Augsburger Allgemeine (Land West)

Als Berlin mit den „Rosinenbom­bern“überlebte

Vor 70 Jahren begann die Blockade der drei Westsektor­en der Hauptstadt. Die Alliierten bauten eine bis heute einmalige Luftbrücke auf. Eine Zeitzeugin erinnert sich. Dabei hatte sie noch besonderes Glück

- VON SIMONE HÄRTLE

Berlin „Habt ihr schon gehört? Heute gibt es Zucker.“Wenn in Westberlin zu Zeiten der Luftbrücke etwas verkauft wird, spricht sich das in der Stadt herum wie ein Lauffeuer. „Alle kamen dann dorthin, wo es etwas gab. Wir Kinder haben uns in die Schlange gestellt und für die Erwachsene­n den Platz gehalten“, erzählt Ursula Hübner. Die heute 80-Jährige hat das Kriegsende in Berlin miterlebt, die Aufteilung der Stadt in Sektoren und die Blockade. An diesem Sonntag vor 70 Jahren begann die sowjetisch­e Militäradm­inistratio­n alle Wege nach Westberlin abzuriegel­n, 2,1 Millionen Einwohner konnten fast ein Jahr lang nur aus der Luft versorgt werden.

Der Alltag der Nachkriegs­zeit ist alles andere als einfach. Berlin ist zerbombt, voller Flüchtling­e, viele Familien sind auseinande­rgerissen. „Wir waren froh, dass wir den Krieg überhaupt überlebt haben“, sagt Hübner. Einen Großteil der Kriegszeit hat sie weit weg im schlesisch­mährischen Altvaterge­birge verbracht, im Februar 1945 kehrte sie zurück. „Ab diesem Zeitpunkt haben wir eigentlich nur noch im Kel- gewohnt“, erzählt die Rentnerin und spricht von Bomben, von bangen Stunden des Wartens und von den Russen, die auf der Suche nach Frauen und Wertgegens­tänden vor kaum etwas haltgemach­t haben.

Nachdem der Krieg vorbei ist, kommt der Stadtteil Britz im Berliner Bezirk Neukölln, in dem Hübner heute noch lebt, unter amerikanis­che Besatzung. „Keiner wollte zur russischen Zone gehören“, erzählt sie. „Es war von Anfang an klar, dass das der ärmste Sektor werden würde. Wir hatten Glück.“Langsam baut sich die Familie wieder einen Alltag auf, Hübners Mutter findet eine Anstellung beim Ämterdiens­t der Post und erhält so zahlreiche Lebensmitt­elkarten.

Aber am 24. Juni 1948 beginnt die Die Sowjets unterbinde­n jeglichen Personen- und Güterverke­hr in die drei Westzonen. „Plötzlich war die Stadt hermetisch abgeschlos­sen“, erinnert sich Hübner. „Und Lebensmitt­elkarten bringen nichts, wenn es keine Vorräte gibt.“Von da an heißt es: Schlange stehen. „Alles war rationiert, frische Lebensmitt­el kamen kaum in die Stadt. Wir waren gut dran, weil wir einen Garten hatten. Andere standen stundenlan­g für ein paar Bohnen oder Erbsen an.“Was die Berliner nicht selbst produziere­n können, wird über eine bis heute beispiello­se Luftbrücke eingefloge­n.

Eine Freundin der Familie aus Schweden, die Hübner liebevoll „Tante Valborg“nennt, will helfen, bietet an, Ursula bei sich aufzunehle­r men. Nur: Wie soll das Mädchen nach Schweden kommen? „Was dann folgte, war das Abenteuer meines Lebens“, sagt die Frau. Wer die Stadt verlassen will, braucht die Erlaubnis von allen der drei westlichen Besatzungs­mächte. „Meine Mutti ging zu allen Botschafte­n. Das war nicht nur zeitaufwen­dig, sondern auch teuer“, sagt die 80-Jährige. Dann hält sie ihre Ausreise-Erlaubnis in den Händen. Nur ein Datum für ihre Abreise gibt es nicht. „Die Koffer waren schon lange gepackt, alles war bereit. Es wusste eben nur keiner, wann es losgeht.“Eines Tages holt sie ihre Großmutter aus dem Unterricht heraus, dann geht alles ganz schnell. Vom englischen Flughafen Gatow aus fliegt Ursula nach Hamburg, wo ein Cousin des GroßBerlin-Blockade. vaters die damals Zehnjährig­e in Empfang nimmt. Von dort aus geht es mit dem Zug weiter über Dänemark nach Västervik in Smaland.

Weil aber die Nachrichte­nwege aus Berlin heraus nicht richtig funktionie­ren, weiß in Schweden keiner, wann Ursula ankommt. Sechs Wochen lang stehen Tante und Onkel deswegen Abend für Abend abwechseln­d am Bahnhof und warten auf das Mädchen aus Deutschlan­d. Als Ursula endlich in Schweden eintrifft, ist die Freude riesig.

Schnell lernt „Ulli“die schwedisch­e Sprache und besucht die Schule vor Ort. „Es gab Klassenzim­mer, eine Struktur, sogar ein Schwimmbad. Alles, was wir in Berlin nicht hatten“, erinnert sich Ursula Hübner zurück. Und auch der Alltag ist ein anderer, mit viel mehr Freiheiten. „Schweden, das war wie im Schlaraffe­nland“, sagt sie.

Nachdem im Mai 1949 die Blockade wieder aufgehoben ist, geht es zurück nach Berlin. „Es war ganz erstaunlic­h, wie sich die Stadt verändert hat. Die Schaufenst­er waren voller Auslagen und auch Lebensmitt­el und Kleidung gab es wieder zu kaufen.“Es ist zwar kein plötzliche­r Reichtum ausgebroch­en, aber die Not ist vorbei, ein neues Klima herrscht in der Stadt. „Es war eine schöne und friedliche Zeit, es ging bergauf. Die Atmosphäre in der Stadt war offen – zumindest bis die Mauer gebaut wurde.“

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Foto: Simone Härtle (2), epd Mit diesem Ausweis (links) in der Tasche durfte Ursula Hübner, die damals noch Goeritz hieß, Berlin mit einem der „Rosinenbom­ber“verlassen, die im 90 Sekunden Abstand in Berlin landeten und wieder abflogen. Für die in der Stadt eingesperr­ten Menschen...
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Ursula Hübner

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