Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Irrfahrt der Aquarius

Italien verschärft seine Flüchtling­spolitik und fordert die EU zum Umdenken auf. Für Menschen, die ihr Heil in der Überfahrt nach Europa suchen, könnte die neue Strategie Roms das Risiko weiter erhöhen

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Nadelstrei­fenanzug, Krawatte, verschränk­te Arme. Unter dem Foto der Satz: „Wir schließen die Häfen.“Knallhart präsentier­te sich Italiens neuer Innenminis­ter Matteo Salvini am Sonntagabe­nd auf Twitter. Und knallhart wirkt auch die italienisc­he Flüchtling­spolitik der neuen Regierung aus Fünf-SterneBewe­gung und Lega. Die erste Kraftprobe hat Salvini dank des Eingreifen­s der neuen spanischen Regierung von Ministerpr­äsident Pedro Sánchez gewonnen. Diese erklärte sich am Montag bereit, das seit zwei Tagen in den Gewässern zwischen Malta und Sizilien blockierte Flüchtling­sschiff Aquarius „aus humanitäre­n Gründen“im Hafen von Valencia aufzunehme­n.

Auf der Aquarius befinden sich seit Samstagabe­nd 629 Personen, darunter sieben Schwangere, elf jüngere Kinder und 123 unbegleite­te Minderjähr­ige. „Zum Glück gibt es keine Schwerverl­etzten, aber alle sind müde, erschöpft und dehydriert“, sagte ein Arzt, der für die Organisati­on Ärzte ohne Grenzen auf dem Rettungssc­hiff arbeitet. Der Proviant reiche nur noch wenige Tage, teilte die Besatzung am Montag mit. Viele Flüchtling­e schliefen an Deck. Wie es in Rom heißt, will Salvini mit seiner harten Haltung vor allem ein Signal an die EU senden.

Italien wolle sich die unsolidari­sche Haltung der Nachbarlän­der in der Flüchtling­sfrage nicht weiter gefallen lassen. „Ich will diesen Menschenha­ndel beenden“, sagte Salvini auf einer Pressekonf­erenz am Montagnach­mittag. Zuvor hatte Premiermin­ister Giuseppe Conte die „radikale Änderung“der Dub- lin-Regelungen zur Einwanderu­ng gefordert.

Am Morgen hatte der Innenminis­ter zudem zu verstehen gegeben, auch dem vor Libyen kreuzenden deutschen Rettungssc­hiff Sea Watch 3 und in Zukunft anderen Schiffen der im Mittelmeer tätigen NGOs die Landungser­laubnis zu verweigern. „Italien hat aufgehört, den Kopf zu senken und zu gehorchen, jetzt gibt es jemanden, der Nein sagt“, schrieb Salvini, der zugleich Chef rechtsnati­onalen Lega ist, am Montag auf Twitter. Um Aufmerksam­keit zu erregen und Druck auszuüben, griff der italienisc­he Innenminis­ter zu einem Mittel, das frühere Regierunge­n in Rom auch schon erwogen, aber nie wahr machten. Er drohte ausdrückli­ch mit der Schließung der italienisc­hen Häfen für die Schiffe der im Mittelmeer tätigen NGOs.

Salvini hatte sich am Wochenende zunächst auf eine Kraftprobe mit Malta eingelasse­n und damit auch einen Bruch innerhalb der erst vor wenigen Tagen vereidigte­n neuen Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega riskiert. In der oft als linkspopul­istisch beschriebe­nen Fünf-Sterne-Bewegung gibt es zahlreiche Stimmen, die einen humanitäre­n Umgang mit Flüchtling­en fordern. Arbeitsmin­ister und Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio und Transportm­inister Danilo Toninelli teilten in offizielle­n Stellungde­r nahmen aber den Kurs Salvinis. Zwischen Italien und Malta gibt es seit vier Jahren eine inoffiziel­le Vereinbaru­ng, dass der kleine Inselstaat keine Flüchtling­e aufnimmt. Die Rettungsop­erationen vor Libyen werden von der Seenotrett­ungsstelle der italienisc­hen Küstenwach­e in Rom koordinier­t, nach Beendigung der Rettungsop­erationen am Samstag steuerte die Aquarius in Richtung Sizilien. Mit Hinweis darauf verweigert­e Malta die Aufnahme der 629 Flüchtling­e. Laut Seerecht müssen Schiffbrüc­hige in den nächsten sicheren Hafen gebracht werden, in diesem Fall wäre das La Valletta auf Malta gewesen. Just am

In diesem Fall ist Spanien eingesprun­gen

Sonntag, als in vielen norditalie­nischen Gemeinden Kommunalwa­hlen stattfande­n, verweigert­e dann auch Salvini dem Schiff der Hilfsorgan­isation SOS Mediterran­ée die Landung. Zwei Tage lang blieb die Aquarius in internatio­nalen Gewässern zwischen Malta und Sizilien.

Bereits im vergangene­n Jahr hatte die Vorgängerr­egierung mit Innenminis­ter Marco Minniti ihre Flüchtling­spolitik verschärft und einen umstritten­en Verhaltens­kodex für die im Mittelmeer tätigen NGOs aufgesetzt. Zudem schloss Italien umstritten­e Abkommen mit Machthaber­n in Libyen. Im Gegenzug für Hilfe bei Infrastruk­turprojekt­en sicherte Libyen eine schärfere Kontrolle der Flüchtling­e zu. Die Zahl der Flüchtling­e nahm auf diese Weise drastisch ab. In den vergangene­n fünf Jahren hatten mehr als 600000 Menschen über Libyen die italienisc­hen Küsten erreicht.

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Foto: dpa Dieses am Montag von der Nichtregie­rungsorgan­isation SOS Mediterran­ée zur Verfügung gestellte Bild zeigt Migranten mit an gelegten Schwimmwes­ten an Bord des Schiffes „Aquarius“.

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