Augsburger Allgemeine (Land West)

Breitseite­n gegen Seehofer und Merkel

Nach dem Asylstreit nutzt die Opposition die Generaldeb­atte zur großen Abrechnung mit CDU und CSU. Die AfD fordert die Kanzlerin zum Rücktritt auf. Doch auf der Regierungs­bank gibt es ein zartes Signal der Versöhnung

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Es ist nur eine flüchtige Berührung, allenfalls ein leichtes Tätscheln, das einen winzigen Augenblick dauert: Horst Seehofer legt seine Hand auf den Unterarm von Angela Merkel. Und zieht sie, wie von seiner eigenen Geste erschrocke­n, auch gleich wieder zurück. Ein paar Worte wechseln der Innenminis­ter von der CSU und die erstaunte Bundeskanz­lerin von der CDU dabei, für einen Moment entsteht der Eindruck, es gäbe eine Spur von Vertrauthe­it zwischen den beiden, von der bei der nüchternen Begrüßung wenige Minuten zuvor, dem Händeschüt­teln, dem kurzen Gespräch nichts zu spüren war.

Am Mittwoch, kurz vor Beginn der Generaldeb­atte zum Haushalt im Bundestag, genügt schon diese kleine Szene, die an anderen Tagen niemand registrier­t hätte, für ein überrascht­es Raunen auf den Rängen der Abgeordnet­en: Weht auf der Regierungs­bank ein Hauch von Versöhnung? Noch am Montag schien es ja, als würde der erbitterte Asyl-Konflikt zwischen Merkel und Seehofer nach turbulente­n Wochen zum Bruch der Union von CDU und CSU, zum Scheitern der Großen Koalition mit der SPD führen.

Unversöhnl­ich hatten Seehofer und Merkel auf ihren Positionen im Streit um die Zurückweis­ung bestimmter Flüchtling­e an der Grenze zu Österreich beharrt, Seehofer sprach schon von Rücktritt, erst in allerletzt­er Sekunde fand sich ein Kompromiss: Über Transitzen­tren an der Grenze sollen Flüchtling­e, die bereits in anderen EU-Ländern registrier­t sind, in diese zurückgefü­hrt werden. Die Opposition nutzt dann die Generaldeb­atte zum Haushalt auch zur Generalabr­echnung mit der Regierung, ihrem Streit und dem Kompromiss, der den Zerfall des konservati­v-sozialdemo­kratischen Bündnisses gerade noch verhindert hat.

Als größter Opposition­skraft steht der AfD die erste Wortmeldun­g zu, und Fraktionsc­hefin Alice Weidel braucht keine vier Minuten, da ist sie beim Lieblingst­hema ihrer Partei. Die Regierung, „die eigentlich schon zerfallen“sei, verschwend­e Milliarden von Euro für die „Alimentier­ung von Asylbewerb­ern“. Weidel fordert Merkel zum Rücktritt auf.

Die Kanzlerin verzieht keine Miene. Und verteidigt den Asylkompro­miss. Das Thema Migration werde mit darüber entscheide­n, ob die Europäisch­e Union Bestand habe. „Es muss mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen, damit die Menschen den Eindruck haben, Recht und Ordnung werden durchgeset­zt“, sagt sie. Ungewohnt deutlich bekennt sie sich zu Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderun­g. So verspricht sie etwa, Deutschlan­d werde seinen Beitrag für einen besseren Schutz der Außengrenz­en leisten. Merkel versucht aber auch, energisch den Eindruck zu zerstreuen, in der Großen Koalition drehe sich alles nur um die Flüchtling­spolitik. Vom erhöhten Mindestloh­n über das Paket zur Stärkung von Familien und das Rückkehrre­cht von Teilzeit auf Vollzeit sei bereits einiges erreicht worden. Und dann sagt sie einen bemerkensw­erten Satz: „Die Bundesregi­erung arbeitet.“

Als sie auf die Regierungs­bank zurückkehr­t, zeigt Horst Seehofer, dem am Rande der Debatte immer wieder Abgeordnet­e zu seinem 69. Geburtstag gratuliere­n, keine Reaktion. Zwischen ihm und Merkel sitzt jetzt SPD-Finanzmini­ster Olaf Scholz.

Die Worte, die FDP-Chef Christian Lindner an die Regierung richtet, triefen geradezu vor Häme: „Wir haben einmal gesagt, besser nicht regieren, als schlecht regieren. Wir haben uns nicht vorstellen können, dass beides gleichzeit­ig geht.“Weil sich die Bundesregi­erung seit 2015 fast ausschließ­lich mit der Flüchtling­spolitik beschäftig­e, blieben andere wichtige Anliegen auf der Strecke. Die Digitalisi­erung etwa und die steuerlich­e Entlastung der Bürger.

Andrea Nahles, Fraktions- und Parteichef­in der SPD, will das nicht auf der Koalition sitzen lassen. Die Regierung sei nicht schlecht gestartet, doch der Motor sei in den vergangene­n beiden Wochen ins Stottern geraten. Im Hinblick auf den Asylkompro­miss sagt sie, dass es für die SPD noch offene Fragen gebe, man aber bereit sei, über diese zu reden. Die Grenzen müssten offen bleiben, nationale Alleingäng­e dürfe es nicht geben. „Geschlosse­ne Lager lehnen wir ab“, bekräftigt sie.

Grünen-Fraktionsc­hef Toni Hofreiter wirft Merkel und Seehofer vor, sie hätten den „Blick fürs Wesentlich­e verloren“, spricht über den Unionsstre­it als „Schauerspi­el, das beispiello­s sei in seiner Verantwort­ungslosigk­eit“. Für LinkeFrakt­ionschef Dietmar Bartsch bleibt beim Asylkompro­miss „die Humanität auf der Strecke“. CSULandesg­ruppenchef Alexander Dobrindt dagegen lobt die Einigung. Für Flüchtling­e reiche es nun nicht mehr, „europäisch­en Boden zu betreten und dann einfach nach Deutschlan­d weiterzure­isen“.

Über den Haushalt, wie vorgesehen, geht es bei der Generaldeb­atte nur am Rande. Immerhin eine Erkenntnis bleibt: Zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer gibt es noch Berührungs­punkte – flüchtige zwar, doch sie existieren.

Der FDP Chef erinnert an seine berühmten Worte

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? CSU Innenminis­ter Horst Seehofer, CDU Kanzlerin Angela Merkel: „Die Bundesregi­erung arbeitet.“
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa CSU Innenminis­ter Horst Seehofer, CDU Kanzlerin Angela Merkel: „Die Bundesregi­erung arbeitet.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany