Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Frage der Woche WM ohne Deutschland – geht gar nicht?
Eine WM ohne Schland? Ohne schwarzrotsenffarbene Überzieher über den Rückspiegeln auf dem Parkplatz vorm Getränkemarkt? Nein, das gefällt uns nicht, wobei ein Vorrunden-Aus aus ganz anderen Gründen gar nicht ginge: Denn so selbstverständlich, wie Deutschland noch stets weiterkam bei einer WM, so lernt auch der Deutsche während dieser Zeit die Selbstverständlichkeit des Seins. Die Faulenzer vom Club Med haben ja jeden Sommer ihre Pause (der Italiener beispielsweise fährt ja nicht einmal mehr zur WM!), der fleißige Deutsche aber, der ja nicht nur Fußball-, sondern auch Exportweltmeister ist, gönnt sich bestenfalls diese vier Wochen frühen Feierabends, aufgeschobener Steuererklärungen, improvisierten Lebens. Denn wann gibt es das hierzulande schon mal so wie letzten Sonntag kurz nach vier: leere, nicht gekehrte Straßen, über die einzig noch schnell einer im DFB-Dress, den Sixpack auf dem Bauch und eine Tüte Kartoffelchips unterm Arm, Richtung befreundeten Fernseher eilt – und sonst nichts außer Sonne und allerorten Schweinenacken auf dem Grill und vorfreudig-entspannte Stimmung. Wie schnell diese sich allerdings ins Gegenteil verkehrt, konnte man dann wenig später sehen und lesen, ebenso, wie man nun auch schöngeistig beklagen kann, dass das anscheinend nur in Verbindung mit der deutschen Mannschaft so funktioniert – wo die anderen doch ebenfalls und noch viel dolleren Fußball spielen! Stimmt ja auch. Aber auch diese Spiele zu genießen gelingt halt nur, solange auch der Rest halbwegs genussfähig bleibt. Und die paar wenigen sonnigen Wochen alle paar Jahre missen, stattdessen wieder in die grauen Montagsgesichter eines lediglich funktionierenden Landes schauen zu müssen – wer will denn das schon?
Mal angenommen, die Deutschen spielen jetzt gegen Schweden oder dann gegen Südkorea so ähnlich wie gegen Mexiko – dann hätten sie das Ausscheiden doch wirklich verdient, oder? Aber warum sollte dadurch dann die ganze WM plötzlich uninteressant sein? Weil nicht mehr mit den mitfiebern können? Wer nicht einfach nur Deutscher, sondern auch noch wirklicher Liebhaber des Fußballs ist, der kann über solcherlei Fixierte nur mitleidig schmunzeln.
Klar lebt der Sport auch von der Emotionalität der Anhängerschaft – aber doch bitte nicht nur! Manchmal stellt sich, gerade wenn diese wegfällt, das schönste Zuschauergefühl ein. Ein Beispiel? Die WM 1998. Da waren die deutschen Rumpelfüßler unter Berti Vogts im Viertelfinale 0:3 gegen Kroatien rausgeflogen – aber es war eine tolle WM. Ein phänomenaler Zidane, der die Franzosen zum Heimtriumph führte; zauberhafte Niederländer, die zuerst dramatisch die Argentinier besiegten, um dann dramatisch an den Brasilianern zu scheitern; Typen wie Davor Suker und Michael Owen, Denis Bergkamp und Roberto Baggio, Batistuta und Ronaldo… Was man da insgesamt alles an unsterblichen WM-Momenten aufzählen könnte, die nach Ausscheiden der Deutschen stattgefunden haben!
Aber es soll hier wohl um prinzipielle Unterschiede gehen, einen Druckabfall in der Herzkammer. Bloß ist das Prinzipielle bei solchen Ereignissen Quatsch – was entscheidet, ist: auf dem Platz! Wenn sich in einem solchen Turnier plötzlich Liebe für die Engländer, Respekt für den Iran, Verachtung für Brasilien entwickelt; Begeisterung für Ronaldo, Überdruss an Messi – oder andersrum? Wer wird der Held, wer die tragische Figur? Das wollen wir doch sehen! Und nein, dazu muss keiner von den sein.