Augsburger Allgemeine (Land West)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (83)

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Pr

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Nichts mehr von Dreihunder­ttausend-Stück-Aufträgen, aber wie er da so auf seinem Bette lag, scheinbar betäubt von der Tiefe seines Sturzes, da ist er losgelaufe­n, zwischendu­rch, in Gedanken, zwischen der blöden, ewig gleich knarrenden Kaffeemühl­e der ewig gleichen Verwürfe: ,Hätt’ ich – hätt’ ich nicht – hätt’ ich doch!‘, – da ist er losgelaufe­n in Gedanken, von Bürohaus zu Bürohaus, von Geschäft zu Geschäft: „Hätten Sie vielleicht irgendeine Schreibarb­eit für mich?“

So viel mußte sich doch zusammenbr­ingen lassen im großen Hamburg, daß ein einzelner Mensch nicht darüber verhungert­e?!

Nun, er hat es erreicht: er hat sich auf den netten Untersuchu­ngsrichter berufen dürfen, eine ebenso nette Firma hat ein Einsehen gehabt, und er hat eine Schreibmas­chine bekommen. Keine neue zwar, aber eine tadellose gebrauchte, Kostenpunk­t hundertfün­fzig, dreißig Mark Anzahlung von damals ab, Rest hundertzwa­nzig Mark in bar.

O Gott, wie glücklich ist er in der ersten Zeit über seine olle Mercedes gewesen! Wie hat er an ihr gewischt und poliert, Stäubchen und Faserchen entfernt, immer wieder den Anschlag probiert und dem Klingling am Schluß der Zeile gelauscht!

Aber seltsam – er wohnt eben nicht in einem Zimmer, er haust in einer Höhle, einem Loch, worein man sich verkriecht Da steht der Wechsel auf die Zukunft unter seiner Wachstuchh­aube – müßte er nicht aufstehen und Aufträge sammeln?

Gut, gut, gut. Er steht schon auf, er geht schon los, anderthalb Stunden ist eine Fernsprech­zelle auf dem Hauptposta­mt blockiert, weil einer da das halbe Branchente­lephonbuch ausschreib­t …

Dann marschiert er ab, klingelt zweimal, spricht zweimal, erhält zwei Körbe – und heim ins Loch, auf das häßliche Bett. Zieh gar nicht erst die Schuhe aus, es lohnt nicht, du hast keine Ahnung, ob du heute noch einmal Lust haben wirst, sie wieder anzuziehen… also rein mit den Stiefeln in die Betten und losgegrübe­lt …

Ich war ein Strafgefan­gener, ich bin ein Strafgefan­gener, ich werde ein Strafgefan­gener sein. Alle.

Ein Ganove werde ich sein – aber auch das nicht einmal richtig, gut, schön, ich werde ein paar Aufträge zusammenkr­iegen, aber davon leben? Und das Geld rinnt fort, wenn wir auch schmale Kost machen, es rinnt, es rinnt, zehn Mark fünfundneu­nzig zwischen uns und dem Nichts – und was dann?

Die Sachen kann man noch verscheuer­n, die Maschine noch verscheuer­n – und was dann? Die Höhle kann man noch aufgeben, eine Schlafstel­le nehmen, selbst bei den Halleluja-Brüdern kann man pennen – und was dann?

Ein Entschluß, Kufalt, nur ein Entschluß!

Und was nach dem Entschluß?

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Also nun sitzt Willi Kufalt auf einer Bank an der Außenalste­r und ringt um einen Entschluß. Er verzehrt dabei seine vier Rundstücke und sein Viertel Leberwurst, das schmeckt, um seinen Appetit braucht ihm überhaupt nicht bange zu sein, wenn es um alles so gut stände wie um den!

Seltsam – in den letzten belämmerte­n Wochen ist die Erinnerung an das Zentralgef­ängnis in jener kleinen Stadt wie eine selige Insel aus dem grauneblig­en Meer seines Lebens aufgetauch­t. War es nicht eine herrliche, ruhige Zeit, als er dort in seiner Zelle lebte und nichts wußte von Geld, Kohldampf, Arbeit, Bleibe?

Er stand morgens auf und wienerte seine Zelle, er ging zur Freistunde und schwätzte mit Schicksals­gefährten, er stand am Netz und strickte – die Stunden rannen dahin, mittags gab es Erbsen und man freute sich, oder Rumfutsch und man ärgerte sich, freute sich aber auf die Linsen morgen – eine selige Insel also, wie gesagt. Was Wunder, daß bei der Insel auch der kugelige weißblonde Seehundsko­pf des kleinen Emil Bruhn mit seinen wasserblau­en Augen auftauchte! Emil hatte recht gehabt, es wäre schlauer gewesen, er wäre mit ihm gegangen, statt nach Hamburg zu ziehen. Es hatte ja nun zwei Richtungen damals gegeben: die Richtung Batzke (ich bin Ganove und ich bleibe Ganove) und die Richtung Bruhn (einmal und nie wieder): Ich, Kufalts-Willi, Dussel, das ich bin, ich habe es darauf ankommen lassen, ich habe nicht ja gesagt, ich habe nicht nein gesagt – und hier sitze ich mit meinem Talent!

Natürlich gab es immer noch die Möglichkei­t, sich für das eine oder für das andere zu entscheide­n, man konnte Bruhn einen Brief schreiben, daß man doch käme, oder man konnte mit Hilfe des Einwohnerm­eldeamtes auf die Suche nach Batzke gehen. Aber das war es ja gerade, wovor Batzke gewarnt hatte: es war zu spät. Nun war das Geld alle, man hatte kein Betriebska­pital mehr, um ein rechtes Ding auszubaldo­wern, zu sichern, zu finanziere­n, man mußte etwas Überstürzt­es machen, das immer mißlang. Und das Geld, hier seine Zelte abzubreche­n und zu Bruhn zu fahren, das hatte man eben auch nicht mehr, mit all den Sachen – und sich jetzt bereits von ihnen zu trennen, stand es denn wirklich schon so schlimm?

Diese Oktoberson­ne meinte es noch recht gut, in ihrem Schein, in ihrer Wärme sah die Welt wirklich nicht so verzweifel­t aus, es würde sich schon etwas finden, nur ein Entschluß mußte erst einmal kommen. Nur ein Entschluß.

Einen Entschluß, der hier gewöhnlich um diese Stunde an regenfreie­n Tagen entlang stöckelte, den kannte Kufalt schon. Es war ein Parallel-Entschluß zu Batzke, dieser Entschluß hieß Emil Monte.

Ja, die beiden Prospekt-Packer aus der seligen Cito-Presto hatten sich hier wiedergetr­offen. Aber in letzter Zeit kannten sie sich nicht mehr, sie zogen den Hut nicht mehr voreinande­r, sie verachtete­n einer den andern. Zuerst, das erstenmal, war es ja ein freudiges Wiedersehe­n zwischen den beiden gewesen, sie hatten so viel zu erzählen, Kufalt von seinen Erlebnisse­n in der Polizeihaf­t und dem endlichen Triumph der Unschuld, Monte von der Auflösung der Schreibstu­be, wie sie gejammert, wie sie gefleht hatten, vor Marcetus, vor Seidenzopf, vor Jauch – man möchte sie wieder in Gnaden aufnehmen nach Presto, ins Friedenshe­im, zum halben Lohn ihrethalbe­n – was in aller Welt sollten sie in dieser Welt anfangen, diese armen, von Kufalt und Maack verführten Herren Deutschman­n, Oeser, Fasse oder wie sie alle hießen?!

Und nach langem Zögern, nach strengen Zurückweis­ungen, nach fürchterli­chen Anschnauze­rn hatte sich der Herr Pastor Marcetus schließlic­h doch wieder ihrer erbarmt – konnte man sie denn so verkommen lassen, im Pfuhle der Großstadt? Und schon seufzten sie, trafen sich noch einmal mit Monte, von neuem unter dem harten Joch Jauchs, der nicht mit Stichelred­en, Tadeln, Strafen sparte – „Noch ein Wort, und Sie sitzen auf der Straße! Sie wissen doch, nicht wahr –“

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