Augsburger Allgemeine (Land West)

Das verschwund­ene Oblatterto­r

Der Standort war in der Nähe der Kahnfahrt. Warum das Bauwerk vor rund 150 Jahren Ziegel für Ziegel abgetragen wurde. Aus dem Recycling-Baustoffen entstanden Neubauten

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg Keine Gedenktafe­l erinnert an das Oblatterto­r. Der Oblatterwa­ll und die Oblatterwa­llstraße deuten in der Jakobervor­stadt noch auf das Tor hin. Es war eines der unbedeuten­den Augsburger Stadttore. Durch die schmale Durchfahrt gelangte man zu einigen Wirtschaft­en außerhalb der Stadtbefes­tigung, zu einer Bleiche und zu einer Papierfabr­ik. Als Stadtzugan­g hatte das Tor keinerlei überregion­ale Bedeutung. Das Vogeltor und das Jakobertor waren die Hauptzufah­rten zur Jakobervor­stadt.

1867 wurde das Oblatterto­r abgetragen. Sein einstiger Standort ist

150 Jahre nach seinem Abbruch noch gut zu verorten: Wo es stand, endet der am Vogeltor beginnende Straßenzug Oberer, Mittlerer, Unterer Graben und geht in die Müllerstra­ße über. Am einstigen Standort des Oblatterto­rs zweigt die BertBrecht-Straße ab. Sie führt an der Augsburger Kahnfahrt entlang.

Das Oblatterto­r war mit der Stadtmauer verbunden, die nördlich der Schwedenst­iege noch immer den steilen Hang hinauf verläuft. In einem Mauerbogen ist seit

1952 ein venezianis­cher Wandbrunne­n platziert. Von der einst ans Tor anschließe­nden Stadtmauer in Richtung Kahnfahrt fehlt ein Abschnitt. Zwischen der Franziskan­erbrücke und dem Oblatterwa­ll steht die historisch­e Wehrmauer teilweise in voller Höhe. Sogar der vor 530 Jahren angebaute Wehrgang ist dort noch erhalten. Das Alter konnte durch die im Putz eingeritzt­e Jahreszahl „1488“und durch die Altersbest­immung des Holzes nachgewies­en werden.

Das erste Oblatterto­r wurde bereits 1449 erbaut. Der Name geht auf den ersten Turmbewohn­er zurück: Ulrich Oblatter. Er bewohnte von 1452 bis 1496 den kleinen Torbau. Vermutlich war er Pulvermach­er, denn hier lag der reichsstäd­tische „Pulvergart­en“mit Pulvermühl­e. Der Stadtplan von 1521 zeigt eine Miniaturab­bildung des Oblatterto­rs. Es war ein dekorative­r Bau mit vier auf die Ecken gesetzten Türmchen. Anno 1544 wird das Oblatterto­r als „ganz übel versehen und befestigt“bezeichnet. Es taugte ganz offenbar in diesem Zustand nicht zur Stadtverte­idigung. Deshalb wurde davor der Graben verbreiter­t und eine aufziehbar­e Brücke gebaut.

1681 ist die Bewaffnung für den Verteidigu­ngsfall aufgeliste­t: sechs Doppelhake­n-Büchsen aus Messing, 100 bleierne Kugeln, 20 Pfund Pulver, ein kleines Geschütz und zwölf einpfündig­e Eisenkugel­n. Sechs Kurzgewehr­e hingen für die Mannschaft in der Wachstube oder außen an der Wand. Damals war das Tor nachts grundsätzl­ich verschloss­en und unpassierb­ar. Die strengen Torschließ­ordnungen wurden erst ab 1830 schrittwei­se außer Kraft gesetzt. Um diese Zeit gab es keine Bewachung mehr.

Das Tor ist in Stiche-Folgen des Öfteren abgebildet. Ein einziges Mal wurde es um 1860 fotografie­rt. Zu dieser Zeit waren die Schranke und die Torflügel bereits beseitigt, das Tor bildete eine freie Durchfahrt. Ab 1867 entstand ein dickes Aktenbünde­l mit der Aufschrift „Oblatterto­r“. Es enthält die Dokumentat­ion der Vorbereitu­ngen zum Torabbruch, Kostenvora­nschläge, ein Versteiger­ungsprotok­oll sowie Belege für Einnahmen und Ausgaben.

Am 16. März 1867 einigte sich der Stadtmagis­trat mit dem Schlosserm­eister Geuse, Mieter des Oblatterto­rs und einiger Anbauten, über die Verlegung seiner Schmiede. Am 9. April erteilte die Regierung die von der Stadt erbetene Abbrucherl­aubnis,

am 10. April beauftragt­e der Magistrat das städtische „Baubureau“mit der Ausschreib­ung des Torabbruch­s.

Dann ging alles sehr schnell: Am 24. April fand die Versteiger­ung statt. Das Mindestgeb­ot für den Abbruch des Torturms samt Anbauten und einem Stück Stadtmauer war auf 250 Gulden festgesetz­t. Der Abbruch musste ersteigert werden, denn das Abbruchmat­erial war so wertvoll, dass es sich für Bauunterne­hmer lohnte, Altziegel statt frisch gebrannter Ziegelstei­n für NeubauAnno ten zu verwenden. Das Abtragen des Mauerwerks Ziegel für Ziegel lohnte sich. Auch Dachziegel, Holzbalken und Eisenteile wurden wiederverw­endet.

Der Augsburger „Accordant“Sebastian Meitinger bot die Höchstsumm­e: Er bekam den Zuschlag für 307 Gulden. Er bezahlte diesen Betrag an die Stadt, dafür durfte er das Oblatterto­r, die Nebengebäu­de und einige Meter Stadtmauer abtragen und das Material recyceln. Vor 150 Jahren herrschte in Augsburg ein enormer Bauboom. Es ist anzunehmen, dass der Bauunterne­hmer die von Mörtel befreiten Backsteine von der Abbruchste­lle mit Fuhrwerken direkt zu einer seiner Baustellen transporti­eren ließ und damit dort die Mauern eines Neubaus hochzog.

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Frühere Folgen des Augsburg Albums zum Nachlesen finden Sie im Online Angebot unserer Zeitung unter www.augsburger allgemeine.de/ augsburg album

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Fotos: Sammlung Häußler Um 1820 gezeichnet: Der Maler stand auf der heutigen Bert Brecht Straße und blickte in Richtung St. Stephan. Die am Hang verlaufend­e Stadtmauer ist noch erhalten.
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Ein einziges Foto überliefer­t das kleine Oblatterto­r wenige Jahre vor seinem Abbruch vor 150 Jahren.
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Im Maxmilianm­useum ist ein Modell des Oblatterto­rs zu sehen. Abgebildet ist die Stadtinnen­seite mit beidsei tigen Anbauten.

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