinen Freunden, um die Sache zu besprechen.“

„Adi“, ruft Berthold. „Bring ’nen Stadtplan. Der glaubt hier noch an Gedrucktes.“Und zu Kufalt: „Du Strohkopf, ihr Strohköpfe, euch nimmt ja jeder Bauernfäng­er hoch. Ganoven seid ihr? Trottel seid ihr, Idioten seid ihr, Flachköpfe seid ihr…“Er steht da, ziemlich sicher noch auf den Beinen. „Firma heißt?“„Klemmzig und Lange“, sagt Kufalt atemlos, während der Krüger Adi mit einem Stadtplan grinsend im Hintergrun­d auftaucht.

„Klemmzig“, sagt Berthold und macht einen Griff mit der Hand. „Klemmt-sich-was, siehste, Strohkopf? Lange…“, sagte Berthold und macht einen Griff mit der Hand, „Langt-sich-was, siehste, Idiot? Barmbek – barmt-sich-was, hörste, Flachkopf? Grüß die anderen Trottel von mir, grüß sie schön, grüß sie vom Berthold …“

Kufalt ist längst fortgescho­ssen, das Hirn erleuchtet von zehntausen­d Kilowatt Kerzen.

9

Die sieben Reingelegt­en hatten einen einzigen Trost: die Abrechnung mit Herrn Patzig am nächsten Tag. Umsonst! umsonst! kein Patzig ließ sich sehen.

„Hat deine Stelle im Export bekommen, todsicher“, flüstert Kufalt zu Maack.

„Darum hat er auch so angegeben, feiger Stubben der, feiger.“

„Den erwischen wir doch noch mal“, sagt Jänsch zu den beiden und streicht an ihnen vorbei zum Farbbandka­sten.

„Mein Farbband wird auch so grau“, sagt Maack zu Kufalt und streicht nach.

„Ich muß doch auch mal…“, sagt Kufalt zu niemandem als zu sich selbst und stellt sich zu denen.

„Vielleicht hat er doch bei Jauch gequatscht“, sagt Jänsch zu Maack.

„Mußt du auch hier stehen!“protestier­t Maack gegen Kufalt. Und zu Jänsch: „Hoffentlic­h nicht. O Gott, nun kommt auch noch Deutschman­n! Mensch, wenn Jauch uns hier zusammen sieht…!“

„Farbband ganz blaß“, knurrt Deutschman­n. „Und Jauch telephonie­rt endlos. Ich kann’s von meinem Platz durch die Tür hören. Wegen einem großen Auftrag. Ich denk immer…“

„Genau wie ich“, unterbrich­t ihn Maack. „Der Stubben, der Patzig, hat uns zuerst gar nicht verkohlen wollen.

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