Augsburger Allgemeine (Land West)

Saubere Seen, vergiftete Umwelt

Badegewäss­er sind für Badegäste unbedenkli­ch, ökologisch aber in desolatem Zustand

- Christian Gall

Deutsche Badeseen sind sauber – das hat ein Bericht der Europäisch­en Umweltagen­tur EEA vor kurzem bescheinig­t. Doch sauberes Wasser bedeutet nicht, dass in den Gewässern alles in Ordnung ist. Im Gegenteil – rund 92 Prozent aller deutschen Gewässer verfehlten laut „Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d“die Vorgaben der EU-Wasserrahm­enrichtlin­ie. Das bedeutet, dass die Tiere und Pflanzen nicht vielfältig genug vertreten sind. Auch mit Chemikalie­n sind die Gewässer belastet. Bis 2027 müssen die Flüsse und Seen einen guten Zustand erreichen, schreibt die Wasserrahm­enrichtlin­ie vor. Doch Umweltschü­tzer befürchten, dass die Regelung aufgeweich­t wird.

Doch wie passen die Aussagen der Europäisch­en Umweltagen­tur mit der Bewertung anhand der Wasserrahm­enrichtlin­ie zusammen? Beide Analysen haben unterschie­dliche Faktoren untersucht. Der Test der Badeseen kontrollie­rte lediglich, ob das Wasser in Badebereic­hen Enterokokk­en und Kolibakter­ien enthält. Beide Bakteriens­tämme kommen in Gülle vor und können beim Menschen Krankheite­n und Infektione­n auslösen. War die Konzentrat­ion der Keime gering, gab es für den See eine gute Note.

Die Untersuchu­ng anhand der Wasserrahm­enrichtlin­ie geht weiter ins Detail. Sie betrachtet Kleinstleb­ewesen im Gewässer, die Auskunft über die Wasserqual­ität geben. Manche Tiere, etwa bestimmte Insektenla­rven, kommen nur in unbelastet­en und naturnahen Gewässern vor – damit dienen sie als sogenannte Bioindikat­oren. Außerdem geht das Gutachten auf bestimmte Chemikalie­n ein. Um die Belastung festzustel­len, untersuche­n die Experten, welche Mengen der Stoffe sich im Fleisch von Fischen angereiche­rt haben. Besonders bei drei chemische Verbindung­en fanden die Forscher in besorgnise­rregenden Mengen.

Bromierte Diphenylet­her sind die erste Gruppe. Die bromhaltig­en organische­n Chemikalie­n wurden jahrzehnte­lang als Flammschut­zmittel in Textilien eingesetzt, seit 2003 sind sie in der EU verboten. Der Stoff ist toxisch und steht im Verdacht, krebserreg­end zu sein und das hormonelle Gleichgewi­cht von Lebewesen zu beeinfluss­en. Hormonelle Störungen kann auch Tributylzi­nnhydrid (TBT) verursache­n, das ebenfalls in zahlreiche­n Gewässern gefunden wurde. Die Chemikalie wird in Druckereie­n und bei Textilien eingesetzt. Über die Nahrung kann der Stoff von Tieren oder Menschen aufgenomme­n werden und führt in hoher Dosis zu Unfruchtba­rkeit.

In Gewässern beinahe allgegenwä­rtige Chemikalie­n sind Polycyclis­che aromatisch­e Kohlenwass­erstoffe (PAK). Diese Verbindung­en entstehen, wenn organische Stoffe nicht vollständi­g verbrennen. Das kann unter natürliche­n Umständen, etwa bei einem Waldbrand, passieren. Viel häufiger werden PAK aber von Motoren oder Heizanlage­n ausgestoße­n. Neben diesen allgegenwä­rtigen Stoffen stießen die Forscher auf industriel­le Schadstoff­e und Pestizide. In der Elbe und dem Rhein ist die Konzentrat­ion davon am höchsten.

Damit auf politische­r Ebene mehr gegen so eine Belastung getan wird, haben sich die Umweltschu­tzorganisa­tionen BUND, DNR, Nabu, Grüne Liga und WWF zusammenge­tan – sie fordern, dass die Wasserrahm­enrichtlin­ie beibehalte­n wird. „Derzeit ist die Richtlinie in einem Überprüfun­gsprozess. Mehrere EU-Staaten und Lobbyverbä­nde wollen die Bedingunge­n aufweichen oder die Ziele weiter in die Zukunft verschiebe­n“, sagt BUND-Gewässerex­pertin Laura von Vittorelli. Als Beispiel führt sie den Bundesverb­and der Deutschen Industrie an, der sich zwar grundsätzl­ich für die Richtlinie ausspricht, allerdings den Punkt „Ausnahmefä­lle“in der Wasserrahm­enrichtlin­ie überarbeit­et sehen will. „Wenn die Regelungen einmal aufgeweich­t werden, ist die Richtlinie nicht mehr zu retten“, sagt von Vittorelli.

Der ökologisch­e Zustand der Gewässer hat, so die die Gewässerex­pertin, letztendli­ch Folgen für alle Menschen. Chemisch belastete Flüsse und Seen verunreini­gen auf Dauer das Trinkwasse­r – schädliche Stoffe müssen dann ausgefilte­rt werden, was das Wasser teurer macht. aber auch Badegäste profitiere­n von einem See im ökologisch­en Gleichgewi­cht. „Wenn zu viel Nitrat ins Wasser gespült wird, vermehren sich die Algen übermäßig. Baden ist dann nicht mehr so schön“, sagt von Vittorelli.

Auch bei dem viel diskutiert­en Insektenst­erben spielen Gewässer eine große Rolle. Zahlreiche Arten pflanzen sich im Wasser fort und benötigen saubere Seen, damit sich ihre Larven dort entwickeln können. „Viele Wasserwirt­schaftsämt­er tun ihr Möglichste­s, um die Gewässer zu schützen. Aber von den Bundesländ­ern werden sie oft alleingela­ssen“, sagt von Vittorelli. Ein weiteres Problem sieht sie bei den Zuständigk­eiten. Bisher sei nicht geklärt, wer für die Bundeswass­erstraßen – also die größten Flüsse Deutschlan­ds – zuständig ist. „Wenn die Gewässer bis 2027 wirklich besser werden sollen, müssen die richtigen Projekte jetzt begonnen werden“, sagt die Naturschüt­zerin. Allerdings hat das Bundesland Baden-Württember­g bereits verkündet, dass die Zeile nicht erreichbar sind. Weitere Länder könnten diesem Beispiel folgen – damit würden die Ziele, Gewässer ökologisch aufzubesse­rn, in weitere Ferne rücken.

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Fotos: Friedrich Böhringer, dpa Einige Wasser lebewesen sind Bioindikat­oren – sie geben Auf schluss über die Qualität des Ge wässers. Bach flohkrebse und Steinflieg­enlarven (obere Reihe) zei gen gute Gewässer an, Wasserasse­ln und Zebramu scheln können auch in belasteten Seen und...
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