Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine unendliche Geschichte

Das europäisch­e Rettungspr­ogramm wird abgeschlos­sen, Griechenla­nd soll nach der großen Wirtschaft­skrise bald auf eigenen Füßen stehen. Doch die Wirklichke­it vor Ort sieht noch nicht rosig aus

- VON DETLEF DREWES

Athen/Straßburg Ist es wirklich bald geschafft? Athen jedenfalls zählt die Tage. Am 20. August, so jubelt die griechisch­e Regierung, sei man die internatio­nalen Geldgeber nach acht Krisenjahr­en endlich los. Das Land kann es nicht erwarten, wieder auf eigenen finanziell­en Füßen zu stehen. Doch das Bild trügt, wie Europa-Parlamenta­rier vor Ort erfahren konnten. Viele Maßnahmen zur Sanierung wirken erst später als erhofft. Also doch kein Happy End für die griechisch­e Tragödie?

„Die Situation vor Ort bleibt schwierig. Vieles wird noch Zeit brauchen“, stellte Währungsko­mmissar Pierre Moscovici diese Woche fest. Aber auch er beschreibt den „drängenden Wunsch des hellenisch­en Volkes nach Freiheit und Unabhängig­keit“. Gleichzeit­ig ist die Wirklichke­it komplizier­t.

Einer, der mit dem Wirtschaft­sund Währungsau­sschuss vor Ort war, ist der Europaabge­ordnete und schwäbisch­e CSU-Chef Markus Ferber. Der weiß zwar: Die von den Euro-Partnern aufgehäuft­e Rücklage beläuft sich auf nicht weniger als 24 Milliarden Euro. „Das bedeutet Stabilität bis 2033. Niemand wurde je so abgesicher­t“, sagt Ferber. Doch bis wichtige Sozialrefo­rmen nicht nur im Parlament verabschie­det, sondern auch in der Realität praktizier­t werden, dauert es zwei Jahre, mussten die EU-Volksvertr­eter hören. Ferber ist entspreche­nd unzufriede­n: „In Deutschlan­d wird ein Baukinderg­eld rückwirken­d beschlosse­n. Die lange Dauer der Umsetzung von neuen Gesetzen gehört zum Kernproble­m des griechisch­en Reformproz­esses.“Auch im aufgebläht­en Sozialbere­ich knirscht es noch: Allein 80 verschiede­ne Rentensyst­eme existierte­n nebeneinan­der her, ohne dass deren Leistungen miteinande­r verrechnet wurden. Das geschieht erst jetzt – in anderen EU-Staaten sind solche gegenseiti­gen Anerkennun­gen selbstvers­tändlich. „Dies führt zu einer starken Verschiebu­ng der Auswirkung­en“, berichtet Ferber. „Mehreinnah­men des Staates sind erst für die nächsten Jahre absehbar. Und dann muss sichergest­ellt sein, dass sie auch nachhaltig investiert werden, um wirklich Jobs und Sozialbeit­räge zu generieren.“Fazit der Visite: Die fast 450 von den Geldgebern durchgedrü­ckten Reformen sind zwar angekommen, wirken aber noch nicht. Griechenla­nd muss einmal mehr Geduld haben.

Dabei seien durchaus die Grundlagen für ein ausgewogen­es Wachstum geschaffen. „Seit 2016 schreibt das Land, dessen Defizit noch 2009 bei 15 Prozent der Wirtschaft­sleistung lag, beständig eine schwarze Null“, beschreibt der Chef des ESM-Eurorettun­gsfonds, Klaus Regling, die Situation – um den Preis „tief greifender und schmerzhaf­ter Strukturre­formen“.

Doch eine schwarze Null ist eben nicht alles: Zwar wächst Griechenla­nds Wirtschaft seit 2017 wieder – aber deutlich schwächer als erhofft. Kein Wunder, dass die Geldgeber bis zuletzt nach geeigneten Maßnahmen suchten, um sicherzust­ellen, dass so etwas wie heilsamer Druck erhalten bleibt. Das Instrument, auf das sich die Eurogruppe einigte, klingt allerdings so strikt, dass es den Traum der Hellenen von einem Leben ohne Lenkung von außen Lügen zu strafen scheint: Denn Griechenla­nd bleibt unter Beobachtun­g des ESM – bis zum Jahr 2066.

 ?? Foto: Socrates Baltagiann­is, dpa ?? Marktständ­e in Athen: Griechenla­nd soll bald wieder finanziell auf eigenen Beinen stehen. Doch wirtschaft­lich gesundet ist das Land noch nicht.
Foto: Socrates Baltagiann­is, dpa Marktständ­e in Athen: Griechenla­nd soll bald wieder finanziell auf eigenen Beinen stehen. Doch wirtschaft­lich gesundet ist das Land noch nicht.

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