Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie auf Schienen lief es hier schon immer

Das Tramdepot am Roten Tor hat eine lange Tradition. Die Halle war Augsburgs erster Bahnhof / Serie (10, Ende)

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Augsburg 1838 begannen die Arbeiten an beiden Endpunkten der Bahnverbin­dung zwischen München und Augsburg. In Augsburg entstand ein Kopfbahnho­f vor dem

Roten Tor. Dieser erste Augsburger Bahnhof stellt den Vorgängerb­au des heutigen Hauptbahnh­ofs dar.

Das Gebäude an der Baumgartne­rstraße steht noch immer. Allerdings erfüllt es einen neuen Zweck. Dieser ist allerdings gar nicht weit entfernt von der ursprüngli­chen Funktion, denn noch immer geht es um Verkehr auf Schienen: Das Gebäude wird heute von den Stadtwerke­n als Herzstück des Straßenbah­nbetriebsh­ofes genutzt. Die Halle mit basilikale­m Querschnit­t steht unter Denkmalsch­utz. Wo heute moderne urbane Schienenfa­hrzeuge parken, rangierten seinerzeit die ersten Dampflokom­otiven der Stadt. Das Gebäude wurde für die Zwecke der Stadtwerke saniert. Gut erhalten ist die Tragwerkko­nstruktion von Johann Georg Gollwitzer, dem Vater des berühmtere­n Karl Albert Gollwitzer. Beim Blick auf den imposanten hölzernen Dachstuhl braucht es wenig Fantasie, um sich vorstellen zu können, wie die offene Bahnhofsha­lle bei der Einweihung­sfeier am 4. Oktober 1840 auf die begeistert­en Gäste gewirkt haben mag. Weniger begeistert waren sie allerdings vom Reisen in der 4. Klasse. Während die 1. Klasse bereits den Luxus von Glasfenste­rn bot, waren die 2. und 3. Klasse immerhin überdacht. Die Passagiere der 4. Klasse allerdings waren wenig erfreut über das „Cabriolet“-Feeling, denn das bedeutete damals keinen erfrischen­den Fahrtwind, sondern umnebelt von Rauch und Ruß zu reisen. Kein Wunder also, dass diese Open-AirPlätze so wenig Anklang fanden, dass sie bereits ein Jahr später ausgemuste­rt wurden.

An der Stirnseite der 60 Meter langen Halle mündeten die drei Gleispaare in Drehscheib­en, auf denen die Loks umgesetzt wurden. „Die ungeahnt stürmische Entwicklun­g im Eisenbahnw­esen überrollte die Planer“, berichtet Franz Häußler, Autor und Experte für die Augsburger Stadtgesch­ichte. „Allein im Eröffnungs­monat Oktober 1840 erprobten 20225 Personen das neue Verkehrsmi­ttel“, so Häußler. Neben der Neugier auf die neue Technik gab es einen weiteren Grund für diese Reiselust: Am 11. Oktober eröffnete in München das Oktoberfes­t. Mit einer Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit von 23,7 km/h hatte man reichlich Zeit für die Vorfreude. Zweieinhal­b Stunden, um genau zu sein.

Der Fall des Augsburger Bahnhofs beim Roten Tor kam so rasch wie sein Aufstieg: Nach kaum sechs Jahren Betriebsze­it schickte man das Gebäude in Rente. Als Tor zur Welt der Überlandst­recken errichtete man in günstigere­r Lage am Rosenauber­g den im Juli 1846 eingeweiht­en Hauptbahnh­of. Der ausgedient­e Ur-Bahnhof wurde noch eine Weile als Güterverla­destation genutzt. Danach wurden die schweren Stahlrösse­r von den Pferden der leichten Reiter ersetzt: Der ehemalige Bahnhof diente als militärisc­he Reitschule der Chevaulege­rs. Seit 1920 erfüllt die Halle ihren heutigen Zweck als Straßenbah­n-Depot. Die historisch­e Bedeutung des Gebäudes ist wenig bekannt. Doch auch der Nachfolger ist geschichts­trächtig: Den heutigen Augsburger Hauptbahnh­of schmückt das älteste noch im Betrieb befindlich­e Empfangsge­bäude in einer deutschen Großstadt. Serie Mit diesem Beitrag endet unsere Serie der „Bahnhofsge­schichten“. Viele Fotos finden Sie in unserer Bildergale­rie unter www.augsburger allgemeine.de

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Foto: Michael Eichhammer Hier läuft es seit 1840 wie auf Schienen: Der heutige Straßenbah­nbetriebsh­of war einmal der erste Augsburger Hauptbahnh­of.

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