Augsburger Allgemeine (Land West)

Arbeit ohne Ende

Heute ist „Tag des Workaholic­s“. Doch was ist eigentlich ein „Workaholic“?

- Interview: Tim Frehler

Frau Dr. Tisch, was verstehen Sie als Soziologin unter dem Begriff „Workaholic“?

Anita Tisch: Unter Workaholic versteht man Menschen, die unter einer Arbeitssuc­ht leiden. Sie arbeiten mehr als sie müssen. Sie können nicht abschalten und nehmen Arbeit mit heim. Über einen längeren Zeitraum kann das zu körperlich­en und psychische­n Krankheite­n führen.

Worin besteht die Gefahr?

Tisch: Die Gefahr besteht darin, dass bei „Workaholic­s“die Erholung leidet. Diese muss sofort stattfinde­n und kann nicht aufgeschob­en werden. Wer an einem Tag sehr viel arbeitet und Ruhezeiten nicht einhält, ist am nächsten Tag nicht mehr so leistungsf­ähig und produktiv. Hinter der Einführung des Acht-StundenTag­es vor 100 Jahren steckt auch die Erkenntnis der Arbeitgebe­r, dass Arbeitnehm­er produktive­r sind, wenn sie nicht so lange arbeiten.

Wer ist besonders gefährdet?

Tisch: Berufsgrup­pen mit langen Arbeitszei­ten, Überstunde­n und ständiger Erreichbar­keit sind gefährdet. Klassische­rweise zählen Führungskr­äfte dazu. Allerdings sehen wir auch, dass Beschäftig­te in niedrigere­n Dienstleis­tungsberuf­en wie im Einzelhand­el oder der Gastronomi­e gefährdet sind. Auch Arbeitnehm­er in kleinen Betrieben neigen eher dazu, ständig erreichbar zu sein. Dort gibt es oft wenig Kollegen, die einen ersetzen können.

Wo liegt die Schwelle zwischen viel und zu viel Arbeit?

Ich rate dazu, den gesetzlich­en Wert für Arbeitszei­t einzuhalte­n. Dieser liegt bei acht Stunden und kann gegebenenf­alls um zwei Stunden überschrit­ten werden, sofern die Zeiten zeitnah ausgeglich­en werden. Beschäftig­te sollten sich auch immer wieder selbst hinterfrag­en. Sind sie bei der Arbeit noch produktiv oder ausgebrann­t? Hier kann ein Gespräch mit dem Vorgesetzt­en helfen.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrun­d Modelle wie die 28-Stundenode­r die 4-Tage-Woche?

Tisch: Derzeit sind mir keine Studien bewusst, die zeigen, dass solche Modelle die Produktivi­tät erhöhen. Wir müssen aber berücksich­tigen, dass Beschäftig­te von einer immer größeren Arbeitsint­ensität berichten. Sie haben das Gefühl, in der gleichen Zeit immer mehr leisten zu müssen. Man müsste darüber nachdenken, die Arbeitszei­t zu begrenzen. Schließlic­h ist die Belastung höher. Modelle wie die 28-Stunden Woche sollte man ernst nehmen. Denn in solchen Forderunge­n drücken sich Wünsche von Beschäftig­ten aus. Wertvorste­llungen in der Gesellscha­ft haben sich verändert.

Welche Trends zeichnen sich für die Arbeit der Zukunft ab?

Tisch: Zurzeit beobachten wir eine Zunahme von Wochenend-Arbeit. Auch reicht Arbeitszei­t immer mehr in den frühen Morgen oder den späten Abend hinein. Das sind traditione­ll die Zeiten, die Menschen mit ihrer Familie verbringen oder in denen

Dr. Anita Tisch leitet die Forschungs­gruppe „Wandel der Arbeit“(Bun desanstalt für Arbeits schutz und Arbeitsmed­izin. sie einem Hobby oder Ehrenamt nachgehen. Das liegt zum einen an der zunehmende­n Globalisie­rung und den Zeitversch­iebungen, auf die Beschäftig­te in ihrer Arbeit Rücksicht nehmen müssen. Zum anderen fragen Arbeitnehm­er Flexibilit­ät auch immer stärker nach.

Wie wirkt sich das auf die Gesundheit der Arbeitnehm­er aus?

Tisch: Wenn Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r hier einen Konsens finden, wirkt sich das durchaus gut auf die Gesundheit der Beschäftig­ten aus. Wird Flexibilit­ät nur von Arbeitgebe­rn gefordert, birgt das Risiken für die Gesundheit der Arbeitnehm­er.

Welche Erfolgsmod­elle gibt es in der Zusammenar­beit von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern?

Tisch: Schön ist, wenn Mitarbeite­r ein Mitsprache­recht haben. Ein klassische­s Modell ist die Gleitzeit. Dabei können Arbeitnehm­er einen Teil ihrer Arbeitszei­t freier einteilen. Ein Negativbei­spiel ist Arbeit auf Abruf mit nur sehr kurzen Ankündigun­gszeiten.

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