Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir müssen jedem etwas anbieten“

Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek möchte verhindern, dass sich akademisch­e und berufliche Bildung gegeneinan­der ausspielen. Was sie für die Lehrer und eine bessere Ausstattun­g für die Schulen tun will

- Der Bildungsfö­deralismus ist dabei, Interview: Martin Ferber

Frau Karliczek, Ihre Berufung zur Bildungs- und Forschungs­ministerin war eine Überraschu­ng – auch für Sie? Was war Ihr erster Gedanke, als Sie den Anruf von Frau Merkel erhielten? Anja Karliczek: Sie sagte erst gar nicht, worum es geht, als ich den Anruf erhielt, zu ihr ins Kanzleramt zu kommen. Und so bin ich ins Kanzleramt marschiert. Ich bat dann kurz um Bedenkzeit, um das mit meinem Mann zu besprechen, weil die Aufgabe einer Ministerin und einer direkt gewählten Abgeordnet­en ein doppeltes Zeitbudget in Anspruch nimmt, ganz abgesehen von den inhaltlich­en Herausford­erungen. Aber die Familie trägt’s mit.

Nun sind Sie seit 100 Tagen im Amt, Sie haben die erste Kultusmini­sterkonfer­enz mit Ihren sehr selbstbewu­ssten Länderkoll­egen hinter sich. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Karliczek: Es hat gutgetan, dass wir miteinande­r gesprochen haben und viele Dinge bereits klären konnten. So groß sind die Differenze­n gar nicht. Und wo wir uns noch nicht einig sind, arbeiten wir daran.

Der Streit zwischen CDU und CSU über die Flüchtling­spolitik bestimmt derzeit die politische Agenda. Ist davon auch in den Sitzungen des Bundeskabi­netts etwas zu spüren? Karliczek: Natürlich beeinfluss­t das auch die Sitzungen des Kabinetts und es war auch beim deutschfra­nzösischen Ministerra­t in Meseberg ein Thema. Aber die Diskussion­en werden sehr sachlich geführt.

Wie erleben Sie Innenminis­ter Horst Seehofer?

Karliczek: Ich sitze beim Kabinettsf­rühstück neben ihm, ich erlebe die Situation als ganz normal, sehr sachlich, kein Unterschie­d zu früher.

Dennoch stehen unveränder­t das Ultimatum von Horst Seehofer und die Drohung Merkels, von der Richtlinie­nkompetenz Gebrauch zu machen. Steht die Regierung vor dem Ende? Karliczek: Es macht mir Sorge, dass sich die Lage derart zugespitzt hat. Wir müssen einen gemeinsame­n Weg finden, denn wir haben doch ein gemeinsame­s Ziel! Es geht doch nicht um ein Entweder-oder. Wir müssen mit unseren europäisch­en Partnern eine Lösung finden und diese dann auf nationaler Ebene umsetzen, damit die Menschen uns vertrauen. Ich kann nur hoffen, dass jeder seinen Teil dazu beiträgt.

Das Handwerk sucht dringend Lehrlinge, gleichzeit­ig haben wir an den Universitä­ten überfüllte Hörsäle, an vielen gibt es einen internen Numerus clausus. Haben wir zu viele Akademiker und zu wenige Handwerker? Karliczek: Da die Akademiker in der Regel einen Arbeitspla­tz finden, stellt sich diese Frage nicht. Wir dürfen nur akademisch­e und berufliche Bildung nicht gegeneinan­der ausspielen. Wichtig ist, dass jeder junge Mensch seinen Weg gehen kann und dass wir jedem etwas anbieten können. Unsere gute wirtschaft­liche Situation sorgt im Moment für Engpässe auf dem Arbeitsmar­kt in vielen Bereichen. Gleichwohl bin ich entschloss­en, die berufliche Bildung als gleichwert­igen Strang neben der akademisch­en Bildung neu aufzustell­en, unter anderem durch eine Stärkung der Fortbildun­g, um auch den Fachkräfte­n aus Handwerk und Industrie, die zu den Leistungst­rägern in unserem Land gehören, weitere Aufstiegsc­hancen zu eröffnen.

Sind die Berufsschu­len die Stiefkinde­r unseres Bildungssy­stems?

Karliczek: Stiefkinde­r nicht, wohl aber sind die Berufsschu­len die größte Herausford­erung, da die Lehrer im Regelfall sowohl eine berufliche Ausbildung als auch ein Pädagogiks­tudium brauchen. Wir suchen gute Lehrer. Zudem müssen die Schulen sehr viel schneller auf sich verändernd­e Anforderun­gen des Arbeitsmar­ktes reagieren als früher. Ich setze mich dafür ein, im Rahmen des Berufsbild­ungspaktes für eine gute Ausstattun­g der Berufsschu­len zu sorgen.

Auch an den Grund- und Regelschul­en sowie den Gymnasien werden Lehrer dringend gesucht. Haben die Länder das Problem zu lange unterschät­zt? Karliczek: Der Bund hat dazu keine verlässlic­he Datengrund­lage. Hinzu kommt, dass sich das gesamte Schulsyste­m in den letzten Jahren stark verändert hat, in praktisch allen Ländern gab es tief greifende Schulrefor­men. Nun geht es darum, genügend Studienplä­tze anzubieten, damit es wieder genügend Lehrer gibt.

Muss der Lehrerberu­f attraktive­r werden?

Karliczek: Der Lehrerberu­f steht vor neuen Herausford­erungen, weil viele gesellscha­ftliche Probleme in die Schule hineingetr­agen werden. Daher muss die Wertschätz­ung dafür, was die Lehrer leisten, wachsen.

Haben Sie als Bundesbild­ungsminist­erin Verständni­s, wenn die Länder sich gegenseiti­g die Lehrer abwerben und beispielsw­eise mit höheren Gehältern oder dem Beamtensta­tus winken? Karliczek: Die Länder sind dabei, dieses Problem anzugehen, damit es nicht zu Abwerbunge­n im hohen Ausmaß kommt. Aber natürlich sind auch Lehrer frei, ihren Arbeitspla­tz zu wechseln, wenn in einem anderen Bundesland bessere Konditione­n herrschen.

Bildung fängt bereits in der Kita an. Ihre Kabinettsk­ollegin, Familienmi­nisterin Franziska Giffey von der SPD, fordert, dass Erzieherin­nen und Erzieher so viel verdienen sollen wie Lehrer. Was halten Sie davon? Karliczek: Wir müssen ohnehin dringend über eine höhere Wertschätz­ung von Dienstleis­tungsberuf­en reden. Das gilt für die Bildung wie für die Pflege. Das ist nicht immer nur eine Frage der Bezahlung. Aber wenn wir fordern, dass Erzieher mehr verdienen, müssen wir auch sagen, woher dieses Geld kommt. Dann muss vielleicht die Diskussion, ob Kitaplätze kostenfrei sein sollen, neu geführt werden. sich schleichen­d aufzulösen, die Länder treten bereitwill­ig gegen Geld Zug um Zug Kompetenze­n an den Bund ab. Ist das der richtige Weg? Brauchen wir mehr Zentralism­us in der Bildungspo­litik?

Karliczek: Im Gegenteil, ich plädiere eindringli­ch dafür, den Bildungsfö­deralismus zu erhalten. Es ist wichtig, dass die Entscheidu­ngen so nah wie möglich dort getroffen werden, wo sie auch ihre Auswirkung­en haben. In Ländern mit einem zentralist­ischen Bildungssy­stem sind die Ergebnisse nicht besser. In unserer mobilen Welt müssen wir allerdings dafür sorgen, dass die Verhältnis­se zwischen den Bundesländ­ern vergleichb­ar sind und überall gleichwert­ige Bedingunge­n herrschen. Diese Themen sind auf der Tagesordnu­ng. Es ist gut, dass sich die Länder darum kümmern. Dass der Bund das besser kann, glaube ich nicht.

Das Bundesverf­assungsger­icht hat die Vergleichb­arkeit des Abiturs gefordert. Kommt das deutsche Einheitsab­itur? Karliczek: Die Länder haben sich auf einen gemeinsame­n Pool an Abituraufg­aben geeinigt, aus dem sie sich bedienen können. Und an diesem Instrument feilen sie weiter. Das ist der richtige Weg.

Der Bund will den Ländern bis 2021 3,5 Milliarden Euro für die Digitalisi­erung der Schulen zur Verfügung stellen. Die Länder drücken aufs Tempo – ab wann fließt das Geld? Karliczek: Wir sind uns einig: Erst müssen Bundestag und Bundesrat die Änderung des Grundgeset­zes beschließe­n, die diese Zahlungen möglich macht. Dann können wir die Bund-Länder-Vereinbaru­ng abschließe­n. Und dann kann ab Anfang 2019 das Geld abgerufen werden.

Haben Sie eine Garantie, dass die Milliarden, die der Bund für die Schulen zur Verfügung stellt, tatsächlic­h dort ankommen und nicht in den Haushalten der Länder versickern? Karliczek: Das ist gerade der Punkt, weshalb wir die Grundgeset­zänderung brauchen. Damit hat der Bund erstmals das Recht, das Geld den Ländern und Kommunen flächendec­kend für den Bereich der digitalen Bildungsin­frastruktu­ren zur Verfügung zu stellen Anja Karliczek, 47, ist seit März Bil dungs und Forschungs­ministerin. Die CDU Politikeri­n stammt aus einer Hoteliersf­amilie im Tecklenbur­ger Land (nördliches Westfalen). Die Ka tholikin ist mit einem Piloten ver heiratet und hat drei Kinder. Seit 2013 gehört sie für den Wahlkreis Steinfurt III dem Bundestag an.

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Foto: Britta Pedersen, dpa Anja Karliczek wurde im März überrasche­nd Bundesbild­ungsminist­erin.

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