Augsburger Allgemeine (Land West)

Als der Staatsschu­tz ins Open Lab kam

Ein sogenannte­r Krawallrei­seführer sorgte in Augsburg im Vorfeld des AfD-Parteitags für Unruhe. Zuletzt durchsucht­en Polizisten Räume in der Stadt. Offenbar gerieten Unbeteilig­te in den Fokus der Ermittler

- VON JAN KANDZORA Spiegel

Als die Lage wieder etwas ruhiger war, schrieb Moritz Bartl einen Brief an die Nachbarn. Am Tag zuvor, dem Mittwoch vor zwei Wochen, hatten Polizisten das „Open Lab“in der Elisenstra­ße im Antonsvier­tel durchsucht, eine Tüftlerwer­kstatt für Menschen mit einer Begeisteru­ng für Technik und Computer. Bartl ist einer der Gründer des Projektes. In der Stadt ist der Verein unter anderem für „Swally“bekannt, den kleinen Roboter, der 2016 am Augsburger Königsplat­z die Fahrgäste an das Rauchverbo­t erinnerte und in den Räumen des Open Lab gebaut worden war.

Bartl schrieb: Das Open Lab sei kein Raum für Extremiste­n. „Wir sind nach wie vor alle lustige und freundlich­e Computerfr­eaks und keine Terroriste­n.“Das wollte er klarstelle­n. Zunächst waren die Polizisten am Vortag mit einem Durchsuchu­ngsbeschlu­ss bei ihm zu Hause erschienen, kurz nach 6 Uhr morgens. Es ging um eine Internetse­ite, die in der Stadt vor dem AfDBundesp­arteitag für Verunsiche­rung gesorgt hatte. „Augsburg für Krawalltou­risten“nennt sich die Publikatio­n, die veröffentl­icht wurde, in ihr werden Ziele für Straftaten benannt. Sie liest sich in Duktus und

Die Betroffene­n vermuten, es gehe um Ausforschu­ng

Inhalt wie das Werk von Linksextre­misten. Die Ermittler verdächtig­ten Bartl nicht, etwas damit zu tun zu haben, aber sie erhofften sich wohl, in seinen Unterlagen und auf seinen Datenträge­rn Hinweise zu den Erstellern der Seite zu finden. Der Beschluss umfasste auch den Arbeitspla­tz Bartls, daher nahmen sich die Beamten des Staatsschu­tzes die Räume des Open Lab vor.

Wie sie wohl überhaupt auf Bartl kamen, ist komplizier­t. Der Augsburger ist nicht nur im Open Lab aktiv, sondern auch Vorstand eines Vereines namens „Zwiebelfre­unde“mit Sitz in Dresden. Der Name leitet sich von „Tor“ab, ein Netzwerk zur Anonymisie­rung im Internet und auch der Eintritt zum sogenannte­n Darknet. „Tor“stand mal für „The Onion Router“, also zu Deutsch Zwiebelrou­ter. Der Verein unterstütz­t Projekte zur sicheren und vertraulic­hen Kommunikat­ion, darunter den E-Mail-Anbieter „riseup“, der keine Nutzerdate­n erfasst. Die Ersteller des Krawallrei­seführers nutzen eine solche Mailadress­e, über die Zwiebelfre­unde kann man an den Mailanbiet­er spenden.

Diese dünne Verbindung reichte der Generalsta­atsanwalts­chaft Mün- chen offenbar, einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss zu erwirken, den eine Richterin am Amtsgerich­t München erließ. Mit dem Betrieb des E-Mail-Angebotes, sagt Bartl, habe man nichts zu tun, mit den „Krawalltou­risten“sowieso nicht. Die Gruppierun­g sei ihm unbekannt, er sei vor der Polizeiakt­ion nicht einmal auf der Seite gewesen. Rechtlich ist eine Durchsuchu­ng bei Menschen, die keiner Straftat verdächtig sind, möglich. Als „andere Personen“werden sie im entspreche­nden Paragrafen benannt. Nach Informatio­nen unserer Redaktion sah der Beschluss vor, dass nur Gegenständ­e beschlagna­hmt werden, die sich auf das Jahr 2018 beziehen – laut Auskunft der Betroffene­n reichen die Daten der beschlagna­hmten Unterlagen teils weiter zurück.

Über die Polizeiakt­ion in Augsburger Räumen hatte unsere Zeitung vergangene Woche bereits berichtet, den Namen des Open Lab allerdings nicht genannt. Auch, da gegen die Betroffene­n kein Ermittlung­sverfahren läuft, sondern sie als Zeugen geführt werden. Nun allerdings wollen die Mitglieder selber an die Öffentlich­keit, zudem war die Maßnahme der Ermittler deutlich umfangreic­her, als unserer Redaktion zunächst bekannt. So wurden nicht nur die Räume der IT- und Tüftlerwer­kstatt durchsucht, sondern weitere Gebäude in Dresden, Jena und Berlin; darunter nach Informatio­nen unserer Redaktion ein Vereinsbür­o, das sich in einer Anwaltskan­zlei befindet.

Die Beamten beschlagna­hmten viel: USB-Sticks, Festplatte­n, Laptops, Handys, Notizbüche­r, Kontounter­lagen, Rechnungen. Sie interessie­rten sich auch für eine chemische Formel, die auf einer Tafel im Open Lab aufgeschri­eben war, und beschlagna­hmten ein winziges Modell einer Atombombe, das ein 3D-Drucker ausgespuck­t hatte. Mitglieder des Open Lab kamen vorübergeh­end in Polizeiarr­est. Tatsächlic­h war die Formel eine Anleitung zum Sprengstof­fbau. Bartl sagt, im Open Lab bekomme man immer wieder Spenden, darunter Chemikalie­n, der einzige Chemiker im Team habe durchgerec­hnet, was man damit tun könne – auch als Hinweis an die anderen, warum man die Chemikalie­n lieber nicht lagern solle. Die Formel sei stehen geblieben, als die Chemikalie­n längst weg waren. Keine günstige Situation freilich, wenn die Polizei zur Durchsuchu­ng da ist, das räumt Bartl ein: „Das war scheiße.“

Die Generalsta­atsanwalts­chaft scheint der Formel und dem Atombomben-Modell keine große Bedeutung beizumesse­n. Ermittlung­en neben dem Verdacht auf „Öffentlich­e Aufforderu­ng zu Straftaten“gegen Unbekannt laufen nach ihrer Auskunft nicht. Groß äußern möchte sich die Behörde nicht. Aufgrund welcher Hinweise man deutschlan­dweit Räume durchforst­ete von Menschen, die in dem Zusammenha­ng keine Tatverdäch­tigen sind? Das wolle man nicht kommentier­en. Ob die Aktion verhältnis­mäßig war? Bei ermittlung­staktische­n Maßnahmen komme es auf den Einzelfall an.

In der IT-Szene ist die Aufregung über die Ermittlung­smaßnahme groß, die Kritik daran auch. Eine Sprecherin des „Chaos Computer Clubs“bezeichnet­e das Vorgehen der Behörden gegenüber dem

als „absolut unverhältn­ismäßig“. Das Open Lab hatte zum AfD-Parteitag geschlosse­n. Das war offenbar auch als Signal an die Justiz gedacht, dass man mit den „Krawalltou­risten“und Gewaltaufr­ufen nichts zu tun haben will. Bartl sagt, er könne nachvollzi­ehen, dass die Ermittler angesichts des Parteitags und der Krawallauf­rufe unter Druck standen. Die Durchsuchu­ngen hält er aber für „weit über das Ziel hinaus“, zumal ihm die Beamten signalisie­rt hätten, dass sie schon wussten, dass er mit der Internetse­ite nichts zu tun habe. Im Umfeld des Open Lab glauben viele, dass es den Ermittlern auch darum ging, die tendenziel­l eher linke Szene auszuforsc­hen. Die Verunsiche­rung ist groß. Bartl sagt, er habe seither kaum geschlafen, so eine Aktion sei ein Eingriff in die Privatsphä­re. Sein Handy habe er noch nicht wieder, der Tablet-Computer seiner Frau sei auch noch beschlagna­hmt. Sein Anwalt Markus Meißner will beantragen, dass die Gegenständ­e herausgege­ben werden. Ob man den Durchsuchu­ngsbeschlu­ss anfechte, prüfe er.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? „Sind nach wie vor alle lustige und freundlich­e Computerfr­eaks und keine Terroriste­n“: Moritz Bartl ist einer der Gründer des Projekts Open Lab im Antonsvier­tel. Er wundert sich, wie der Staatsschu­tz bei der Durchsuchu­ng seines Arbeitspla­tzes vorging.
Foto: Silvio Wyszengrad „Sind nach wie vor alle lustige und freundlich­e Computerfr­eaks und keine Terroriste­n“: Moritz Bartl ist einer der Gründer des Projekts Open Lab im Antonsvier­tel. Er wundert sich, wie der Staatsschu­tz bei der Durchsuchu­ng seines Arbeitspla­tzes vorging.

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