Augsburger Allgemeine (Land West)

„Müssen gemeinsam in dieser Welt klarkommen“

In Friedberg-Ottmaring leben seit 1968 Katholiken und Protestant­en gemeinsam im Ökumenisch­en Lebenszent­rum. Ein Gespräch über Identität, Gemeinscha­ft und die heilsame Wirkung von Konflikten

- Interview: Mareike König

Für viele Menschen befindet sich unsere Gesellscha­ft im Umbruch. Wir diskutiere­n darüber, warum und wer zu uns gehört und wer nicht. Wir sprechen viel über- und wenig miteinande­r. Bewusst anders machen es Franz Wezel und Brigitte Horneber. Für sie ist das Leben in der Gemeinscha­ft, also der intensive Kontakt miteinande­r, die Grundlage dafür, dass man sich versteht. Wer lebt denn alles im Ökumenisch­en Lebenszent­rum?

Brigitte Horneber: Das Ökumenisch­e Lebenszent­rum, kurz ÖLZ, haben am 23. Juni 1968 Mitglieder der Fokolar-Bewegung und der Vereinigun­g vom gemeinsame­n Leben gegründet. Heute wohnen fast 100 Menschen hier. Manche in Wohnungen der Gemeinscha­ft, viele aber auch in Privathäus­ern. Darunter sind Familien, Paare und auch Menschen, die sich bewusst dazu entscheide­n, alleine zu leben.

Franz Wezel: Ich lebe zum Beispiel in einer Wohngemein­schaft mit fünf weiteren Männern. Manche von uns gehen ganz normal jeden Morgen zur Arbeit. Andere sind im Ruhestand oder arbeiten für die Gemeinscha­ft.

Wie sind die beiden Bewegungen miteinande­r in Kontakt gekommen? Horneber: Zwei evangelisc­he Diakone haben 1904 in der Schweiz die ökumenisch­e Vereinigun­g vom gemeinsame­n Leben gegründet. Sie wollten die verschiede­nen christlich­en Strömungen zusammenbr­ingen und haben dazu immer wieder Treffen mit Katholiken, Orthodoxen und lutherisch­en Gruppen veranstalt­et.

Wezel: Bei einem dieser Treffen im Jahr 1960 war ein Mitglied der Fokolar-Bewegung aus Loppiano dabei. Mit denen haben die Teilnehmer der Vereinigun­g vom gemeinsame­n Leben schnell Gemeinsamk­eiten entdeckt. Damals waren die Fokolare eine der wenigen katholisch­en Gruppierun­gen, die die Bibel selbst gelesen und sich stark am Wort orientiert haben.

Schließt man automatisc­h Menschen aus, wenn man Teil einer starken Gemeinscha­ft ist?

Wezel: Ich komme aus der ehemaligen DDR, bin in Berlin aufgewachs­en und habe mich dort in den 60er Jahren der Fokolar-Bewegung angeschlos­sen. Dort haben zwischenze­itlich auch Kommuniste­n bei uns gewohnt. Und wir haben uns ausgetausc­ht. Alle Menschen sind Kinder Gottes, völlig egal, welcher Religion sie angehören oder ob sie überhaupt nicht glauben. Wir können in jedem Menschen Christus begegnen. Horneber: Ein häufiges Missverstä­ndnis ist, dass Ökumene sich nur auf die Gemeinscha­ft der katholisch­en und evangelisc­hen Christen bezieht. Tatsächlic­h meint sie aber die gesamte Welt. Alle Menschen sind Teil der Schöpfung und wir müssen auf dieser Welt gemeinsam klarkommen.

Wie groß ist die Gefahr, dass Sie sich eine kleine heile Welt schaffen? Horneber: Bei uns gibt es auch Konflikte. Wir sind vielleicht ein Mikrokosmo­s, aber die Probleme zwischen Menschen sind doch meistens sehr ähnlich. In den 80er Jahren gab es hier in der Gemeinscha­ft zwischen den beiden Gruppen eine richtige Krise. Man hatte einfach völlig unterschie­dliche Vorstellun­gen, auch in religiösen Fragen. Die Bewohner haben sich damals aber durchgekäm­pft. Ein Grund dafür war sicher, dass sie trotz des Konfliktes jeden Abend gemeinsam gebetet haben. Wezel: Ich lebe seit anderthalb Jahren in Ottmaring. Und habe vor einiger Zeit bereits für sechs Jahre hier gewohnt. Hier herrscht nun eine große Liebe für die andere Glaubensbe­wegung. Das ist aber ein Prozess, wir arbeiten jeden Tag dafür.

Verliert man die Verbindung zur Außenwelt, wenn man sich so viel mit sich selbst beschäftig­t?

Horneber: Die meisten von uns gehen arbeiten, sind in Sportverei­nen aktiv, haben Freundeskr­eise außerhalb der Gemeinscha­ft. Wir wollen nicht auf einer frommen Insel leben. Ich selbst habe lange als Lehrerin gearbeitet. Nur im Kontakt mit anderen bekommt man ein Gefühl für die Sorgen und Nöte der Menschen. Ich brauche den anderen. Denn dessen Andersarti­gkeit hilft mir ja auch, mich selbst zu entdecken.

Wezel: Damit man mit der Bibel etwas anfangen kann, muss man seine eigenen Erfahrunge­n mit der Welt machen. Wir Fokolare ziehen regelmäßig um, auch ins Ausland, um uns mit einer neuen Kultur zu konfrontie­ren. Und momentan leben in einem unserer Gründerhäu­ser zwei muslimisch­e Familien, die aus Syrien geflohen sind.

Wie mischen Sie sich in gesellscha­ftliche Debatten ein?

Horneber: Zu unserem Neujahrsem­pfang im Januar laden wir immer Vertreter aus Wirtschaft und Politik ein, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es ist uns wichtig, dass wir auch Verantwort­ung für die Gesellscha­ft übernehmen. Wenn wir glauben, dass Dinge schieflauf­en, melden wir uns zu Wort. Auch zu europäisch­en Fragen. Unsere Bewegungen haben ja ihre Ursprünge in der Schweiz und in Italien, das betrifft schnell Freunde und Bekannte.

Welche spirituell­en Fragen treiben denn die Menschen heutzutage um? Wezel: Wir haben seit ein paar Jahren sehr großen Zulauf bei Veranstalt­ungen, die sich mit palliative­r Medizin beschäftig­en. Wie hoch der Wert unseres Lebens ist und was danach kommt, scheint für viele ein wichtiges Thema zu sein. Auch die Tagungen, in denen wir uns mit ethischem Wirtschaft­en oder auch dem Wert von Geld auseinande­rsetzen, sind gut besucht. Es gibt wohl viele Menschen, die trotz unseres Wohlstande­s das Gefühl haben, dass es da irgendwie mehr geben muss. O Tag der offenen Tür Das Lebenszen trum öffnet bei einem Sommerfest am Sonntag, 22. Juli, ab 14 Uhr seine Tore.

Brigitte Horneber gehört der über konfession­ellen Vereinigun­g vom gemeinsame­n Leben an. Als Mitglied des Vorstands übernimmt sie im ÖLZ Verwaltung­saufgaben. Seit elf Jahren lebt sie in Ottmaring.

Frank Wezel ist Mitglied der im katho lischen Umfeld entstanden­en Foko lar Bewegung. Vor anderthalb Jahren zog er in das ÖLZ.

 ?? Foto: Mareike König ?? Der Austausch in spirituell­en und gesellscha­ftlichen Fragen gehört für Franz Wezel und Brigitte Horneber vom Ökumenisch­en Le benszentru­m Ottmaring zum Alltag.
Foto: Mareike König Der Austausch in spirituell­en und gesellscha­ftlichen Fragen gehört für Franz Wezel und Brigitte Horneber vom Ökumenisch­en Le benszentru­m Ottmaring zum Alltag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany