Augsburger Allgemeine (Land West)
Und ewig grüßt der Trieb
Frank Castorf inszeniert „Don Juan“
München Don Juan ist ein Mythos der Neuzeit: ewig gierig als Erotomane, nimmermüde in der Eroberung, skrupellos im Verlassen. Ein Getriebener, der für das Glück einer Nacht ganze Leben zerstört. Ein Zyniker, der über die Moral der anderen nur lachen kann. Im 17. Jahrhundert, als Molière sein Theaterstück über Don Juan schrieb, war das auch eine Abrechnung mit dem Adel. Wenn Frank Castorf diesen Molière im Residenztheater auf die Bühne bringt, fließt Gegenwart ein, spiegelt sich in Don Juan auch die existenzielle Not des Überflussmenschen, tritt Don Juan als einer auf, dessen maßlose Gier von einer noch größeren Leere übertroffen wird. Da stürzt sich einer auf alles Weibliche, um dieses Nichts in sich zu betäuben.
Anfangs läuft an diesem gut vier Stunden langen Abend alles auf gewohnten Castorf-Bahnen: Der Bühnenbildner Aleksandar Denic hat wieder einen Zauberkubus errichtet, der sich je nach Drehstellung von einer Gaukler-Bühne in einen Ziegenstall und dann in einen Schlosssaal verwandeln kann. Und dieser Kubus mit den zig Gesichtern wirkt spärlich ausgeleuchtet im Bühnennebel nur umso größer und wandlungsfähiger. Dazu kommt das großartige Schauspiel-Ensemble um Franz Pätzold und Aurel Manthei als Don-Juan-Doppel, als zwei Gesichter dieses Mythos: Hier der Existenz-Tänzer, der am liebsten noch Gott und den Teufel verführen würde, dort der Kraftkerl, der die Welt seinem Eros unterordnen will. Doch beide Don Juans wirken erschöpft und seltsam erschlafft – Gefangene ihres Eroberungstriebs.
Es wird deklamiert, gekreischt, gegeifert. Die einen juckt es im Schritt, die anderen bekommen schwarze Pestbeulen am Hals. Das Leben ist endlich. Und im Stall stehen drei hungrige Ziegenböcke – Symbole des Eros und der Virilität. Als dann das Bauernmädchen Charlotte (Nora Buzalka) eingeführt wird, die eigentlich ihren Pierrot (Marcel Heupermann) heiraten soll, und dieser Pierrot seiner ziegenmelkenden Charlotte von den adligen Schiffbrüchigen erzählt, die er aus dem Meer gezogen hat, wird aus der Eros-Behauptung plötzlich Wirklichkeit. Buzalka saugt die Erzählung ihres Pierrots auf. Der Don Juan, den sie vor ihrem inneren Auge sieht, dieser Fantasie-Don-Juan ist unwiderstehlich, der größte aller Verführer. Ihr wird warm, richtiggehend heiß. Und dieses Glühen der Charlotte breitet sich im kompletten Theater aus. Der Eros ist da – nicht bei Don Juan, sondern der Frau, die er später erobern wird.
Für Castorf-Verhältnisse wird nahezu stringent die Don-Juan-Geschichte erzählt, angereichert um Texte von Puschkin, Georges Bataille, Blaise Pascal. Am Ende ist sich das Münchner Publikum einig: großer Applaus für die Darsteller und den Regisseur und sein Team. Ein starker Abend.
O
Termine Weitere Aufführungen am 7., 13. und 18. Juli.