Augsburger Allgemeine (Land West)
Siri Hustvedt zu Gast in Augsburg
23 Studenten erproben sich als Autoren
Diese Texte haben ihren Sound. „Ich habe aufgehört, an Felix zu denken“, behauptet Philipp Neudert und fängt gerade an, über diesen Felix zu erzählen. Es ist die Stimme eines Verliebten, die sein Text anschlägt, wenn er Felix schildert. „Mir war gleich eine schöne, gleichmäßige Bräune aufgefallen und der Sand, der an seinen Waden klebte (…) Er war sehr schlank. Sein Haar war dunkel und feucht.“Trotz der idealen Eigenschaften verbreitet sich beim Lesen eine Ahnung, dass es nicht gut ausgehen werde.
Philipp, mit 21 der Jüngste im Kreis, gehört zu den 23 Studierenden aus Bayern, die an der Akademie des Schreibens des Münchner Literaturhauses teilgenommen haben. Im Sensemble Theater lesen sie am Freitag Kostproben dessen, was sie sich mit erfahrenen Verlagslektoren im Laufe eines Jahres erarbeitet haben. Ihre Mentoren zollen den Talenten aus sieben Universitäten hohen Respekt: „Da hat einer etwas vor, etwas ganz Großes …“
Gerade für drei, vier Seiten reicht es, was die Schreibenden in wenigen Minuten der Reihe nach vortragen können. Meist bleiben die Geschichten offen und versprechen mehr. Doch die Skizzen hinterlassen Eindruck. Dilop, Tochter von kurdisch-schwäbischen Eltern, taucht ins türkische Milieu; im Imbiss will sie sich eine Pizza hastig „in den Lauf schlagen“. Als sie in einen TVBericht über Flüchtlingsschicksale zappt, hat sie den Frieden in der Bude gebrochen. Oliver Urbanke, aufgewachsen in Thierhaupten, stellt „Mathilda“vor, eine schrullige Alte in einem nicht weniger schrulligen Dorf, wo auch mal ein Stubentiger als Wurfgeschoss eingesetzt wird. Plötzlich wird die „hässliche Trinkerin“tot aufgefunden…
Johannes Hofmann, inzwischen Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks, fällt mit der Tür ins Haus: „Wir können die Geschichte so nicht drucken!“, lässt er den jungen Reporter David sagen. Indes ist der Chefredakteur davon hochbegeistert, wie David den mysteriösen Tod der jungen Larissa schildert. Ihr Vater Josef Mai hat sich stets rührend um sie gekümmert – glaubt David. Bis er das Video sieht, das einen auffallend fröhlichen Trauernden zeigt. Dorothea Kaiser spinnt eine märchenhafte Begegnung mit dem Sandmännchen an der Nähmaschine, als die Nadel im weichen Samt kapituliert. Ihre Sätze oszillieren zwischen Traum und Tatsache, ihr Sandmännchen könnte genauso gut ein Sandmädchen sein.
Um die Zukunft der deutschen Literatur muss einem nach einem solchen Abend nicht bange sein. Hier experimentieren junge Autoren mit Genres und Stilen. Plastisch beschreiben sie Personen, bauen temporeich Spannung auf, veredeln banale Gegebenheiten. Im Sensemble, das hört die Augsburger Literaturprofessorin Stephanie Waldow am Freitag recht oft, hat die Akademie des Schreibens zudem einen idealen Lese-Ort ausgemacht.