Augsburger Allgemeine (Land West)
Saubere Seen, vergiftete Umwelt
Badegewässer sind für Badegäste unbedenklich, ökologisch aber in desolatem Zustand
Deutsche Badeseen sind sauber – das hat ein Bericht der Europäischen Umweltagentur EEA vor kurzem bescheinigt. Doch sauberes Wasser bedeutet nicht, dass in den Gewässern alles in Ordnung ist. Im Gegenteil – rund 92 Prozent aller deutschen Gewässer verfehlten laut „Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland“die Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Das bedeutet, dass die Tiere und Pflanzen nicht vielfältig genug vertreten sind. Auch mit Chemikalien sind die Gewässer belastet. Bis 2027 müssen die Flüsse und Seen einen guten Zustand erreichen, schreibt die Wasserrahmenrichtlinie vor. Doch Umweltschützer befürchten, dass die Regelung aufgeweicht wird.
Doch wie passen die Aussagen der Europäischen Umweltagentur mit der Bewertung anhand der Wasserrahmenrichtlinie zusammen? Beide Analysen haben unterschiedliche Faktoren untersucht. Der Test der Badeseen kontrollierte lediglich, ob das Wasser in Badebereichen Enterokokken und Kolibakterien enthält. Beide Bakterienstämme kommen in Gülle vor und können beim Menschen Krankheiten und Infektionen auslösen. War die Konzentration der Keime gering, gab es für den See eine gute Note.
Die Untersuchung anhand der Wasserrahmenrichtlinie geht weiter ins Detail. Sie betrachtet Kleinstlebewesen im Gewässer, die Auskunft über die Wasserqualität geben. Manche Tiere, etwa bestimmte Insektenlarven, kommen nur in unbelasteten und naturnahen Gewässern vor – damit dienen sie als sogenannte Bioindikatoren. Außerdem geht das Gutachten auf bestimmte Chemikalien ein. Um die Belastung festzustellen, untersuchen die Experten, welche Mengen der Stoffe sich im Fleisch von Fischen angereichert haben. Besonders bei drei chemische Verbindungen fanden die Forscher in besorgniserregenden Mengen.
Bromierte Diphenylether sind die erste Gruppe. Die bromhaltigen organischen Chemikalien wurden jahrzehntelang als Flammschutzmittel in Textilien eingesetzt, seit 2003 sind sie in der EU verboten. Der Stoff ist toxisch und steht im Verdacht, krebserregend zu sein und das hormonelle Gleichgewicht von Lebewesen zu beeinflussen. Hormonelle Störungen kann auch Tributylzinnhydrid (TBT) verursachen, das ebenfalls in zahlreichen Gewässern gefunden wurde. Die Chemikalie wird in Druckereien und bei Textilien eingesetzt. Über die Nahrung kann der Stoff von Tieren oder Menschen aufgenommen werden und führt in hoher Dosis zu Unfruchtbarkeit.
In Gewässern beinahe allgegenwärtige Chemikalien sind Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK). Diese Verbindungen entstehen, wenn organische Stoffe nicht vollständig verbrennen. Das kann unter natürlichen Umständen, etwa bei einem Waldbrand, passieren. Viel häufiger werden PAK aber von Motoren oder Heizanlagen ausgestoßen. Neben diesen allgegenwärtigen Stoffen stießen die Forscher auf industrielle Schadstoffe und Pestizide. In der Elbe und dem Rhein ist die Konzentration davon am höchsten.
Damit auf politischer Ebene mehr gegen so eine Belastung getan wird, haben sich die Umweltschutzorganisationen BUND, DNR, Nabu, Grüne Liga und WWF zusammengetan – sie fordern, dass die Wasserrahmenrichtlinie beibehalten wird. „Derzeit ist die Richtlinie in einem Überprüfungsprozess. Mehrere EU-Staaten und Lobbyverbände wollen die Bedingungen aufweichen oder die Ziele weiter in die Zukunft verschieben“, sagt BUND-Gewässerexpertin Laura von Vittorelli. Als Beispiel führt sie den Bundesverband der Deutschen Industrie an, der sich zwar grundsätzlich für die Richtlinie ausspricht, allerdings den Punkt „Ausnahmefälle“in der Wasserrahmenrichtlinie überarbeitet sehen will. „Wenn die Regelungen einmal aufgeweicht werden, ist die Richtlinie nicht mehr zu retten“, sagt von Vittorelli.
Der ökologische Zustand der Gewässer hat, so die die Gewässerexpertin, letztendlich Folgen für alle Menschen. Chemisch belastete Flüsse und Seen verunreinigen auf Dauer das Trinkwasser – schädliche Stoffe müssen dann ausgefiltert werden, was das Wasser teurer macht. aber auch Badegäste profitieren von einem See im ökologischen Gleichgewicht. „Wenn zu viel Nitrat ins Wasser gespült wird, vermehren sich die Algen übermäßig. Baden ist dann nicht mehr so schön“, sagt von Vittorelli.
Auch bei dem viel diskutierten Insektensterben spielen Gewässer eine große Rolle. Zahlreiche Arten pflanzen sich im Wasser fort und benötigen saubere Seen, damit sich ihre Larven dort entwickeln können. „Viele Wasserwirtschaftsämter tun ihr Möglichstes, um die Gewässer zu schützen. Aber von den Bundesländern werden sie oft alleingelassen“, sagt von Vittorelli. Ein weiteres Problem sieht sie bei den Zuständigkeiten. Bisher sei nicht geklärt, wer für die Bundeswasserstraßen – also die größten Flüsse Deutschlands – zuständig ist. „Wenn die Gewässer bis 2027 wirklich besser werden sollen, müssen die richtigen Projekte jetzt begonnen werden“, sagt die Naturschützerin. Allerdings hat das Bundesland Baden-Württemberg bereits verkündet, dass die Zeile nicht erreichbar sind. Weitere Länder könnten diesem Beispiel folgen – damit würden die Ziele, Gewässer ökologisch aufzubessern, in weitere Ferne rücken.