Augsburger Allgemeine (Land West)
Das verschwundene Oblattertor
Der Standort war in der Nähe der Kahnfahrt. Warum das Bauwerk vor rund 150 Jahren Ziegel für Ziegel abgetragen wurde. Aus dem Recycling-Baustoffen entstanden Neubauten
Augsburg Keine Gedenktafel erinnert an das Oblattertor. Der Oblatterwall und die Oblatterwallstraße deuten in der Jakobervorstadt noch auf das Tor hin. Es war eines der unbedeutenden Augsburger Stadttore. Durch die schmale Durchfahrt gelangte man zu einigen Wirtschaften außerhalb der Stadtbefestigung, zu einer Bleiche und zu einer Papierfabrik. Als Stadtzugang hatte das Tor keinerlei überregionale Bedeutung. Das Vogeltor und das Jakobertor waren die Hauptzufahrten zur Jakobervorstadt.
1867 wurde das Oblattertor abgetragen. Sein einstiger Standort ist
150 Jahre nach seinem Abbruch noch gut zu verorten: Wo es stand, endet der am Vogeltor beginnende Straßenzug Oberer, Mittlerer, Unterer Graben und geht in die Müllerstraße über. Am einstigen Standort des Oblattertors zweigt die BertBrecht-Straße ab. Sie führt an der Augsburger Kahnfahrt entlang.
Das Oblattertor war mit der Stadtmauer verbunden, die nördlich der Schwedenstiege noch immer den steilen Hang hinauf verläuft. In einem Mauerbogen ist seit
1952 ein venezianischer Wandbrunnen platziert. Von der einst ans Tor anschließenden Stadtmauer in Richtung Kahnfahrt fehlt ein Abschnitt. Zwischen der Franziskanerbrücke und dem Oblatterwall steht die historische Wehrmauer teilweise in voller Höhe. Sogar der vor 530 Jahren angebaute Wehrgang ist dort noch erhalten. Das Alter konnte durch die im Putz eingeritzte Jahreszahl „1488“und durch die Altersbestimmung des Holzes nachgewiesen werden.
Das erste Oblattertor wurde bereits 1449 erbaut. Der Name geht auf den ersten Turmbewohner zurück: Ulrich Oblatter. Er bewohnte von 1452 bis 1496 den kleinen Torbau. Vermutlich war er Pulvermacher, denn hier lag der reichsstädtische „Pulvergarten“mit Pulvermühle. Der Stadtplan von 1521 zeigt eine Miniaturabbildung des Oblattertors. Es war ein dekorativer Bau mit vier auf die Ecken gesetzten Türmchen. Anno 1544 wird das Oblattertor als „ganz übel versehen und befestigt“bezeichnet. Es taugte ganz offenbar in diesem Zustand nicht zur Stadtverteidigung. Deshalb wurde davor der Graben verbreitert und eine aufziehbare Brücke gebaut.
1681 ist die Bewaffnung für den Verteidigungsfall aufgelistet: sechs Doppelhaken-Büchsen aus Messing, 100 bleierne Kugeln, 20 Pfund Pulver, ein kleines Geschütz und zwölf einpfündige Eisenkugeln. Sechs Kurzgewehre hingen für die Mannschaft in der Wachstube oder außen an der Wand. Damals war das Tor nachts grundsätzlich verschlossen und unpassierbar. Die strengen Torschließordnungen wurden erst ab 1830 schrittweise außer Kraft gesetzt. Um diese Zeit gab es keine Bewachung mehr.
Das Tor ist in Stiche-Folgen des Öfteren abgebildet. Ein einziges Mal wurde es um 1860 fotografiert. Zu dieser Zeit waren die Schranke und die Torflügel bereits beseitigt, das Tor bildete eine freie Durchfahrt. Ab 1867 entstand ein dickes Aktenbündel mit der Aufschrift „Oblattertor“. Es enthält die Dokumentation der Vorbereitungen zum Torabbruch, Kostenvoranschläge, ein Versteigerungsprotokoll sowie Belege für Einnahmen und Ausgaben.
Am 16. März 1867 einigte sich der Stadtmagistrat mit dem Schlossermeister Geuse, Mieter des Oblattertors und einiger Anbauten, über die Verlegung seiner Schmiede. Am 9. April erteilte die Regierung die von der Stadt erbetene Abbrucherlaubnis,
am 10. April beauftragte der Magistrat das städtische „Baubureau“mit der Ausschreibung des Torabbruchs.
Dann ging alles sehr schnell: Am 24. April fand die Versteigerung statt. Das Mindestgebot für den Abbruch des Torturms samt Anbauten und einem Stück Stadtmauer war auf 250 Gulden festgesetzt. Der Abbruch musste ersteigert werden, denn das Abbruchmaterial war so wertvoll, dass es sich für Bauunternehmer lohnte, Altziegel statt frisch gebrannter Ziegelstein für NeubauAnno ten zu verwenden. Das Abtragen des Mauerwerks Ziegel für Ziegel lohnte sich. Auch Dachziegel, Holzbalken und Eisenteile wurden wiederverwendet.
Der Augsburger „Accordant“Sebastian Meitinger bot die Höchstsumme: Er bekam den Zuschlag für 307 Gulden. Er bezahlte diesen Betrag an die Stadt, dafür durfte er das Oblattertor, die Nebengebäude und einige Meter Stadtmauer abtragen und das Material recyceln. Vor 150 Jahren herrschte in Augsburg ein enormer Bauboom. Es ist anzunehmen, dass der Bauunternehmer die von Mörtel befreiten Backsteine von der Abbruchstelle mit Fuhrwerken direkt zu einer seiner Baustellen transportieren ließ und damit dort die Mauern eines Neubaus hochzog.
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