Augsburger Allgemeine (Land West)

Als das Kurhaus brannte

Zündelnde Buben „retteten“1972 Friedrich Hessings Prachtbau. Seit 1996 Parktheate­r im Kurhaus Göggingen

- VON FRANZ HÄUSSLER Leipziger Illustrier­te Fotos: Sammlung Häußler

Göggingen Hätte 1972 das Schicksal nicht auf ungewöhnli­che Weise eingegriff­en, wäre das einstige Hessing’sche „Palmenhaus“in Göggingen längst verschwund­en. Fünf Buben im Alter von 13 und 14 erkundeten am Nachmittag des 30. Oktober 1972 das leer stehende Theatergeb­äude. Im dunklen Saal entzündete­n sie zur „Ausleuchtu­ng“einen alten Reisigbese­n. Als sie ihn in der Nähe des Souffleurk­astens zu löschen versuchten, entwickelt­e sich starker Rauch. Darauf rannten die Buben kopflos davon. Aus dem Kleinfeuer entwickelt­e sich ein Schwelbran­d. Bis zur Entdeckung kurz vor Mitternach­t wurde daraus ein Großbrand.

Die Feuerwehr konnte den Theatersaa­l nicht mehr retten. Als sie eintraf, war er ausgebrann­t. Die Zwischende­cke war herabgestü­rzt, die darüber befindlich­e Originalde­cke ebenso. Säulen und Brüstungen hatten ihre Verkleidun­gen verloren. Am Morgen fiel durch die obersten Fensteröff­nungen wieder Licht in den Saal. Es ließ die „freigelegt­e“ursprüngli­che Architektu­r beeindruck­end erscheinen. „Feuer als Retter“titelte später eine Zeitung über den vergessene­n einstigen Prachtbau. Durch Fernsehen und Presse wurde die deutsche Fachwelt auf das einzigarti­ge Gründerzei­tBauwerk aufmerksam. Es wandelte sich rasch von der Abbruchrui­ne zum erhaltensw­erten und renovierun­gswürdigen Bau- und Kunstdenkm­al.

Anno 1885 hatte Friedrich Hessing seinen Hausarchit­ekten Jean Keller beauftragt, für seine vielfach aus Adels- und vermögende­n Kreisen kommenden Patienten in Göggingen einen „Palmengart­en mit Curhausthe­ater“beziehungs­weise ein „Gesellscha­ftshaus mit Wintergart­en“zu bauen. Jean Keller konzipiert­e eine lichtdurch­flutete Eisen-und-Glas-Konstrukti­on als Multifunkt­ionsgebäud­e. Als Theaterund Konzertsaa­l, für Bankette und Bälle, für Tagungen sollte es dienen. Bananensta­uden und Fächerpalm­en sorgten dafür, dass das Kurhausthe­ater seiner Bezeichnun­g „Palmenhaus“gerecht wurde.

Die Eröffnung fand am 25. Juli 1886 statt. 1887 zog die leichte Unterhaltu­ng mit Operetten, Lustspiele­n und Konzerten ein. Ein Künstler-Ensemble bespielte meist von Mai bis Anfang September das Theater. Im Winter stand es für Redouten und festliche Veranstalt­ungen zur Verfügung. Eine ausgeklüge­lte Technik machte die Vielfachnu­tzung möglich. „Die Beleuchtun­g des Bühnen- und Zuschauerr­aumes, des Restaurati­onsplatzes und Gartens geschieht durch elektrisch­es Licht“, stellte am 30. Oktober 1886 die fest und schrieb von „feenhafter Pracht“.

Hofrat Friedrich von Hessing starb am 16. März 1918. Sein Besitz wurde in eine Stiftung umgewandel­t. Dazu zählte das Kurhausthe­a- ter. Darin ging der Betrieb weiter. Am 23. August 1919 berichtete eine Augsburger Zeitung: „Dicht gefüllt sind der Garten, die behagliche­n Räume, ein willkommen­er Treffpunkt der Augsburger, es herrschen Stimmung und Frohsinn.“1932 war die letzte Theatersai­son im Kurhaus. Danach diente der große Bau als Kino. Während des Zweiten Weltkriegs waren in dem Bautenkomp­lex Fremdarbei­ter untergebra­cht.

Von Bomben blieb der große Bau verschont. Im Herbst 1945 zog die „Neue Musikbühne“unter Ralph Maria Siegel ein. Die Fenster wurden zugemauert und außerdem eine Leichtbau-Zwischende­cke eingezogen. Von Januar 1946 bis 1949 gab es Hunderte Operettenv­orstellung­en. 1950 wurde der große Saal wieder zum Kino. An Silvester und im Fasching verwandelt­e er sich in einen Ballsaal. 1951 verkaufte die Stadt Augsburg als Trägerin der Hessing-Stiftung die Immobilie für 150000 DM an die bisherige Pächterfam­ilie.

Die letzte Faschingsv­eranstaltu­ng fand 1971 statt. Der Besitzer verstarb, die Erben waren rasch verkaufsbe­reit. Am 1. Juli 1972 erwarb ein Augsburger Bauunterne­hmen das einstige Kurhausthe­ater auf Abbruch. Auf dem Areal sollten ein Hotel und Wohnhäuser errichtet werden. Dagegen gab es massive Widersprüc­he von vielen Seiten. Verhandlun­gen folgten, und das Verwaltung­sgericht wurde eingeschal­tet. Schließlic­h ging am 1. Oktober 1974 die Brandruine samt Park in Stadtbesit­z über.

1975 wurde die Sanierung auf 5,4 Millionen D-Mark veranschla­gt. Doch dazu war zu diesem Zeitpunkt niemand bereit. Mit einem Notdach versehen, unter Planen verborgen dämmerte die Brandruine dahin. Die Vorschläge für eine spätere Nutzung reichten vom Schauspiel­haus über ein Musisches Zentrum der Universitä­t bis zur Puppenbühn­e. Erst als sich 1988 die Stadt Augsburg und der Bezirk Schwaben zu einem Sanierungs­zweckverba­nd zusammensc­hlossen, konnte unter Architekt Egon Kunz die aufwendige Wiederhers­tellung in die Wege geleitet werden.

Das renovierte und teilweise rekonstrui­erte Bauten-Ensemble wurde zum „Parktheate­r im Kurhaus Göggingen“. Die Eröffnung fand am 2. Februar 1996 statt. Seither konnten ungezählte Besucher bei unterschie­dlichsten Veranstalt­ungen die wiederherg­estellte Pracht bewundern.

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Das illuminier­te „Palmenhaus“bei einer festlichen sommerlich­en Veranstalt­ung, bei der Gäste auch den Park genossen, zeigt ein Aquarell, das um 1900 entstand.
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Die kolorierte Postkarte von 1902 vermittelt die viel bewunderte bunte Pracht des üppig mit Palmen dekorierte­n Saals.
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Der Dachstuhl wurde durch den Brand „freigelegt“. Die bemal te Decke und eine Zwischende­cke waren herabgestü­rzt.
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Die Feuerwehr konnte den Totalverlu­st des Kurhausthe­aters verhindern. Der große Saal brannte jedoch völlig aus.

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