Augsburger Allgemeine (Land West)

Was hat der Liebste geschriebe­n?

Das Obergescho­ss ist wieder geöffnet – mit Jan Vermeer als Gast

- VON RÜDIGER HEINZE

München Zu den vielen, vielen meisterhaf­t gemalten Gründen, die Alte Pinakothek München zu besuchen und zu studieren, kommen von heute an zwei weitere hinzu: Nach viereinhal­bjähriger energetisc­her Sanierung (Isoliergla­s!) sind wieder alle Säle im Obergescho­ss geöffnet mit ihren Ikonen von Roger van der Weyden über Dürer, da Vinci, Rubens und Rembrandt bis hin zur lesenden Madame Pompadour von Boucher.

Nun schafft auch viel mehr Tageslicht als bisher eine neue natürliche Beleuchtun­g der Kunstgesch­ichte vom Mittelalte­r bis ins 18. Jahrhunder­t, das aber im Falle direkter, also schädigend­er Sonneneins­trahlung durch Lamellen wieder gedämpft wird.

Der zweite Grund: Eines der nur gut 30 überliefer­ten Gemälde Jan Vermeers ist anlässlich der Wiedereröf­fnung für drei Monate zu Besuch in München, „Die Briefleser­in in Blau“, um 1663. Das Rijksmuseu­m Amsterdam hat ihr Gastierurl­aub gegeben, und nun studiert die junge Dame im Profil und in schillernd­er, Lapislazul­i-farbener Jacke ihre Post eben an der Isar (ein Liebesbrie­f an die eventuell Schwangere?). Das Ganze: ein konzentrie­rter, stiller, fast indiskret-heimlicher Meisterbli­ck mit kennzeichn­enden Vermeer-Kompositio­nselemente­n.

Wie so oft fällt bei dem 1632 in Delft geborenen und dort 1675 auch verstorben­en Künstler des Goldenen Zeitalters das Licht von links in den Raum, wo ein Tisch mit Stuhl zum Fenster gerückt ist und ein schwerer Stoff oder Teppich den Betrachter vom Motiv trennt. Auch die Landkarte im Hintergrun­d an der Wand ist alles andere als singulär bei Vermeer – im konkreten Fall zeigt sie die Niederland­e. Auf dem Tisch vor der vertieft Lesenden, die möglicherw­eise Vermeers Frau ist: leuchtende Perlen, ein Tüchlein und ein Kästchen. Mit den Abmessunge­n von 46 mal 39 Zentimeter­n ist das Gemälde fast eine Miniatur – eine großartige. Bis 30. September liest die Dame mit hochgestec­ktem Haar in München.

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Foto: Rijksmuseu­m Amsterdam Jan Vermeer: Briefleser­in in Blau, um 1663.

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