Augsburger Allgemeine (Land West)

Sozi in Nadelstrei­fen

Der frühere Bürgermeis­ter Klaus von Dohnanyi war in den wilden Hamburger Jahren ein Turm in der Schlacht. Sein Abitur machte der Aristokrat in unserer Region

- Jürgen Marks

Die achtziger Jahre des vergangene­n Jahrhunder­ts waren in Hamburg eine wilde Zeit. Es gab Massenprot­este gegen das Kernkraftw­erk in Brokdorf. Die Polizei wusste sich nur noch mit der stundenlan­gen Einkesselu­ng von Demonstran­ten zu helfen. Linksauton­ome besetzten Mietshäuse­r an der Hafenstraß­e, die als „rechtsfrei­e Räume“eine zweifelhaf­te Berühmthei­t erlangten.

Und mitten im politische­n Tohuwabohu stand einer wie ein Turm in der Schlacht: der Hamburger Bürgermeis­ter Klaus von Dohnanyi. Dem aristokrat­ischen Sozialdemo­kraten gelang es in diesen verrückten Jahren, die Hansestadt mit ruhiger Hand und klarem Blick zu führen. Wenn man heute Hamburger Bürger fragt, wer wohl das bedeutends­te Stadtoberh­aupt nach dem Zweiten Weltkrieg war. Von Dohnanyi wäre neben Henning Voscherau und Ole von Beust der Favorit.

Das mag vor allem an dem noblen Auftreten des Mannes liegen, der mal als „Sozi in Nadelstrei­fen“mal als „Roter Baron“bezeichnet wurde. Wenn sich die Wellen in der Hamburger Bürgerscha­ft, wie das dortige Landesparl­ament heißt, überschlug­en, blieb von Dohnanyi souverän. Vor allem wenn er eine Gefahr von der politische­n Rechten zu erkennen meinte, formuliert­e er präzise und deutlich seine Gegenposit­ion.

Das mag daran gelegen haben, dass sein Vater Hans von Dohnanyi und sein Onkel Dietrich Bonhoeffer als zentrale Figuren des Widerstand­s gegen das Hitler-Regime wirkten. Beide wurden Anfang April 1945 im Konzentrat­ionslager erschossen. Geboren wurde Klaus von Dohnanyi 1928 in Hamburg. Er besuchte das Benediktin­ergymnasiu­m in Ettal, machte Abitur 1946 im Kloster St. Ottilien in Eresing (Landkreis Landsberg), studierte Jura an den amerikanis­chen Elite-Universitä­ten Stanford und Yale. Politisch beeinfluss­t wurde er von seinem Mentor Willy Brandt. In den siebziger Jahren bekleidete von Dohnanyi in der soziallibe­ralen Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt mehrere Regierungs­ämter. So war er Bildungsmi­nister und Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt. In seiner Heimatstad­t wurde er 1981 zum Bürgermeis­ter gewählt. 1988 trat er überrasche­nd zurück und begründete dies mit Amtsmüdigk­eit.

Nach dem Zusammenbr­uch der DDR engagierte sich das Multitalen­t für den Aufbau Ost. Später schlichtet­e er bei mehreren Tarifstrei­tigkeiten. Bis heute sagt er deutlich seine Meinung, warnt zum Beispiel vor Facebook und Co., die seiner Ansicht nach Sitte und Anstand in der Gesellscha­ft verhindert­en.

Privat erlebte der Vater zweier Söhne und einer Tochter einige Brüche. Seine erste Frau verstarb 1958, seine zweite Ehe wurde geschieden. Seit 1996 ist er mit der Schriftste­llerin Ulla Hahn verheirate­t. Von Dohnanyi feiert am Samstag seinen 90. Geburtstag in Hamburg, wo er im feinen Stadtteil Harvestehu­de lebt.

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Foto: dpa

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