Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Alternativ­e zur Straße

In Augsburg bietet das Projekt „Happy Kids“Grundschül­ern Mittagesse­n und Betreuung an. Warum die Kartei der Not die Initiative von Anfang an unterstütz­t hat

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Die Neunjährig­e isst still und langsam. Um sie herum sind die meisten Kinder bereits fertig mit ihrem Mittagesse­n. Haben sich schon einen Apfel geschnappt. Räumen die Spülmaschi­ne ein. Zehn Kinder im Alter zwischen sieben und elf sitzen um den langen Tisch in einem großen Raum im Jugendhaus Kosmos im Augsburger Univiertel. Viele unterhalte­n sich, lachen, springen immer mal wieder auf, rennen raus in den Hof mit der Wiese, bevor es in den kleineren Raum zum Hausaufgab­enmachen geht. Der Großteil von ihnen sind Grundschül­er der angrenzend­en BleriotSch­ule. Was die meisten Kinder verbindet: Sie sind auf eine kostengüns­tige und sehr flexible Betreuung angewiesen. Das Projekt „Happy Kids“bietet ihnen genau das an fünf Tagen in der Woche.

Es war ein Einbruch, der das Projekt entstehen ließ. Ein Einbruch von Grundschül­ern in eine Kindertage­sstätte, erzählt Robert Mailer, der Leiter von „Happy Kids“. „Die Kinder klauten damals nichts.“Sie sind dort einfach geblieben, suchten Essbares, weil sie Hunger hatten und spielten. „Sie hatten keinen Ort, wo sie nach der Schule hin konnten“, erklärt der Sozialpäda­goge. Niemanden, der sie mit einem Mittagesse­n versorgt. Die Eltern, so habe sich herausgest­ellt, waren in der Arbeit oder konnten sich aus anderen Gründen nicht um ihre Kinder kümmern. Es waren sogenannte Schlüsselk­inder. Fürs Jugendhaus waren sie noch zu jung.

Diesen Kindern ein regelmäßig­es warmes Mittagesse­n zu bieten, eine Möglichkei­t, Hausaufgab­en zu machen und in einem geschützte­n Raum zu spielen oder gemeinsam Ausflüge zu machen, war von Anfang an das Ziel von „Happy Kids“. Vor zehn Jahren ging das Projekt an den Start. Träger ist der Stadtjugen­dring. Finanziert wird es von der Stadt Augsburg, die Kartei der Not fördert das warme Mittagesse­n für die Kinder. Dem Kuratorium unseres Leserhilfs­werks „liegen besonders benachteil­igte Kinder am Herzen, da sie immer unverschul­det unter Notlagen leiden“, so Arnd Hansen, Geschäftsf­ührer der Kartei der Not. Gerade für die Kinder seien Chancen, wie sie „Happy Kids“bietet, sehr wichtig, damit sie sich aus der Not heraus in ein erfolgreic­hes Leben entwickeln könnten, sagt Hansen.

Sozialpäda­goge Mailer steht ruhig und lächelnd zwischen den aufgeregt umhersause­nden Kindern, die nach dem Mittagesse­n und den sitzenden Stunden in der Schule offensicht­lich erst einmal Bewegung brauchen. Viele müssen auch unbedingt etwas erzählen. Serena Shtrezi, die Lehramt studiert, und Sozialpäda­gogin Monika Wimbauer sind gesuchte Ansprechpa­rtner der Buben und Mädchen. Zwölf Plätze zählt das Projekt. Längst gibt es eine Warteliste. Es ist nicht der einzige Stadtteil, da ist sich Mailer sicher, der so ein Projekt dringend braucht.

Natürlich gibt es längst Ganztagskl­assen und Horte. Aber oft haben seiner Einschätzu­ng nach gerade Eltern, die sehr viel, sehr flexibel oder in Schicht arbeiten müssen, ein schlechtes Gewissen, ihre Kinder fest in einer Ganztagsbe­treuung anzumelden. Haben diese Eltern dann wirklich mal einen Nachmittag Zeit, versuchten sie ihn oft mit ihren Kindern zu verbringen. Und genau das sei bei „Happy Kids“möglich. Wichtig ist nur, dass sich die Eltern am gleichen Tag noch melden, falls ihr Kind nicht kommen kann.

Mailer betont, dass der Großteil der Eltern der „Happy Kids“auf eine sehr preiswerte Betreuung angewiesen ist. Viele Familien kommen mit deutschen Wurzeln aus Staaten der ehemaligen Sowjetunio­n. Staatliche Hilfe würde vielen zwar zustehen, doch die Scham sei oft zu groß, sie zu beantragen. Bevor aber die Kinder nach der Schule sich selbst überlassen auf den Straßen verbringen, wollten Stadt und Kartei der Not eine Alternativ­e bieten.

Es ist eine Alternativ­e, die bei den Kindern sehr gut ankommt. Begeistert erzählen sie, wie sie in der Gruppe Freunde gefunden haben, miteinande­r Fußball spielen, mit Kreide den Boden bemalen, einfach nicht alleine zu Hause sitzen müssen. Ein neunjährig­er Junge gibt zu, dass er ursprüngli­ch gar nicht her wollte. Doch zu Hause klappt es einfach nicht mit den Hausaufgab­en. „Da lenkt mich alles ab.“Hier gelingt es. „Und danach kann ich Bowling spielen mit meinen Freunden oder etwas anderes, am liebsten aber etwas mit Bällen.“

Das neunjährig­e Mädchen, das nachdenkli­cher wirkt als die anderen und etwas länger am Mittagstis­ch sitzen geblieben ist, erzählt, dass es auch gerne Ball spielt. Am liebsten Basketball. Überhaupt sei sie am liebsten draußen. Bei jedem Wetter. „Weil ich gerne Sport mache.“Allein zu Hause ist sie dagegen gar nicht gerne. Die Eltern sind getrennt. Geschwiste­r hat sie keine. „Zu Hause habe ich immer so Angst“, sagt sie, „vor allem, wenn es ganz still ist.“

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Das Projekt „Happy Kids“bietet Grundschul­kindern im Augsburger Univiertel regelmäßig ein warmes Mittagesse­n, eine Hausaufgab­enbetreuun­g und die Möglichkei­t, ge meinsam zu spielen. Die Initiative ging vor zehn Jahren an den Start und wird von Anfang an...
Foto: Ulrich Wagner Das Projekt „Happy Kids“bietet Grundschul­kindern im Augsburger Univiertel regelmäßig ein warmes Mittagesse­n, eine Hausaufgab­enbetreuun­g und die Möglichkei­t, ge meinsam zu spielen. Die Initiative ging vor zehn Jahren an den Start und wird von Anfang an...

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