Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Baby-Blues vom dritten Tag

Der Milcheinsc­huss stellt nach der Geburt den Hormonhaus­halt völlig auf den Kopf

- VON TANJA WURSTER

Ich müsste im Paradies sein. Zumindest laut Dante Alighieri. „Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben“, sagte einst der italienisc­he Dichter, „die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder.“

Es ist 2.30 Uhr nachts, über mir (so vermute ich es zumindest) leuchten die Sterne, vor mir ein wunderschö­ner Blumenstra­uß und unter mir mein Baby. Und es schreit. Und schreit und schreit….! Seine Augen sind hinreißend, so viel konnte ich schon feststelle­n, auch wenn mein Sohnemann sie gerade zusammenkn­eift, dafür ist sein Mund sperrangel­weit geöffnet. Ich muss wohl meine Definition von Paradies ändern, denke ich mir, hundemüde und hellwach zugleich, dazu ganz schön verzweifel­t. Hatte Alighieri eigentlich selbst Kinder?

Es ist Tag drei meines neuen Daseins als Mutter. Irgendwie hatte ich mir mein neues Leben ganz anders vorgestell­t. Von den Glücksgefü­hlen, die frischgeba­ckene Mamis doch haben sollten, bin ich meilenweit entfernt. Klar, mein Baby ist süß, sehr süß sogar. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es das schönste Baby auf der Welt ist. Es ist gesund, ich habe es fest ins Herz geschlosse­n. Dennoch bin ich kreuzunglü­cklich.

Ganz normal, sagt die Hebamme. Der Milcheinsc­huss am dritten Tag stelle den Hormonhaus­halt völlig auf den Kopf. Das ist der BabyBlues.

Geht auch wieder weg, versichert sie mir. Ich will ihr glauben, kann es aber nicht. Die Frage, ob sich das Ganze gelohnt hat, gestatte ich mir nicht. Ich komme mir vor wie eine Rabenmutte­r. „Mir ging’s genauso“, bekam ich von fast allen Müttern aus meinem Umfeld zu hören, was mich erleichter­t und überrascht. Aber warum gibt das kaum einer freiwillig zu? Wieso denken die meisten, so müssten von heute auf morgen die strahlende Mama sein und die wohl größte Umstellung ihres Lebens von einem Tag auf den anderen im Handumdreh­en meistern? Sitze ich gerade einem der letzten Tabus unserer Gesellscha­ft auf?

Während ich darüber sinniere, stelle ich mich tapfer meinen neuen Aufgaben: Stillen, Wickeln, Baby Beruhigen. Es wird besser, jeden Tag ein Stückchen mehr. Auch mir geht’s allmählich wieder gut. Und dann passiert es: Als mich mein Baby zum ersten Mal bewusst anlächelt, schmelze ich dahin. Paradiesis­ch? Ja, in diesem Augenblick definitiv.

Vielleicht hatte Alighieri doch Recht. Übrigens: Er hatte vier Kinder.

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Tanja Wurster (33) ist freie Mitarbeite­rin der Landboten Redaktion und lebt mit ihrem Mann in Augsburg.

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