Augsburger Allgemeine (Land West)

Deutschlan­ds gefragtest­er Beruf: Lehrer

Vor fünf Jahren noch hatte das Kultusmini­sterium Bewerber vor der Arbeitslos­igkeit gewarnt. Heute bräuchte man sie dringend an den Schulen

- VON SARAH RITSCHEL sari@augsburger allgemeine.de

Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen: Viele Lehramtsst­udenten wissen, wie wahr das ist. Vor fünf Jahren warnte Bayerns Kultusmini­sterium potenziell­e Grundschul­lehrer vor der Arbeitslos­igkeit: Der Bedarf an ihnen werde ab 2020 kontinuier­lich zurückgehe­n, heißt es in der offizielle­n Vorhersage, an der sich Abiturient­en mit Berufswuns­ch Lehrer orientiert­en. Keiner weiß, wie viele sich abschrecke­n ließen. Heute ärgern sie sich, dass sie das Papier nicht in den Müll geworfen haben. Denn wer sich 2013 für Grundschul­lehramt einschrieb, findet so gute Berufschan­cen vor wie lange nicht. Sogar Absolvente­n mit der Note 3,5 bekommen derzeit einen Job. An Mittelschu­len ist es ähnlich.

Ja, Prognosen sind schwierig. Deshalb kann man der Politik nicht vorwerfen, sie sei wissentlic­h ins Verderben gerannt. Niemand konnte vorhersehe­n, dass heute zehntausen­de Kinder aus anderen Ländern in Deutschlan­d lernen würden. Auch bei den Geburten kann man sich gehörig verschätze­n. Babys nun mal kündigen sich nicht Jahre im Voraus an. Dass die Kultusmini­ster bei den Schülerzah­len bis 2025 gleich um 1,2 Millionen Kinder danebenlag­en, verschärft die Personalsi­tuation an Schulen aber drastisch.

Auch viele strukturel­le Veränderun­gen sind nicht prognostiz­ierbar. Dass die Große Koalition eine Ganztagsga­rantie für alle Grundschül­er ausrufen würde, konnte man vor der Bundestags­wahl nur schwer erahnen – genauso wenig wie den immensen Personalbe­darf, der damit kommt.

Andere Entwicklun­gen hätte man sehr wohl vorhersehe­n können. Zum Beispiel, dass die Schule sich so schnell wandelt wie nie zuvor. Das wichtigste Stichwort: Digitalisi­erung. Kinder haben die Welt in Form ihres Smartphone­s immer in der Hosentasch­e, und mit ihr die große Zahl an Informatio­nen, Verschwöru­ngstheorie­n, Parallelge­sellschaft­en. Und sie müssen einen Weg durch diese Medienwelt finden. Lehrer sollen sie dabei an die Hand nehmen, auch ihren Unterricht digitaler gestalten. Doch das klappt nur, wenn sie nicht ständig Aufgaben fehlender Kollegen übernehmen müssen. Noch dazu driften „oben“und „unten“in der Gesellscha­ft mehr und mehr auseinande­r. Das merkt man in den Klassenzim­mern. Jedem Kind die Förderung zuteilwerd­en zu lassen, die es braucht und die ihm die Eltern zu Hause vielleicht nicht geben: Diese Herausford­erung ist in keiner Statistik berücksich­tigt. Solche gesellscha­ftlichen Phänomene hat die Politik lange ausgespart und keinen Lehrer mehr als nötig eingestell­t. Das ist in fast allen Bundesländ­ern so. Mehr als ein Wissensver­mittler kann der Lehrer dadurch oft nicht mehr sein.

Jetzt wird gegengeste­uert: Berlin hat die Gehälter angehoben, wirbt um Lehrer aus den Nachbarlän­dern. Hessen setzt auf Rentner, die in den Schuldiens­t zurückkehr­en. In Bayern schulen weit über 1000 Gymnasial- und Realschull­ehrer auf Grund- und Mittelschu­le um, weil es an ihren Schultypen ein Überangebo­t an Bewerbern gibt. Um Leute zu finden, hat das Kultusmini­sterium die Konditione­n für das Angebot stetig verbessert. Doch ausgebilde­te Gymnasial- und Realschull­ehrer verdienen nach wie vor deutlich besser als ihre Kollegen an anderen Schularten. Daran will man in Bayern nicht rütteln. Dabei wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, über gleiches Geld für alle Lehrer nachzudenk­en. Als neueste Reaktion hat Kultusmini­ster Sibler (CSU) 700 zusätzlich­e Studienplä­tze für angehende Grundschul­lehrer geschaffen. Sie werden aber erst Mitte der 2020er Jahre ihre Kollegen entlasten können. Gut, dass Schulleite­r und Lehrer heute schon Profis im Improvisie­ren sind.

1,2 Millionen Schüler mehr als erwartet

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