Augsburger Allgemeine (Land West)
Die gute alte Zeit für das Gartenbeet
Salat, Tomaten, Bohnen: Viele Gemüsesorten, die für den industriellen Anbau und Handel unattraktiv sind, bieten Hobbygärtnern und Genießern nicht nur ihres Geschmacks wegen viele Vorteile. Wie alte Sorten wiederentdeckt werden
So manche Anbaupflanze hat in der Vergangenheit ein großes Comeback erlebt: „Vor 20 Jahren galt zum Beispiel Dinkel als altes oder ursprüngliches Getreide und als Rarität“sagt die Landwirtschaftswissenschaftlerin Andrea Heistinger. „Heute bekommen Sie in fast jeder Bäckerei auch Backwaren mit Dinkel.“. Ob eine Anbausorte alt und vergessen oder modern ist, hängt oft mit der Industrialisierung der Landwirtschaft zusammen. „Häufig gelten alte Sorten einfach nur deswegen als alt, weil sie in der spezialisierten Landwirtschaft in den letzten 30 Jahren keinen Platz mehr gefunden haben“, erklärt die österreichische Autorin zahlreicher Gartenbücher.
„Beim Salat haben sich in den letzten Jahren jene Sorten durchgesetzt, die eine einheitliche Kopfgröße haben und sich gut in Kisten schichten lassen“, berichtet Heistinger. Bei Tomaten wurde in der konventionellen Züchtung Wert auf hohe Erträge, Transportfähigkeit und gute Haltbarkeit im Regal gelegt. „Geschmack war über viele Jahrzehnte gar kein Züchtungsziel“, sagt die Agrar-Ingenieurin.
Das hatte Folgen: Gemüsesorten, die für den industriellen Anbau und den Handel unattraktiv sind, werden von den Züchtern nicht mehr beim deutschen „Bundessortenamt“gemeldet. „Nur Sorten, die in der Sortenliste eingetragen sind, dürfen gehandelt werden“, erklärt die Straubinger Gartenbau-Ingenieurin Bärbel Steinberger. Damit die anderen trotzdem erhalten bleiben, haben Privatpersonen und Organisationen einige als Amateur- oder erhaltenswerte Sorten registriert. 21 der insgesamt 52 in Deutschland zugelassenen Tomaten sind nach Angaben des Bundessortenamts Amateursorten. Unter „alten Gemüsesorten“versteht man in der Regel Varianten, die es vor der Industrialisierung der Landwirtschaft gab, erklärt Steinberger. Die Bezeichnung ist aber nicht geschützt.
Besonders für Genießer und Hobbygärtner sind solche Sorten interessant. Denn ganz anders als im Berufsanbau muss sich der Hobbygärtner nicht darauf verlassen, dass das ganze Gemüse einer Sorte zeitgleich reif wird. Im Gegenteil: Es kann Vorteile haben, wenn nicht alle Salatköpfe gleichzeitig erntereif sind Kohlköpfe unterschiedlich groß werden. Auch die in der ProfiLandwirtschaft speziell eingekreuzten Resistenten gegen Mehltau und andere Krankheiten und Schädlinge spielen im Hobbybereich eher eine untergeordnete Rolle.
So empfiehlt Garten-Expertin Steinberger die Salattomate „Goldene Königin“, die viele gelbe bis gelborangene Früchte an kurzen Rispen trägt. „Sie ist fruchtig und hat wenig Säure“, sagt die Expertin. „Reif ist sie mehlig und eignet sich für Soßen, ansonsten ist sie super für Salat.“Die spät reifende Fleischtomate „Berner Rose“gilt als ertragreich, die Früchte der „Schlesischen Himbeere“sind sehr saftig und fleischig. Bei Salaten rät Gartenbuchoder Autorin Heistinger, sich neben dem schmackhaften Pflücksalat „Venezianer“auch Kochsalat oder Römersalat ins Beet zu holen. „Kochsalat wie zum Beispiel die Sorte ,Valmaine‘ bildet keine geschlossenen Köpfe, sondern aufrechte, lange Blätter. Da er besonders schossfest ist, eignet er sich fürs warme Klima und heiße Sommer.“Auch der „Maikönig“ist ein Überlebenskünstler. Den kältetoleranten Kopfsalat mit zarten, gelbgrünen Blättern gibt es schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts, und er ist heute noch im Handel erhältlich. Andere Salatsorten hatten da weniger Glück – und sind mit der Zeit aus dem Gedächtnis und dem Handel verschwunden. Aktuell erleben viele aber erneutes Interesse.
Die „Goldforelle“zum Beispiel. „Diese Sorte hat sehr schön gesprenkelte Blätter, die manche Kunden aber irritieren können. Auch bildet sie nur einen sehr kleinen Kopf, ihr delikates zartes Blatt ist für die Selbstbedienungstheke nicht robust genug“, erklärt Cornelia Lehmann vom Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen VERN. „Diese fehlende Haltbarkeit macht sie für den Handel unattraktiv.“Diesen Kopfsalat gibt es daher nur selten zu kaufen.
Auch der Dinkel wäre fast ausgestorben. Heute ist er in
Einstige Saatgut Raritäten gibt es heute über das Internet
Und wer ihn im eigenen Garten ziehen möchte, muss sich nach Anbietern umsehen, die auf alte Sorten spezialisiert sind. Man kann sie auf Tauschbörsen und bei Organisationen wie VERN, Arche Noah und ProSpecieRara bekommen – und neue Geschmackserlebnisse erleben. Die Organisationen bieten den Saatgut-Versand über das Internet an.
Lehmans Tipps unter den Hülsenfrüchten sind die Flageolet-Bohnen. „Flageolet-Bohnen sind noch heute in Frankreich als Delikatesse sehr beliebt, in Deutschland gab es sie bis Ende des 19. Jahrhunderts.“Die unreifen Kerne werden wie Markerbsen zubereitet, aber auch die jungen frischen Hülsen können verzehrt werden. Wer gerne mal schwarze Erbsen ernten möchte, sollte die Sorte „Vilmorin VI“anbauen. „Ihre lilafarbenen Blüten sind eine Augenweide“, schwärmt Expertin Lehmann.
Neben Geschmack, gesunden Inhaltsstoffen und besonderem Aussehen können alte Sorten auch noch auf anderen Gebieten punkten: Sie tragen zur Sortenvielfalt bei und sind grundsätzlich samenfest. „Alte Sorten kann man selbst vermehren und selbst weiter auslesen“, erklärt die Straubinger Gartenbau-Ingenieurin Steinberger. Ausnahmen gibt es aber auch hier: Die Freilandtomate „Harzfeuer“zum Beispiel kann nicht selbst vermehrt werden. Ihre Nachkommen könnten teilweise anders aussehen.