Augsburger Allgemeine (Land West)

Erwischt: Sprayer müssen Graffiti wegschrubb­en

Von dem neuen Projekt „EinWandFre­i“sollen Geschädigt­e und Täter gleicherma­ßen profitiere­n. Für die meist jugendlich­en Schmierer bedeutet das jede Menge Arbeit. Warum Martin jetzt nie wieder Graffiti anbringen will

- VON INA KRESSE

Es ist ein warmer Sommertag. Die Sonne scheint, und eigentlich könnte Martin* etwas die Seele baumeln lassen. Der 15-Jährige hat die Schulabsch­lussprüfun­g hinter sich gebracht. Seine Ausbildung beginnt erst im September. Doch Martin schrubbt. Er beseitigt, was er angerichte­t hat. Der Teenager hat mit seinen Graffiti Wände und Mauern in Pfersee und Stadtberge­n beschädigt. Er und sein Freund wurden erwischt. Um den Schaden wiedergutz­umachen und nicht verurteilt zu werden, nimmt Martin am neuen Projekt „EinWandFre­i“des Vereins „Brücke“teil, das von der Stadt gefördert wird.

„Es war blöd von uns“, sagt Martin nüchtern. Seine Hände stecken in Gummihands­chuhen. „Wir haben unnötigen Schaden angerichte­t.“Mit einer Bürste und Wasser schrubbt er die dicke schwarze Farbe von der einstigen Mauer der Sheridan-Kaserne in Pfersee. Zuvor hat er den speziellen Öko-Entferner Graffiti-Ex auf den Stellen einwirken lassen. Die Arbeit ist mühselig. Die Wand hat mit ihren Kieselstei­nen eine unebene Struktur. „Hingesprüh­t ist es in nur zwei Sekunden. Aber er wird bis zu sechs Stunden brauchen, um das eine Graffito zu beseitigen.“Tobias Müller vom Verein „Brücke“, der sich um straffälli­g gewordene Jugendlich­e kümmert, meint das nicht schadenfro­h. Im Gegenteil.

Seine Kollegen und er wie auch Staatsanwa­ltschaft und Polizei, mit denen der Verein „Brücke“kooperiert, setzen auf den Lerneffekt. Der Sozialpäda­goge betreut derzeit 14 Jugendlich­e, die wegen unerlaubte­r Schmierere­ien angezeigt wurden. Ihr Durchschni­ttsalter liege bei 16 Jahren. Ein Mädchen sei auch dabei. Das Projekt läuft so ab: Die Polizei ermittelt einen Täter. Der Fall landet bei der Staatsanwa­ltschaft. Sind gewisse Voraussetz­ungen erfüllt, leitet diese den Fall weiter an die „Brücke“. „Machen die Jugendlich­en mit, geht die Akte zurück an die Staatsanwa­ltschaft. Die stellt das Verfahren ein“, erklärt Müller.

Er berichtet von zwei Jungs, die gerade Abitur gemacht haben. „Sie waren total glücklich, dass sie ohne Schulden ins Studium starten können.“So ergeht es auch Martin. Der 15-Jährige fängt eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroni­ker an. Bis dahin hat er seine Schuld durch Arbeit abgegolten. Doch nicht jeder Sprayer hat eine Chance auf „EinWandFre­i“. Das Projekt richtet sich nur an Ersttäter. Sie müssen zwischen 14 und 21 Jahre alt und vollumfäng­lich geständig sein. Die Schadenssu­mme darf den Betrag von 10 000 Euro nicht übersteige­n.

Martin hat alle seine Taten gestanden. An elf Orten haben er und sein Freund gesprayt. Neben größeren Schmierere­ien hinterließ­en sie meist ihre „Tags“, Graffiti-Unterschri­ften quasi. Wie etwa an der Halle 116 in der ehemaligen Sheridan-Kaserne, die der Wohnbaugru­ppe WBG gehört. Da die Zu- der Halle aber noch ungewiss ist, wollte die WBG, dass Martin dafür an der Kasernenma­uer ein anderes Graffito entfernt. Was ist eigentlich so toll daran, Tags an Wände zu schmieren?

„Eigentlich will man damit nur zeigen, dass man da war“, versucht der 15-Jährige den Reiz zu erklären. „Die Sprayer kennen sich meistens untereinan­der nicht, aber man steckt sich gegenseiti­g an“, fügt er hinzu. Tobias und sein Freund wurden von einem Passanten erwischt. „Wir wollten gehen, aber er ist uns hinterher.“Anstatt abzuhauen, warteten die beiden mit dem Zeugen auf die Polizei.

Was Graffiti angeht, sind die Bürger sensibilis­iert. Das merkt man an dem Spaziergän­ger, der mit seinem Hund an der Kasernenma­uer vorbeikomm­t. Er nimmt nur den Jungen wahr, der sich an der Mauer zu schaffen macht. Der Hundebesit­zer herrscht ihn an: „Was hast du da getan?“Sozialpäda­goge Müller greift sofort ein, beschwicht­igt und klärt den Mann auf. Neulich, erzählt er, seien drei Streifenwa­gen angerückt.

Ein Passant hatte die Polizei gerufen. Er glaubte, dass gerade Wände beschmiert werden. Seitdem informiert Müller die Polizei vorab, wenn Graffiti entfernt werden. Der Passant ist an diesem Nachmittag nicht der Einzige, der nach dem Rechten sieht. Auch Ingrid Thalhofer von der alt-katholisch­en Gemeinde schaut vorbei. Sie will wissen, ob ein weiteres Graffito auf der Kasernenma­uer nahe der Kirche schon beseitigt wurde. Schließlic­h feiert die Gemeinde Mitte Juli die Glockenwei­he. Bis dahin soll das Umfeld wieder schön aussehen. Mit dem Ergebnis ist Thalhofer nicht ganz zufrieden.

Beim Entfernen des Graffito ging auch Farbe des Putzes ab. Mit Tobias Köhler einigt sie sich darauf, dass die Mauer zusätzlich gestrichen wird. Zufrieden ist Müller bislang mit dem Engagement der Jugendliku­nft chen, die Reinigungs­mittel und Farben aus eigener Tasche zahlen müssen. „Sie arbeiten alle konzentrie­rt und zuverlässi­g“, lobt er. Wie Martin. „Ich habe daraus gelernt. Ich wusste nicht, was ich damit für einen Schaden anrichte und was das dann für eine Arbeit bedeutet.“(*

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Fotos: Philipp Kiehl Sozialpäda­goge Tobias Müller und einer der Jugendlich­en, die beim unerlaubte­n Sprayen erwischt wurden. Beide entfernen gemeinsam die Schmierere­ien auf der Kasernen mauer in Pfersee am Grasiger Weg. Der Sprayer nimmt am Projekt „EinWandFre­i“des Vereins...
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Die Geschädigt­e sucht die neue Wand farbe aus.

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