Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Sprache der Stimmungsm­acher

In den politische­n Debatten werden immer neue Grenzen eingerisse­n. Nazi-Vokabular wird salonfähig und in Hass-Kommentare­n kennt die Wut kein Tabu. Das wirkt mittlerwei­le bis in die etablierte­n Parteien hinein

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Kurz nachdem die Flüchtling­szahlen im Jahr 2015 angestiege­n waren, hörte man die ersten Warnungen: Achtung, die Sprache verroht. Zum Beispiel in den Foren von Zeitungsre­daktionen, weil dort in einem nicht geahnten Ausmaß Hetzkommen­tare einliefen: Beleidigun­gen und offene Aufrufe zu Gewalt.

Parallel dazu hat sich aber auch der politische Diskurs geändert. Begriffe wie „Lügenpress­e“, „Systemmedi­en“, „Altparteie­n“, „Umvolkung“, „Überfremdu­ng“werden – ohne Anführungs­zeichen – mittlerwei­le nicht nur von Rechtspopu­listen gebraucht. Die Debatte um die Flüchtling­skrise hinterläss­t in der politische­n Sprache eine breite Spur.

Es scheint, als ob ein Damm gebrochen ist. Denn das Totschlaga­rgument, das sich im Netz immer wieder als Rechtferti­gung für sprachlich­e Entgleisun­gen aller Art findet, lautet: Das wird man doch noch sagen dürfen.

„Politische Verrohung? Soll politische Diskussion nur noch in einer gendergere­chten, religionsf­reien, quotengere­chten, weltverant­wortungsvo­llen und pazifistis­chen Sprache stattfinde­n? Dazu Händchen haltend im ,Alles-wird-gutSprech‘? Bitte nicht!“

Rodolfo Macroni, Twitter

Wie soll man die andere Sprache, die hier einem Twitter-Nutzer vor Augen schwebt, nennen? Etwa „explizit“, weil sie alles benennt? Auf jeden Fall ist festzustel­len, dass Gewaltfant­asien heute offen in der Sprache ausgelebt werden, dass Hass-Kommentare nicht mehr anonym und per Brief verschickt werden, sondern offen von dem eigenen Facebook- oder Twitter-Account.

Was ist los mit der Sprache unserer Tage? Spätestens seit dem Einzug der AfD in den Bundestag gehört die bewusste, sprachlich­e Provokatio­n, die kalkuliert­e Grenzübers­chreitung zum politische­n Tagesgesch­äft. Der AfD-Vorsitzend­e Alexander Gauland bezeichnet­e die zwölf Jahre nationalso­zialistisc­her Diktatur in Deutschlan­d als „Vogelschis­s der Geschichte“, und er weiß, dass er mit dieser sprachlich­en Verharmlos­ung seine Wähler erreicht und mindestens einen Tag lang die Schlagzeil­en beherrscht – für ihn also eine Win-win-Situation.

Und Alice Weidel (AfD) spricht im Bundestag von „Burka, Kopftuchmä­dchen, alimentier­te Messerstec­her und sonstigen Taugenicht­sen“. Sie handelt sich damit zwar eine Rüge des Bundestags­präsiden- ten ein, ist aber im Grunde wie Gauland erst einmal die Gewinnerin der öffentlich­en Debatte – die Publicity gehört an einem solchen Tag ihr. Die Taktik, jede sprachlich­e Entgleisun­g zu geißeln, steht in Gefahr, deren Bekannthei­t und damit auch deren Durchschla­gskraft zu steigern.

Und: Dieser politisch-sprachlich­e Wettbewerb färbt ab. Seit kurzem spricht der CSU-Vorsitzend­e Markus Söder zum Beispiel im Streit um die Rückweisun­g von Flüchtling­en an der Grenze von „Asyltouris­mus“, den es selbstrede­nd zu unterbinde­n gelte. Mit einem knackigen Begriff soll Stimmung gemacht werden. Der Asylsuchen­de wird auf eine Stufe mit Touristen gestellt – also auf eine Stufe mit freiwillig Reisenden. Das sind wohlbedach­te rhetorisch­e Mittel, um in der politische­n Debatte mit brachialen Methoden zum Wähler vorzudring­en (siehe auch „Auf ein Wort“rechts oben auf dieser Seite).

Gleichzeit­ig werden Wörter in der schon dreijährig­en Debatte um den Umgang mit Flüchtling­en bewusst umgewertet. „Gutmensch“gehört noch zu den harmlosere­n rechtspopu­listischen Beleidigun­gen. Weil dieser Gutmensch aber mittlerwei­le seinen vorgeblich­en „Korrekthei­tsterror“nicht mehr ausüben kann, weil er die Hoheit über die Sprache verloren hat, finden sich plötzlich wieder Volk, Volksgemei­nschaft und das Völkische im rechtspopu­listischen Diskurs wieder. Offen bedient man sich der Sprache des Nationalso­zialismus. Auch da ist eine sprachlich­e Grenze auf breiter Front eingerisse­n.

Viel drastische­r erleben Politiker sprachlich­e Verrohung, wenn sie Post von den Unzufriede­nen und Wütenden bekommen. Jüngst etwa hat die Grünen-Politikeri­n Claudia Roth erklärt, dass sie täglich Morddrohun­gen bekomme, mal ganz zu schweigen von den Hass-Kommentare­n.

„Wir erleben eine Verrohung der Sprache, eine unglaublic­he Respektlos­igkeit, die Bereitscha­ft, persönlich vernichten­d mit Personen umzugehen. Wir wissen aus der Geschichte, dass der Gewalt der Worte irgendwann die Gewalt der Taten folgt. Das macht mich besorgt.“

Christian Kern, SPÖ-Politiker Genau das ist auch die Gefahr beschriebe­ner sprachlich­er Entwicklun­g. Wenn immer drastische­res Vokabular in immer breiteren Kreisen gewählt wird, was heißt das für die Gesellscha­ft? Bekommen dadurch die Gewalttäte­r am linken und am rechten Rand der Gesellscha­ft breiteren Zulauf? Also diejenigen, die bewusst mit der Sprache ihren künftigen Opfern die Menschlich­keit absprechen: Von „Bullen“, „Schweinen“und „Dreckspack“ist in der Szene die Rede, bevor es zu Übergriffe­n kommt.

Festzuhalt­en ist in den politische­n Debatten dieser Tage aber auch, dass in der linken Szene ein fast schon inflationä­rer Gebrauch des Worts „Nazi“herrscht. Dass jeder, der Angela Merkels Flüchtling­spolitik kritisiert, dieses Etikett bekommt. Auch auf dieser Seite wird mit schwerem sprachlich­en Geschütz willkürlic­h gezielt.

Es ist nur schwer vorzustell­en, dass sich demnächst ein gesamtgese­llschaftli­cher Konsens zur verbalen Abrüstung findet. Das hieße ja, zu einer gemeinsame­n Sprache zu finden, zu etwas, das sofort im Ruch einer „politisch korrekten Sprache“ steht. Dagegen wird mittlerwei­le seit 30 Jahren erfolgreic­h an der Sprachfron­t gekämpft.

Seinen Ausgang nahm dieses Gefecht in den USA der frühen 1990er Jahre. Die Konservati­ven hatten dort als einen immer abwertend gemeinten Begriff die „Political Correctnes­s“eingeführt, gegen die sie sprachlich zu Felde zogen. In den USA ist jetzt ein Präsident im Weißen Haus an der Macht, der fast täglich via Twitter austestet, was im politschen Diskurs alles möglich ist – ohne Sanktionen befürchten zu müssen.

Der Befund hat etwas Deprimiere­ndes. Und er wird nicht besser, wenn man in die deutsche Vergangenh­eit zurückblic­kt. Deshalb zum Schluss eine Mahnung von einem Schriftste­ller und Sprachkrit­iker, der so präzise wie kaum ein anderer die Sprache des Nationalso­zialismus erforscht hat.

„Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluck­t, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkun­g doch da.“

Victor Klemperer, Schriftste­ller

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Foto: picture alliance Wie weit ist der Weg der Gesinnung zwischen der Vokabel „Asylbetrug“, wie sie auf unserem Foto oben rechtspopu­listische und rechtsradi­kale Teilnehmer einer Anti Merkel Demonstrat­ion 2017 vor sich hertragen, und der Vokabel „Asyltouris­mus“, wie sie...

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