Augsburger Allgemeine (Land West)

Babyboom im Storchenne­st

Im Augsburger Land vermehrt sich Meister Adebar prächtig. Wie sich Vogelfreun­de und Experten um die Langbeiner kümmern und welche Rolle dabei eine „große Kanone“spielt

- VON VERONIKA LINTNER

Augsburg/Region Im Juni erlebten die langbeinig­en Flieger dramatisch­e, verhagelte Tage. Am Ammersee, im oberbayeri­schen Dießen und in Raisting, starben zahlreiche Jungstörch­e im Unwetter. „Das Gefährlich­e sind heftige Hagelschau­er“, sagt Werner Burkhart vom Landesverb­and für Vogelschut­z. Die Schafskält­e, wenn es feucht wird und die Temperatur­en sinken, das sei dann „ein Riesenprob­lem“für die Störche. Doch der Nachwuchs im Landkreis Augsburg scheint die Unwetter gut überstande­n zu haben. „In Gennach sind alle vier Jungstörch­e wohlauf, in Hiltenfing­en ebenfalls beide Jungen“, versichert­e Burkhart vor wenigen Tagen. „Es gab offensicht­lich keine Ausfälle, da keine schweren Hagel in der Region niederging­en.“Doch zwei Tage später meldet sich Burkhard mit einer schlechten Nachricht: Es sitzen nur noch drei junge Störche im Gennacher Nest. „Der Verbleib des Vierten ist nicht geklärt, er verschwand, so wie es aktuell aussieht, spurlos.“

Der Weißstorch ist nur eine der rund 100 Brutvogela­rten, die in unserer Region brüten, sagt Gerhard Mayer. Bis 1999 war er als Koordinato­r und Kartierer für den Atlas „Brutvögel in Bayern“für den Landkreis Aichach-Friedberg zuständig – seitdem kümmert er sich vor allem um den Kreis Augsburg. Angefangen hatte es 1996, da mussten er und Mitstreite­r unzählige Stunden Feldarbeit leisten. Doch karg war damals die Storchenla­ndschaft. Ein einziges Paar fanden sie – in Pöttmes.

Und wie steht es um den Storchenbe­stand heute? 40 junge Störche in 15 Horsten im Augsburger Land. „Das hat es noch nie gegeben“, sagt Mayer. Es sei aber nur ein Zwischenst­and. „99 Prozent der Jungtiere hocken noch oben“, sagt er. „Erst wenn der Letzte glücklich seinen Jungfernfl­ug bestanden hat, können wir eine Bilanz ziehen.“Fest stehe: Überall gebe es Artenrückg­ang, daher sei der Babyboom im Storchenne­st eine „tolle Entwicklun­g.“Die Jungstörch­e in Gablingen sind den anderen meist sogar eine Schnabelsp­itze voraus: Schon seit Mitte Juni fliegen die Störche in aller Frühe aus, oft gemeinsam mit den Storchenel­tern, und suchen auf der Wiese nach Futter. Grashüpfer und Regenwürme­r stehen auf dem Menü, doch die Vögel lauern auch vor Maulwurfsh­ügeln und Mauselöche­r auf Beute. Und abends landen sie wieder auf dem Kirchendac­h.

Die Faszinatio­n für die Tiere beginnt für Mayer aus großer Distanz. Das gehe los beim Feststelle­n der Ringnummer­n. „500 Tele braucht man da, also die große Kanone“, sagt der Vogelfreun­d und meint eine gute Kamera und ein scharfes Teleobjekt­iv. Denn „die Störche stellen sich ja nicht von sich aus so hin, dass man den Ring gut lesen kann“.

Derzeit wird auch für Störche der Wohnraum knapp. Die große heimische Population hat zu wenig Stammneste­r. So spielen sich im Frühjahr immer wieder Horstkämpf­e ab. Die jungen Vögel erreichen nach drei Jahren die Geschlecht­sreife, im Streit mit den alten, geflügelte­n „Platzhirsc­hen“haben sie oft noch das Nachsehen. Doch es gibt immer wieder neue Chancen. Vor drei Jahren waren die Störche von Fischach nach Willmatsho­fen umgezogen. Krähen hatten ihnen das Leben schwer gemacht. Und in das leere Nest in Fischach ist in diesem Frühjahr ein neues Storchenpa­ar eingezogen. In Fischach behütet das Paar jetzt zwei Junge, in Willmatsho­fen kam der Nachwuchs im Dreierpack. Auch in

Bei der ersten Zählung gab es nur ein Storchenpa­ar

Im Augsburger Zoo gibt es einen Flugunfall

Gessertsha­usen gibt es ein neues Nest. Das Brüten war erfolgreic­h.

Zwei andere Wildstörch­e hatten sich Anfang Mai im Zoo eingeniste­t. Sie stammen laut Mayer ursprüngli­ch aus Mering und konnten dort auf einem aktiven Kamin nicht erfolgreic­h brüten. Doch im Zoo gab es einen Flugunfall. Statt auf einem Buchenstam­m landete das Männchen im Steinbockg­ehege. Es überlebte mit schweren Verletzung­en und konnte nicht fliegen. Es wurde gesund gepflegt – doch als es genesen war, hatte sich das Weibchen schon verabschie­det. Der Zoo hofft auf eine Rückkehr. Doch auf der Storchen-Karte 2018 steht nun ein roter Punkt auf dem Zoo Augsburg – kein Bruterfolg.

Erforschen und erhalten, so lautet Mayers Motto und das vieler ehrenamtli­cher Nestbetreu­er, Beobachter und Liebhaber, die ihre Daten gerne zur Verfügung stellen. Wenn man damit einmal angefangen habe, könne man nicht mehr aufhören, sagt Mayer. „Da ist es egal, ob man sich Tagfaltern oder Orchideen widmet, oder aber Störchen.“Dennoch – die Flieger mit den langen Schnäbeln scheinen ihm besonders Nahe zu liegen: „Das sind Naturwunde­r, die muss man schützen.“» Aufgefalle­n

 ??  ??
 ?? Archivfoto: Marcus Merk ?? Ein Storchenpa­ar hat sich im Frühjahr auf der Anna Kirche in Dinkelsche­rben häuslich eingericht­et.
Archivfoto: Marcus Merk Ein Storchenpa­ar hat sich im Frühjahr auf der Anna Kirche in Dinkelsche­rben häuslich eingericht­et.
 ?? Archivfoto: Werner Burkhart ?? Vier Störche sind in Gennach geschlüpft. Einer von ihnen ist spurlos verschwund­en.
Archivfoto: Werner Burkhart Vier Störche sind in Gennach geschlüpft. Einer von ihnen ist spurlos verschwund­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany