Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine museumsreife Leistung
Versteckt im Grünen steht eine Zeitmaschine im Neufnachtal: der Bahnhof Reichertshofen / Serie (7)
Reichertshofen Irgendwo im Nirgendwo: Der ehemalige Bahnhof Reichertshofen wirkt verloren im wuchernden Grün, das ihn umgibt. Auch die Gleise sind fast verborgen von hohem Gras. Das Häuschen liegt idyllisch im Neufnachtal – wie ein touristisches Postkartenmotiv aus einer vergangenen Zeit. Früher lag das Empfangsgebäude auf der nördlichen Strecke der Staudenbahn.
1911 ging dieser Abschnitt in Betrieb und mit ihm auch der Bahnhof Reichertshofen.
Zwei beschriftete Türen stehen zur Wahl: links der Warteraum, in dem Reisende seinerzeit vor Regen und Kälte geschützt waren. Rechts der Betriebsraum, in dem ein Agenturbeamter arbeitete. Heute befindet sich darin eine Art Museum für Bahnfans. Bilderrahmen im Wartesaal zeigen historische Bahn-Fotos. Der Schalterraum wirkt, als hätte jemand darin einfach die Zeit angehalten: Ein antiquierter Fahrkartenschrank ist befüllt mit sogenannten Edmondsonschen Fahrkarten. Die Papp-Kärtchen sind bedruckt mit Preisen, von denen heutige Bahnreisende nur träumen können. Der frühere Güterschuppen dient heute als Vereinsheim der Staudenbahnfreunde e. V.
Dem Verein ist es zu verdanken, dass der Bahnhof noch steht. „Dank zivilem Ungehorsam“sei dies verhindert worden, so Hubert Teichmann von der Firmengruppe Staudenbahn. Die Deutsche Bahn wollte das Gebäude Anfang der Achtzigerjahre abreißen.
Die Staudenbahnfreunde jedoch sanierten den Bahnhof ohne offizielle Genehmigung in ambitionierter Eigenregie. Die couragierte Eigeninitiative wurde von der Bahn mit einem kostenfreien Nutzungsvertrag belohnt. Mittlerweile ist der Verein Eigentümer des geschichtsträchtigen Hauses.
Für die Öffentlichkeit ist das inoffizielle Bahnmuseum nicht permanent zugänglich. Interessierte Reisegruppen bei Sonderfahrten und Events der Staudenbahn dürfen die Zeitmaschine allerdings betreten. Das Bahnnetz in der Stauden-Region wurde von der DB 1991 stillgelegt. Die Instandhaltung durch die Firmengruppe Staudenbahn ist eine private Initiative. „Seit 18 Jahren sorgen wir dafür, dass es die Staudenbahn noch gibt“, sagt Hubert Teichmann. Das finale Ziel ist der tägliche Planverkehr wie anno dazumal. Derzeit fahren von Juli bis September immerhin Züge zwischen Markt Wald und Reichertshofen sowie an ausgewählten Sonntagen.
Zur Zeit der Rettung des Bahnhofs Reichertshofen war Hubert Teichmann noch ein Schüler, heute ist der ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Bahn Geschäftsführer der Firmengruppe Staudenbahn. In einem Agenturgebäude wie dem alten Bahnhof Reichertshofen verrichtete ein „Agent“als örtlicher Bahnbetriebsbeamter seine Arbeit. Dazu gehörte die Abwicklung von Ladungen wie Frachtgut und Tiertransporten ebenso wie der Fahrkartenverkauf. „Das fehlt heute bei der Bahn: ein Ansprechpartner für alle Belange an jedem Bahnhof“, sagt Teichmann. Serie In unregelmäßigen Abständen stellen wir ehemalige Bahnhofsgebäu de vor und erzählen, wie sie jetzt genutzt werden.