Augsburger Allgemeine (Land West)
Der DFB hat eine Chance verpasst
Joachim Löw hat entschieden: Er bleibt Bundestrainer – und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) lässt ihn bleiben. Das muss niemanden überraschen. Eine knappe Woche nach dem desaströsen WM-Ausscheiden hat sich der Ärger gelegt, haben die Menschen im Land wieder ihre innere Mitte gefunden. Der öffentliche und mediale Druck, aus dem Präsidenten und Vorstände ihre Legitimation für Trainerentlassungen nehmen, ist verpufft. Tatsächlich war er nie so groß, dass er der DFB-Spitze nur die eine Möglichkeit des Rauswurfs gelassen hätte.
Stattdessen haben sich die Warmherzigen zu Wort gemeldet und auf Löws Verdienste verwiesen. Die altmodische Haltung, einen Spieler oder Trainer auch danach zu bewerten, was er geleistet hat, und nicht nur nach dem, was er zukünftig zu leisten in der Lage ist, hat im deutschen Fußball Tradition. Löw hat sie in seiner Treue zu Spielern wie Lukas Podolski selbst gepflegt. Der DFB ist stolz darauf, keinem seiner Bundestrainer je den Stuhl hart vor die Tür gestellt zu haben. Trennungen wie die von Jupp Derwall oder Berti Vogts erfolgten bilateral. Das läuft sympathisch gegen die kühlen Gesetze der Branche, führt aber auch in Sackgassen.
Der Mangel an Alternativen hat es Bierhoff & Co. zweifellos leichter gemacht, Löws Entscheidung mitzutragen. Im Ergebnis hat der DFB damit einen Sicherheitspass gespielt. Einen Pass, der ihm Zeit beschert, oder auch Zeit kostet – mit dem auf Dauer aber nichts zu gewinnen ist. Die Chance, die Nationalelf umzubauen, ihr nicht nur ein „Die-Mannschaft-Etikett“aufzukleben, ist fürs Erste dahin. Dabei haben die deutschen Auftritte in Russland vor allem eines gezeigt: das Unternehmen hat sich in der aktuellen Aufstellung abgenutzt. Routine hat Hingabe und Leidenschaft erstickt.
So wie Traineramt Fortsetzung folgt, wird auch die Mannschaft ihr Gesicht behalten. Es ist noch nicht die Zeit für den großen Schnitt. Mögen einem Müller, Özil und Gomez müde erscheinen – wie schwer es ist, reife Klasse zu ersetzen, erlebt Joshua Kimmich als Nachfolger von Philipp Lahm. Demnach werden sich in der neuen Nations League gegen Frankreich am 6. September wieder dieselben Spieler um Jogi Löw versammeln – vereint in der Erinnerung an das WM-Desaster. Ein Szenario, das den 58-Jährigen schon bald zum ersten Bundestrainer werden lassen könnte, dem der DFB den Stuhl hart vor die Tür stellt.