Augsburger Allgemeine (Land West)
Drinnen schimpfen Nutzer, draußen die Kreisräte
Die Tarifreform sorgt bei Kunden vor allem in der Stadt Augsburg für Ärger. In den zwei Flächen-Landkreisen sind ständig wachsende Defizite dagegen ein Thema der Kommunalpolitiker. Warum Einsparungen auf der Strecke bleiben
Die Tarifreform sorgt bei Kunden vor allem in der Stadt Augsburg für Ärger. In den zwei FlächenLandkreisen sind ständig wachsende Defizite dagegen ein Thema der Kommunalpolitiker. Warum Einsparungen auf der Strecke bleiben.
Aichach Friedberg/Augsburg Busund Bahnverkehr ist deutlich ökologischer als der motorisierte Individualverkehr. ÖPNV ist ein sozialer Faktor, aber auch Wirtschafts- und Standortvorteil. Er verbraucht viel weniger Energie und Fläche und verringert die Belastungen der Menschen – vor allem in Städten – durch Feinstaub, Abgase wie Stickoxid und Lärm. Für die Stadt Augsburg ist kostenloser Nahverkehr in der City auch ein Lösungsansatz, um Diesel-Fahrverbote in der Innenstadt zu vermeiden. Öffentlicher Personennahverkehr ist allerdings, zumindest rein betriebswirtschaftlich betrachtet, für Kommunen kein Gewinnbringer, sondern eigentlich immer ein Zuschussgeschäft. Augsburg legt pro Jahr rund 40 Millionen Euro für seinen Nahverkehr drauf. Im Vergleich zum deutlich geringeren ÖPNV-Angebot gegenüber der Fuggerstadt trifft es die umliegenden Flächenlandkreise AichachFriedberg und Augsburg sogar noch um einiges mehr.
Während in der Stadt vor allem Gelegenheits-Fahrgäste über die für sie teure Tarifreform verärgert sind, gibt es kaum Klagen von Kunden aus der Region – sie profitieren sogar. Dafür sorgt die Kostenentwicklung zumindest bei einem Teil der Kreispolitiker regelmäßig für Unmut. Seit Gründung des Augsburger Verkehrsverbunds (AVV) vor über
30 Jahren hat das Wittelsbacher Land immer Defizite für den ÖPNV ausgeglichen. Vor 20 Jahren waren es rund 1,3 Millionen Euro und 2017
5,5 Millionen Euro. In diesem Jahr geht das AVV-Minus durch die Decke. Aichach-Friedberg muss heuer entsprechend seiner Anteile als einer von vier Gesellschaftern (dazu Stadt und Kreis Augsburg, Kreis Dillingen) laut Wirtschaftsplan 7,4 Millionen Euro übernehmen – das ist fast sechsmal so viel wie vor zwei Jahrzehnten. Das liegt auch an einer Neuverteilung nach einem Verkehrsgutachten vor zehn Jahren. Aichach-Friedberg gleicht seit 2013 über ein Drittel des Verlustes aus dem AVV-Regionalbusverkehr aus. Der Kreis Augsburg mit fast doppelt so vielen Einwohnern übernimmt heuer laut Plan 8,8 Millionen Euro vom AVV-Defizit (insgesamt über
20 Millionen).
Den Kreispolitikern ist immer wieder in Aussicht gestellt worden, dass sich die Kostenspirale nicht mehr weiter nach oben dreht. Doch der Trend ist eindeutig. Das liegt neben allgemeinen Kostensteigerungen auch daran, dass das Angebot im Verkehrsverbund seit Jahren ausgeweitet wird. Zusätzliche Linien und Fahrten erschließen neue Gebiete und versorgen abgelegene Orte besser. Das ist gut für die Menschen im ländlichen Raum, aber diese Busfahrten können nicht kostendeckend sein. Im Jahr werden im Verbundgebiet von allen Buslinien zusammen 15,6 Millionen Kilometer gefahren – das entspricht rund 40 Fahrten zum Mond. Die Bahnlinien bringen es auf 4,5 Millionen Schienenkilometer.
Der AVV erhöhte seine Ticketpreise vor einem Jahr im Schnitt um 3,25 Prozent. Mit der vor allem in der Fuggerstadt höchst umstrittenen Tarifreform seit Januar profitieren Abonnenten, dafür müssen vor allem die Käufer von Einzelfahrkarten deutlich mehr zahlen. Das Ziel: mehr Fahrgäste, höhere Einnahmen und damit zumindest mittelfristig auch eine Dämpfung der Verluste für die Kommunen.
Doch das haben die verantwortlichen Kommunalpolitiker schon öfters gehört. Auch vor der besonders Kreis Aichach-Friedberg sehr umstrittenen Entscheidung des Kreistags für die europaweite Ausschreibung der Buslinien und den schärferen Wettbewerb war die Rede von einer deutlichen Senkung des Defizits.
Allein für das Wittelsbacher Land sollten es am Ende zwei Millionen Euro weniger sein. Der AVV sieht sich durch die Ergebnisse bestätigt. Die ersten vier Buslinien-Bündel, die 2015 vergeben wurden, lagen laut Verkehrsverbund mit Kosten von 3,5 Millionen Euro in etwa um eine Million unter den Erwartungen – also über 20 Prozent. Geschäftsführer Olaf von Hoerschelmann rechnet die bisherigen Einsparungen durch die Ausschreibungen auf rund zwei Millionen hoch – und einige Buslinien folgen ja noch. Die Gesellschafter haben dies allerdings nie zu spüren bekommen. Aichachs Landrat Klaus Metzger erklärt es so: Ohne die Ausschreibung wäre der Defizitanteil noch um einiges höher. Von Hoerschelmann beschreibt es betriebswirtschaftlich: „Die Einsparungen werden durch andere Effekte überlagert.“Als da wären: Mehrkilometer wie zuletzt in Friedberg, geringere Einnahmen bei der Schülerbeförderung und höhere Zahlungen an die Zugunternehmen im AVV-Gebiet im Rahmen der Tarifreform. Für von Hoerschelmann ist die Vorstellung eines kostendeckenden ÖPNV, wie er bei einigen Kritikern heraushört, generell illusorisch. Er sieht sich im Spagat: Der Nahverkehr in der Region soll weiter entwickelt und verbessert werden und gleichzeitig sollen die Defizite nicht exponentiell steigen. Darüber sei er mit den Gesellschaftern im intensiven Austausch.
Was sagt die Politik? Die AVVGesellschafter haben den Vorentwurf der Geschäftsführung für den Haushalt 2019 nicht akzeptiert, berichtet Metzger. Man ahnt es: Dort werden schon die nächsten Erhöhungen angekündigt. Nicht nur Metzger fordert vom AVV Einsparungen: „Ohne das Angebot einzudampfen.“
Ein AVV-Kritiker wie der Rehlinger Busunternehmer und Kreisrat Xaver Hörmann hält dem Verbund explodierende Personal- und Verwaltungskosten vor. Im Augsburger Kreistag zählt der FreieWähler-Fraktionschef Fabian Mehim ring zu den schärfsten Kritikern. Seit 2011 habe sich das Defizit verdoppelt, die Fahrgastzahlen seien aber gesunken. In Mehrings Augen ist das zum Teil ein hausgemachtes Problem: Buslinien werden europaweit ausgeschrieben, zum Zuge kämen große Anbieter, die die Aufträge wiederum an kleine Subunternehmer vergeben, während regionale Anbieter auf der Strecke blieben. „Dieses Konstrukt ist ein Wahnsinn.“Der AVV müsse organisatorisch neu aufgestellt werden.
Letzten Endes müssten aber mehr Fahrgäste her und deshalb ist Mehring für eine Reform der gerade erst eingeführten Tarifreform. Nur drei Preiszonen (Stadt, Stadt/Umland und Land) seien attraktiver. Zu guter Letzt aber kranke die Attraktivität des Nahverkehrs in der Region Augsburg an der mangelnden Infrastruktur, sagt Fabian Mehring. Solange die Gleise für einen S-Bahnähnlichen Verkehr fehlten, habe der Nahverkehr im Rennen um Fahrgäste schlechte Karten. Auch auf die Staudenbahn müssten die Menschen noch immer warten. Hier sei der Freistaat am Zug – und das seit Jahren.