Augsburger Allgemeine (Land West)

Söder will die CSU retten, aber er kratzt an ihrem Wertefunda­ment

Seit 100 Tagen ist der Ministerpr­äsident im Amt. Für das Ziel, die absolute Mehrheit im Landtag zu verteidige­n, setzt er sogar das Bekenntnis zu Europa aufs Spiel

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger allgemeine.de

Es gibt einen Spruch von Franz Josef Strauß, der für die CSU seit rund einem halben Jahrhunder­t ein Glaubensbe­kenntnis war: „Bayern ist unsere Heimat, Deutschlan­d ist unser Vaterland, Europa ist unsere Zukunft.“Markus Söder, der zwei Generation­en nach Strauß bayerische­r Ministerpr­äsident wurde, ist drauf und dran, sich von diesem grundsätzl­ichen Bekenntnis seines großen politische­n Vorbilds zu verabschie­den. Mit seinem leichtfert­igen Gerede vom „Ende des geordneten Multilater­alismus“stellt Söder das Projekt Europa infrage. Das ist die mit Abstand gefährlich­ste Entwicklun­g in seinen ersten 100 Tagen als Regierungs­chef in Bayern. Denn was, bitte schön, soll die Alternativ­e zur Zusammenar­beit in Europa sein? Etwa ein ungeordnet­er Nationalis­mus? Jeder gegen jeden?

Ginge es nur um seine erste Zwischenbi­lanz als Ministerpr­äsident, könnte hier viel Bemerkensw­ertes über Söder stehen. Dass er mit Leidenscha­ft und Fleiß zu Werke geht, können ihm nicht einmal seine härtesten Kritiker absprechen. Dass es ihm gelungen ist, die CSU im Landtag als geschlosse­ne Truppe hinter sich zu bringen, verschafft ihm auch an der Parteibasi­s Anerkennun­g und Respekt. Seine persönlich­en Zustimmung­swerte in Umfragen lassen die CSU hoffen.

Söder ist ein herausrage­nder Techniker der Macht und ein Großstrate­ge bei der Vermarktun­g politische­r Inhalte. Seine Regierungs­erklärung, seine Bierzeltre­den, seine Formelbots­chaften, sein offener Umgang mit Medien – alles, was er sagt und tut, ist ausschließ­lich auf das Ziel ausgericht­et, bei der Landtagswa­hl am 14. Oktober die absolute Mehrheit der CSU im Landtag zu verteidige­n.

Kritik von linker, liberaler oder grüner Seite stört ihn nicht. Im Gegenteil. Sie ist ihm sogar willkommen, weil er in diesem Wahlkampf nur einen einzigen Gegner kennt: die AfD. Wer von links kritisiert wird, der wird rechts wählbar. Dieser simplen Logik folgt der Rechtsruck, den Söder der CSU in Bayern verordnet hat. Die Liberalund Wertkonser­vativen in der Partei, denen Kampfbegri­ffe wie „Asyltouris­mus“, „Asylgehalt“oder „Belehrungs­demokratie“zu demagogisc­h sind, schweigen dazu (noch). Und auch die CSU-Wirtschaft­spolitiker, die sich um die Arbeitsplä­tze in der Exportwirt­schaft sorgen, halten sich (noch) zurück.

Kräftig auf den Putz zu hauen, aber in der Praxis dann doch pragmatisc­h zu handeln, ist eine von der CSU seit Jahrzehnte­n erfolgreic­h praktizier­te Strategie. Im Landtagswa­hljahr 2018 aber hat sich die Partei unter der Doppelspit­ze Horst Seehofer und Markus Söder in eine Situation manövriert, in der alles auf dem Spiel steht: der Zusammenha­lt mit der Schwesterp­artei CDU, die Stabilität und das Wertefunda­ment des politische­n Systems in Deutschlan­d und die Zukunft der Europäisch­en Union, die den Bürgern in Bayern und Deutschlan­d wirtschaft­lichen Wohlstand, soziale Sicherheit und Reisefreih­eit von Portugal bis Finnland beschert hat.

Söder hält es für eine Stärke, sich ausschließ­lich auf den 14. Oktober zu konzentrie­ren und alles andere diesem einen Ziel unterzuord­nen. Er meint, dass das Schicksal der CSU als Volksparte­i allein dadurch schon besiegelt ist, wenn sie sich im Landtag einen Koalitions­partner suchen muss. Er meint, der Zeitgeist rücke nach rechts, also müsse auch die CSU weiter nach rechts. Dass er damit der AfD nur in die Hände spielt, dass die CSU dann nicht mehr dieselbe ist wie zuvor, dass sie ihre Kraft zur Integratio­n breiter Wählerschi­chten verlieren könnte, klammert er ebenso aus wie alle anderen Risiken auch. Für einen härteren Kurs in der Asylpoliti­k mag es eine Mehrheit geben, für einen Anti-Europa-Kurs mit Sicherheit nicht.

Noch schweigen die Kritiker in der Partei

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