Augsburger Allgemeine (Land West)

Revolution ohne Grenzen

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST Francesco Crispi

Gegen die 1848er waren die meisten 68er des zwanzigste­n Jahrhunder­ts ganz brave Revolution­äre. Damals, vor 170 Jahren, war in Europa wirklich was los. Wo soll man anfangen? Chronologi­sch empfiehlt sich Sizilien. Auf der Insel gab es einen JanuarAufs­tand gegen den aus Frankreich importiert­en Ferdinand, der das „Königreich zweier Sizilien“regierte. Natürlich gab es nur ein Sizilien. Das „zweite Sizilien“, das Ferdinand regierte, war der ganze Süden Italiens. Einem gewissen Francesco Crispi gelang es, für die Insel, also das eigentlich­e Sizilien, dem König eine Verfassung abzutrotze­n. Bis königliche Kanonen dem demokratis­chen Spuk ein Ende machten.

In Frankreich vertrieben wieder mal Revolution­äre ihren König vom Thron. Louis-Philippe konnte als Chef einer konstituti­onellen Monarchie zwar längst nicht mehr schalten und walten wie seine Vorgänger. Aber die Franzosen hatten genug vom Königtum und riefen die zweite Republik aus. In England kam es zu einem gewaltigen Marsch von so genannten „Chartisten“auf Westminste­r. 150 000 Menschen zogen mit einer „Charta des Volkes“, die fünf Millionen Briten unterzeich­net hatten, zum Sitz des Parlaments. Sie forderten allgemeine­s und geheimes Wahlrecht, natürlich nur für Männer. Victorias Thron schien zu wackeln. Aber die britischen Demokraten waren netter als die französisc­hen. Das in der Not stets reformbere­ite Königshaus überlebte.

Österreich hatte sein 48er-Erlebnis an mehreren Fronten. Da war der Prager Pfingstauf­stand, bei dem es mehr ums Nationale ging: Tschechen revoltiert­en gegen die „deutschen“Österreich­er. Ein gewisser Alfred Fürst von Windischgr­ätz rückte den Pragern mit Soldaten zu Leibe. Der Fürst tat sich auch an anderer Stelle der Doppelmona­rchie hervor, so etwa als sich die Ungarn gegen die österreich­ische Herrschaft erhoben. Dabei hatten sie die Sympathie vieler Wiener. Die wagten einen eigenen Oktoberauf­stand und wollten den Abmarsch der kaiserlich­en Truppen nach Ungarn blockieren. Kaiser Ferdinand musste fliehen, der Kriegsmini­ster wurde gelyncht. Aber Windischgr­ätz kam, schoss und siegte. Auch Slowaken und Rumänen versuchten ihr Glück.

Fast hätte ich die Dänen vergessen, an die man bei Revolution­en nicht sofort denkt. Und natürlich Deutschlan­d. Hier hieß das Happy End oft Flucht nach Amerika.

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