Augsburger Allgemeine (Land West)

„...und dann war ich Olympiasie­gerin“

1960 gewann Heidi Grundmann-Schmid in Rom Florett-Gold. Warum sie den Erfolg quasi im Sitzen errang, wer ihr damals die Show stahl und wo die Medaille inzwischen ihren Platz gefunden hat (Serie/14)

- Klingt ja eher unspektaku­lär. Am gleichen Tag gewann damals in Rom Armin Hary Olympia-Gold über 100 Meter. Das hat Ihren Erfolg vermutlich etwas in den Schatten gestellt. In Augsburg wurden Sie nach dem Olympiasie­g von zehntausen­den MenViele Interview: An

Frau Grundmann-Schmid, Sie werden im Winter 80, wie geht es Ihnen?

Grundmann Schmid: Man hat natürlich seine Zipperlein. Ich habe mir vergangene­n Oktober die Schulter operieren lassen, weil ich wieder Geige spielen wollte. Das geht jetzt, auch wenn es ewig gedauert hat. Das ist eine Altersersc­heinung, Verschleiß. Noch dazu bin ich im Urlaub gestürzt – allerdings nicht aus Altersschw­äche. Da wird man in meinem Alter ja schnell verdächtig­t (lacht). Trotzdem bin ich zum Glück insgesamt bei guter Gesundheit.

Profitiere­n Sie davon, dass Sie früher Leistungss­port betrieben haben?

Grundmann Schmid: Naja, im Alter lassen die Muskeln unheimlich nach, wenn man nichts macht. Da kann man fast schon zuschauen. Sie dann wieder herzubekom­men ist ein weiter Weg. Und man ist nicht immer motiviert. Ich gehe momentan zweimal pro Woche zur Physiother­apie und zweimal zum Gerätetrai­ning.

Und was machen Sie, wenn Sie gerade nicht im Training sind?

Grundmann Schmid: Glückliche­rweise kann ich mit meiner Schulter wieder Geige spielen. Die Musik ist meine Leidenscha­ft. Außerdem verbringe ich viel Zeit mit meinen beiden Kindern. Mein Sohn lebt in Augsburg, meine Tochter in Reutte. Wer denkt, dass eine Rentnerin viel Zeit hat, der irrt.

Welchen Bezug haben Sie noch zum Fechten?

Grundmann Schmid: Eigentlich nur noch über meine Tochter, die da stark involviert ist. Meine ehemaligen Fechtkamer­aden treffe ich nur noch ab und zu. Wenn in der Nähe ein Turnier ist, schaue ich manchmal zu. Vor allem, wenn meine Tochter da ist. Die kennt dann alle.

Sie fechten also nicht mehr aktiv?

Grundmann Schmid: Nein. Es gibt zwar Senioren-Turniere bis hin zu Weltmeiste­rschaften. Aber das ist nichts für mich. Das, was ich mal konnte, kann ich nicht mehr abrufen. Mir würde es keinen Spaß machen. Ich hatte in meiner aktiven Zeit unheimlich viel Spaß am Fechten, aber ich konnte leicht loslassen.

Sie haben Ihre Karriere von einem Tag auf den anderen beendet?

Grundmann Schmid: Ja. Die haben mich zwar noch mal reaktivier­t für die Sommerspie­le 1972 in München und ich hätte tatsächlic­h fast die Qualifikat­ion geschafft. Ich hatte damals aber schon ein Kind und war innerlich nicht mehr richtig dabei.

Sportler sagen nach dem Ende ihrer Karriere, das Leben danach sei deutlich langweilig­er, weil diese extremen Emotionen fehlen. Vermissen Sie die Zeit als Sportlerin?

Grundmann Schmid: Überhaupt nicht. Ich habe mit meinem Mann die ganze Welt bereist, mir war nie langweilig.

Wie sind Sie damals mit dem Druck umgegangen? Es gibt vermutlich Entspannte­res als ein olympische­s Finale?

Grundmann Schmid: Ich hatte immer nur das nächste Gefecht im Auge. Zu sagen, ich werde Olympiasie­gerin wäre ja viel zu hoch gegriffen gewesen. Kein Mensch hat an so etwas gedacht. Natürlich will man jedes Gefecht gewinnen, klar. Ich hatte aber auch unheimlich­es Glück, dass ich nicht gleich am Anfang eine Angstgegne­rin bekommen habe. Ich hatte in Italien immer schöne Erfolge, keine Ahnung warum.

Sie haben das olympische Turnier also nicht als Druck empfunden?

Grundmann Schmid: Nein. Niemand hat etwas von mir erwartet. Ich nicht und sonst auch niemand. Als ich dann Olympiasie­gerin war, waren alle überrascht – ich eingeschlo­ssen.

Wie war der Moment, als Ihnen Gold sicher war?

Grundmann Schmid: Ich bin quasi im Sitzen Olympiasie­gerin geworden. Damals gab es noch eine Endrunde. Ich hatte mein letztes Gefecht schon hinter mir und musste noch ein anderes Gefecht abwarten. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie es war. Auf jeden Fall hatte ich es nicht selbst in der Hand. Ich saß also da und dann war ich Olympiasie­gerin.

Grundmann Schmid: Fast. Bei der Weltmeiste­rschaft ein Jahr später war es anders. Da gab es ein Gefecht um Gold. Das war schöner. Grundmann Schmid: Das kann man so sagen. Es waren auch keine Italiener mehr im Endkampf, weswegen es in der Halle eher ruhig war. Leider gibt es keine Fernsehbil­der von dem Finale. Das ist wirklich schade. Ich hätte gerne mal gesehen, wie wir damals eigentlich gefochten haben.

schen begeistert empfangen. Hatten Sie davon gewusst?

Grundmann Schmid: Ich hatte keine Ahnung. Wir sind mit dem Nachtzug heimgefahr­en. Und meine Mutter hat gesagt, dass ich mich wenigstens ordentlich frisieren soll – man wisse ja nie, was passiert. Und dann war da eine ganze Abordnung am Bahnhof. Auf dem Weg in die Stadt standen tausende Menschen an der Straße. Ich saß neben Oberbürger­meister Klaus Müller in einem offenen Auto und der OB hat mir immer gesagt: „Jetzt winken Sie hier – und jetzt winken Sie da.“Ich glaube, er hat mir sogar ein Taschentuc­h in die Hand gedrückt. Das Auto haben sie damals extra aus Stuttgart geholt. Es soll sogar Heidi-Plätzchen gegeben haben. Verrückt.

War es Ihnen unangenehm, so im Mittelpunk­t zu stehen?

Grundmann Schmid: Ich war so überrumpel­t, dass ich mich gefühlt habe, als würde ich mir selbst zuschauen. Das kann man alles gar nicht begreifen. Ich stand regelrecht neben mir. Es hat mich natürlich gefreut, aber ich habe schon auch gefragt, was denn da jetzt alles auf mich zukommt. In der Öffentlich­keit zu stehen war nie so mein Ding.

Werden Sie heute noch auf den Olympiasie­g angesproch­en?

Grundmann Schmid: Interessan­terweise kommen jetzt im Alter einige aus dem Versteck. Neulich bin ich beim Metzger gestanden, als mich eine Frau gefragt hat, ob ich die Fechterin von Rom bin. So ein Olympiasie­g bleibt einem für immer, obwohl der Weltmeiste­rtitel damals viel schwierige­r zu gewinnen war, die Konkurrenz war stärker.

Schauen Sie heutzutage Olympische Spiele im Fernsehen an?

Grundmann Schmid: Die Begeisteru­ng wird weniger. Die olympische Idee ist nach wie vor toll. In Rom war alles klein und familiär. Da gab es im olympische­n Dorf einen Pavillon, an dem man sich getroffen hat. Da hatten Sportler Instrument­e dabei und haben Musik gemacht. Seitdem wurde es immer größer. Heute ist das eine andere Welt. Der ganze Sport ist eine andere Welt.

Gilt das auch für das Fechten?

Grundmann Schmid: Das muss man ein bisschen ausklammer­n. Fechten ist kein populärer Sport, da verdienen die Leute bis auf ein paar Ausnahmen auch kein Geld. Wenn man sich dagegen den Fußball anschaut – die sollen ja gerne viel verdienen. Aber so viel? Wir waren damals noch reine Amateure. Es gab keine Prämie für den Olympiasie­g. Es gab die Medaille und die war auch nur vergoldet, da schaut inzwischen schon das Material darunter raus.

Hat die Medaille dann wenigstens einen Ehrenplatz bekommen?

Grundmann Schmid: Nein. Eine Zeit lang habe ich sie nicht mehr gefunden. Dann habe ich sie in einen Banksafe getan und zu meinem 75. Geburtstag wollte sie ein Pressefoto­graf sehen. Seitdem hängt sie hinter der Türe bei einem Faschingso­rden – sie ist mir aber natürlich sehr viel mehr wert. Ich wollte sie nur irgendwie nie zur Schau stellen oder präsentier­en.

● Heidi Grundmann Schmid, 79, stammt aus Klagenfurt und zog mit ihren Eltern nach dem Krieg nach Augsburg. Mit 13 begann sie beim TSV Schwaben zu fechten. 1960 ge wann sie olympische­s Florett Gold in Rom, 1964 Bronze in Tokio mit der Frauen Florett Equipe.

1961 wurde sie Weltmeiste­rin und Sportlerin des Jahres in Deutschlan­d. (AZ)

 ?? Foto: Pressebild Agentur Schirner ?? Auf unserem Archivbild bereitet sich die Florett Fechterin Heidi Grundmann Schmid auf das WM Finale 1967 in Montreal vor. Ihr größter Erfolg gelang der Augsburger­in aber bei den Olympische­n Spielen 1960 in Rom.
Foto: Pressebild Agentur Schirner Auf unserem Archivbild bereitet sich die Florett Fechterin Heidi Grundmann Schmid auf das WM Finale 1967 in Montreal vor. Ihr größter Erfolg gelang der Augsburger­in aber bei den Olympische­n Spielen 1960 in Rom.
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