Augsburger Allgemeine (Land West)
Nichts geht mehr
Die ersten Tage waren die Schlangen vor den Tanksäulen kilometerlang. Dann waren die Tankstellen geschlossen. Kein Benzin mehr. Ein Streik der brasilianischen Lkw-Fahrer vor einem Monat hatte innerhalb weniger Tage das ganze Land mehr oder weniger lahmgelegt. Viele Supermärkte waren leergekauft und auf einmal war es gar nicht mehr so selbstverständlich, von A nach B zu kommen. Es fuhren nur noch wenige Autos auf den Überlandstraßen, und wer am Steuer saß, der beobachtete genau die Benzinanzeige. Reicht der Sprit noch bis zum Ziel? Wir spürten auf einmal die Abhängigkeit unserer Gesellschaft vom Öl. Fließt kein Öl, dann steht irgendwann alles still.
Wir sind es gewohnt, dass unsere Supermärkte gut gefüllt und unsere Tankstellen offen sind. Wir nehmen den Frieden und unseren Wohlstand als selbstverständlich wahr. Doch zurzeit erleben wir viele Erschütterungen. Unsere Welt ist nicht so stabil, wie wir glaubten. Europa droht auseinanderzubrechen. Nationale Interessen stehen über der gemeinsamen Suche nach Frieden und Sicherheit. Unsere Welt erscheint auf einmal sehr viel fragiler.
In Brasilien wurde mir neu bewusst, wie anfällig unsere gesellschaftlichen Systeme in wirtschaftlicher, aber auch in politischer Hinsicht sind. Umso wichtiger ist, dass wir unsere Pflicht als Bürger ernst nehmen. Wir müssen uns informieren, die Wahlprogramme der Parteien genau lesen und unser Wahlrecht ausüben. Wer Europa kleinredet, der sollte die Soldatenfriedhöfe in Verdun besuchen. Das geeinte Europa ist in den Trümmern der beiden Weltkriege entstanden und hat zu jahrzehntelangem Frieden in Europa geführt.
Zurzeit wird in der internationalen Politik vieles zerschlagen, was über Jahrzehnte aufgebaut wurde und gewachsen ist. Es bleibt zu hoffen, dass in allen politischen Diskussionen wieder mehr Vernunft einkehrt, damit auch unsere Kinder und Enkel in friedlichen Zeiten leben können.