Augsburger Allgemeine (Land West)

Er verkauft Maultasche­n in Mexiko

Die letzten Spätzle vor dem Pazifik? Als den Augsburger Max Wüst der Zufall nach Mexiko verschlägt, sucht er einen neuen Job. Er findet einen alten Anhänger und seine Liebe zur alten und neuen Heimat

- VON BASTIAN SÜNKEL

Es dauert ein paar Sekunden und der junge Mann auf der anderen Seite der Theke entscheide­t sich für „Pasta con queso“. Dann geht alles sehr schnell. Kühlschran­ktür auf, Kühlschran­ktür zu. Gas auf, Feuer an. Pfännchen, Butter, Pasta rein, Zwiebeln, Käse reiben. Fertig. „Provecho“, wünscht der Küchenchef und der Gast beginnt zu essen.

Das ist eine Alltagssze­ne im Leben von Max Wüst, zumindest in seinem neuen Leben. Vier Jahre früher hätte der gebürtige Augsburger einen Gast schräg angeguckt, wenn er „Pasta con queso“bestellt und erwartet hätte, das Max ihm Käsespätzl­e serviert. Aber die Zeiten haben sich geändert. Zwischen seiner Stelle im Augsburger „Prinz Karl“und seinem Imbissstan­d mit dem Namen „Heimatlieb­e“im mexikanisc­hen Puebla liegen mehrere Jahre, knapp 10 000 Kilometer, eine Hochzeit, ein Kind, ja, ein komplett neues Leben.

Max, 29, trägt am Tag, als er die Geschichte der vergangene­n Jahre erzählt, einen rosa Vollbart – sein Einsatz einer verlorenen Wette mit den Jungs aus der Nachbarsch­aft. Die deutsche Nationalma­nnschaft, das Auftaktspi­el gegen Mexiko, das 0:1 … Halb so wild.

Sein Leben zuvor war nicht weniger verrückt, berichtet er. 2014 hat er seinen Job im „Prinz Karl“gekündigt. Er habe zu dieser Zeit Augsburg in- und auswendig kennengele­rnt. Er mag seine Heimat, wollte aber sein Glück in Berlin versuchen. Am Ende einer wilden Zeit in der Berliner Klubszene um das „Prince Charles“wurde er mit einem Meniskusri­ss ins Krankenhau­s eingeliefe­rt. „Das war ein Zeichen für mich, etwas an meinem Leben zu ändern.“

Er erinnert sich an den frühen Tod seiner Mutter, der ihn aus der Bahn geworfen hat. Mit seinem Vater hatte er nicht viel zu tun. Nur seine Schwester war für ihn da – und ein unbekannte­r Teil der Familie lebte auf der anderen Seite des Atlantiks. Sein Großonkel, erzählt Max, sei vor Jahrzehnte­n zufällig in Mexiko gelandet. Er wollte einen Job als Journalist in Spanien beginnen, habe aber vor der Überfahrt schlecht recherchie­rt: Statt im spanischen Veracruz sei sein Verwandter mit dem Schiff im mexikanisc­hen Veracruz gelandet.

In Max reift der Wunsch, die Familie zusammenzu­bringen. Dann geht in der Erzählung alles so schnell wie bei der Spätzlebes­tellung. Er besucht im Mai 2016 seine Verwandten in Cancún, lernt unabhängig davon Lucero kennen, verliebt sich, heiratet und seit etwas mehr als zwei Monaten sind sie mit dem kleinen Emilian zu dritt.

Natürlich ging in der Realität nicht alles so schnell. Ein Job als Küchenchef im Flüchtling­sheim in der Berliner Prinzregen­tenstraße, später eine ähnliche Stelle in Mexiko. Geld sparen, unzählige Behördengä­nge, in Deutschlan­d alles aufgeben, „rübermache­n“– eine zähe Zeit, die sich bis weit ins Jahr 2016 zieht. Prinz Karl, Prince Charles, Prinzregen­tenstraße, fasst Max die Vergangenh­eit zusammen. „Jetzt bin ich angekommen“, sagt er.

Um seinen Stand versammeln sich wieder die Jungs aus der Nachbarsch­aft und Enriques Familie, dessen 15-jährige Tochter bei Max Deutschunt­erricht nimmt. Es ist nicht alles einfach, das Geld sei immer ein Problem.

Die „Heimatlieb­e“steht nicht an einer der Durchfahrt­sstraßen Pueblas oder gar im touristisc­hen Zentrum. In den Stadtteil Uemac kommt eigentlich nur, wer dort auch wohnt. Max Wüst kennt die meisten seiner Kunden persönlich. Er sieht sich nach neuen Stellplätz­en um, aber es sei nicht leicht. Die Behördengä­nge frustriere­n ihn mittlerwei­le. An die Zufahrtsst­raßen hat er ein paar Schilder an den Laternenma­sten befestigt: „Heimatlieb­e“, comedia alemán – deutsche Küche.

Als er vor etwas mehr als einem Jahr den einstigen Friseurwag­en gekauft und ausgestatt­et hat, hat Max noch viele Gerichte mit ihren deutschen Namen an die Tafel geschriebe­n. Mittlerwei­le hat er eine Mischung aus deutschen und spanischen Begriffen gewählt. „Strudel manzana“ist Apfelstrud­el, „Ravioli alemán“sind Maultasche­n, „Pizza alemán“ist Flammkuche­n, „Hot Dog salchicha alemán“drei Bratwürste mit Kraut in der selbst gebackenen Semmel. Bei den Preisen musste er sich an der Straßenküc­henszene orientiere­n. Die Bratwursts­emmel kostet 30 Peso, umgerechne­t knapp 1,30 Euro. „Deutsche Küche zu mexikanisc­hen Preisen“, sagt Max. Aber „Heimatlieb­e“klingt doch stark nach Heimweh? Nur zum Teil, sagt er. Natürlich vermisse er seine Freunde. Aber Heimatlieb­e hat eben nicht nur eine Bedeutungs­ebene. Seinen Gästen erzählt er, dass der Name auch für die Liebe steht, die er in Mexiko und zu seiner neuen Heimat gefunden hat.

OInfo

Der Autor hat 2014 mit Max Wüst für ein paar Monate in einer Augsbur ger WG zusammenge­lebt. Damals hat man nie über Mexiko gesprochen, jetzt hat er seinen alten Zimmernach­barn wäh rend seiner Weltreise besucht und in der „Heimatlieb­e“ausgeholfe­n. Unter „heimatlieb­end“findet sich sein Ins tagram Auftritt.

„Ravioli alemán“sind Maultasche­n

 ?? Foto: Bastian Sünkel ?? Der Augsburger Max Wüst hat in Mexiko eine neue Heimat gefunden: In seinem Imbiss „Heimatlieb­e“gibt es deutsche Gerichte wie Apfelstrud­el und Kässpätzle.
Foto: Bastian Sünkel Der Augsburger Max Wüst hat in Mexiko eine neue Heimat gefunden: In seinem Imbiss „Heimatlieb­e“gibt es deutsche Gerichte wie Apfelstrud­el und Kässpätzle.

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