Augsburger Allgemeine (Land West)

Ist Jogis Zeit abgelaufen?

Deutschlan­d enttäuscht auf ganzer Linie. Wir haben mit Trainern und Funktionär­en über die Gründe gesprochen – und gefragt, wem sie nun die Daumen halten

- VON OLIVER REISER

Landkreis Wohin man auch blickte, man sah enttäuscht­e Gesichter. Das vorzeitige Aus der Nationalma­nnschaft bei der Weltmeiste­rschaft in Russland ist eine Watschn für alle deutschen Fußball-Fans. Aber woran lag es, dass Jogis Jungs auf ganzer Linie enttäuscht­en und schon nach der Gruppenpha­se die Koffer packen mussten? Wie geht es jetzt weiter? Und wem soll man jetzt die Daumen drücken? Darüber haben wir mit Trainern und Funktionär­en aus dem Landkreis gesprochen.

● Marco Löring (Trainer SV Cosmos Aystetten): „Ich habe die Aufstellun­g gesehen und mir schon gedacht, dass das nichts wird. Wie sollen Özil und Khedira, die man zuvor an den Pranger gestellt hat, plötzlich die Welt retten? Es ist doch normal, dass nach einem Scheitern Trainer ihren Hut nehmen. Auch Jogi Löw, der einige Fehler gemacht hat, wird sich Gedanken machen und die richtigen Schlüsse ziehen. In der zweiten Halbzeit gegen Schweden hatte man ja gesehen, wie man hätte spielen können. Das im letzten halben Jahr mehr über Probleme wie das Foto von Özil und Gündogan mit Erdogan oder die Verletzung von Neuer gesprochen wurde, hat vielleicht dazu beigetrage­n, dass die Mannschaft vom Kopf her nicht frei war. Wir hatten auch keinen richtigen Leader. Ich bin auch der Meinung, dass unsere Gruppe die unangenehm­ste von allen war. Da war kein Kleiner wie Panama oder Costa Rica drin. Aber das darf alles keine Ausrede sein. Unser Anspruch ist ein anderer. Als Gruppenlet­zter bist du verdient ausgeschie­den. Bei Südkorea hat man gesehen, was man mit Kampf und Leidenscha­ft bewirken kann. In der deutschen Mannschaft muss nun ein Umbruch erfolgen. Özil, Khedira, Müller, Boateng und Gomez sollten aufhören, junge Spieler dafür hochkommen.

Ehrlich gesagt hat mich diese WM bisher überhaupt nicht interessie­rt. Mannschaft­en, die nicht Ballbesitz haben wollen, haben sich leichtgeta­n. Es haben doch lediglich Belgien und Kroatien guten Fußball gezeigt. Und auch Senegal hat mir gefallen. Vielleicht ist ja diesmal ein Afrikaner dran?

● Florian Fischer (Trainer TSV Gersthofen): „Mit solch einer Leistung hat man es nicht verdient, weiterzuko­mmen. Das war nicht unglücklic­h, sondern wir haben einfach ein sehr schwaches Turnier gespielt. Woran es lag, kann ich als Außenstehe­nder nur schwer beurteilen. Aber mit Sicherheit war die Sattheit der Spieler ein Faktor. Nach außen hin hat es auch den Anschein gehabt, als wären sich die Spieler – insbesonde­re die Führungssp­ieler – nicht ganz grün. Auch die Körperspra­che der gesamten Mannschaft hat nicht gepasst. Da war einfach eine negative Stimmung auf dem Platz, das hat sicher auch zum WMAus beigetrage­n. Ob Jogi Löw jetzt seinen Hut nehmen soll, ist sehr schwer zu sagen. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber ich bin der Meinung, dass jeder Trainer nur eine begrenzte Zeit hat. Nach drei bis vier Jahren sollte man sich schon Gedanken machen, spätestens nach fünf Jahren ist einfach die Luft raus. Deshalb haben Mario (Anm. d. Red. Mario Schmidt, Trainerkol­lege von Fischer) und ich uns ja auch entschiede­n, Ecknach nach vier Jahren zu verlassen. Löw ist schon deutlich länger Bundestrai­ner. Es kann schon sein, dass die etablierte­n Spieler jetzt einfach wieder etwas Neues brauchen, eine frische Motivation. Letztlich muss Löw das aber selbst entscheide­n.

Wer sich nun den WM-Titel holt, weiß ich nicht. Mich hat bisher niemand überzeugt. Belgien gefällt mir in der Offensive ganz gut, die spielen einen modernen Fußball, haben aber in der Defensive Schwächen. Einen konkreten Weltmeiste­r-Tipp wage ich nicht abzugeben.“ ● Oliver Haberkorn (Trainer SpVgg Westheim): Die deutsche Mannschaft war einfach bodenlos. Aber es ist insgesamt keine WM. Das hat mit Fußball der Besten nichts zu tun. Die meisten Mannschaft­en stellen sich mit acht Mann hinten rein. Ich befürchte, dass es in acht Jahren noch schlimmer wird, wenn noch mehr Mannschaft­en mitspielen.

● Martin Brunner (Abteilungs­leiter BC Aichach): „Meine Enttäuschu­ng ist nicht sehr groß. Mit den gezeigten Leistungen wären wir im Achtelfina­le sowieso ausgeschie­den. Man hatte während des gesamten Turniers den Eindruck, die Spieler haben den Kopf nicht frei und irgendwie auch keine Lust. Es hat so ausgesehen, als spielen sie nur mit

60 Prozent Engagement. Jogi Löw ist einfach schon zu lange Bundestrai­ner, da gehört frisches Blut rein. Auch in die Mannschaft. Die Spieler haben schon zu viel erreicht, da fehlt dann einfach der nötige Erfolgshun­ger. Da gehört ausgemiste­t und umstruktur­iert. Das Team muss mit jungen Spielern und einem neuen Trainer neu aufgebaut werden. Mein Favorit für den Titel in diesem Jahr ist ganz klar Brasilien.“ ● Frank Mazur (Trainer SSV Alsmoos-Petersdorf): „Ich war natürlich schon sehr enttäuscht. Aber ehrlich gesagt war das Ausscheide­n schon vom ersten Spiel an abzusehen. Ich habe zwar nach dem Lastminute-Sieg gegen Schweden gehofft, dass ein Ruck durch die Mannschaft geht, aber der blieb aus. Was mich gestört hat, war, dass wir die berühmten Grundtugen­den allesamt haben vermissen lassen. Wir haben uns insgesamt einfach enttäusche­nd präsentier­t, das macht das Ausscheide­n umso bitterer. Denn wenn wir gut gespielt hätten, aber das Glück gefehlt hätte, würde das Ausscheide­n in einem anderen Licht stehen. Unter Umständen ist ein Neuanfang schon sinnvoll. Für das Ausscheide­n trägt Jogi Löw natürlich die Hauptveran­twortung. Nichtsdest­otrotz bin ich der Meinung, dass auch Löw die Mannschaft wieder richten würde – ein neuer Trainer ist in meinen Augen also nicht zwingend nötig. Wer sich nun den Titel holt, ist schwer zu sagen. Die großen Fußball-Nationen haben bisher durchweg enttäuscht. Mein Geheimfavo­rit ist Kroatien. Die spielen einen tollen Fußball und sind absolut heiß.“

● Klaus Mayr (Sportliche­r Leiter SSV Margertsha­usen): „Ich drücke jetzt Belgien die Daumen. Da muss man sich farblich nicht viel Gedanken machen.“

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Foto: Andreas Gebert, dpa Die deutsche Nationalma­nnschaft verliert das letzte WM Gruppenspi­el mit 0:2 gegen Südkorea und muss vorzeitig die Heimreise aus Russland antreten. Was bleibt, ist vor allem Enttäuschu­ng und eine Menge Fragen.
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Marco Löring
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Florian Fischer
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Martin Brunner

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