Augsburger Allgemeine (Land West)
Kinder im Internet nicht alleine lassen
Mädchen und Jungs besitzen häufig schon in der Grundschule ein eigenes Handy und gehen damit online. Erwachsene sollten sie dabei beaufsichtigen, rät ein Experte. Wie Eltern ihre Kinder im Netz schützen können
Landkreis Augsburg Mit nur einem „Pling“war der Kettenbrief auf dem Smartphone des zehnjährigen Mädchens. Darin stand: Wenn du diesen Brief nicht weiterleitest, dann liegt deine Mama morgen tot im Bett. Drei Nächte konnte das Mädchen nicht schlafen, weil es solche Angst hatte, dass die Mutter tatsächlich über Nacht stirbt.
Kriminalhauptkommissar Klaus Kratzer kann unzählige solcher Geschichten erzählen. Er arbeitet in Augsburg bei der polizeilichen Beratungsstelle. Das ganze Jahr fährt er durch den Landkreis und hält an den Grund- und weiterführenden Schulen Vorträge für Kinder, Eltern und Lehrer. Das Thema: Sicherheit im Internet. „Diese Kettenbriefe sind Müll, das wissen wir Erwachsenen. Aber Kinder stehen mit solchen Nachrichten oft alleine da.“
Bei seinen Vorträgen stellt der Kriminalhauptkommissar immer wieder fest: Viele Eltern verwechseln das Handy mit einem Spielzeug. „Das ist ein Irrtum. Mit dem Smartphone sind die Kinder alleine in der Welt der Erwachsenen unterwegs.“
Rund 80 Prozent der 12- bis 19Jährigen gehen heutzutage über ein Smartphone oder Tablet online. Für Klaus Kratzer ist es wichtig, dass die Eltern ihre Kinder von Anfang an im Umgang damit begleiten. „Die Erwachsenen kaufen den Kindern häufig so ein Gerät und sagen: Das wird schon gut gehen.“Dabei müss- ten sie sich schon vor dem Kauf informieren. Nicht nur, was es kostet. Sondern auch, mit welchen Möglichkeiten sie ihre Kinder schützen können.
Ist das Smartphone gekauft, empfiehlt der Kriminalhauptkommissar: „Nicht gleich eine Internet-Flatrate aufs Handy buchen. Das Kind soll erst mal nur zu Hause übers WLAN surfen.“Auch ein Stundenkontingent hält Kratzer für sinnvoll. In der Woche bekommen die Jugendlichen einen Betrag an Stunden, in denen sie chatten und surfen dürfen. „Denn die Geräte haben ein wahnsinniges Suchtpotenzial.“
Auch Kindersuchmaschinen wie „fragfinn.de“findet Kratzer gut. Denn darüber gelangen Jugendliche nicht auf pornografische, gewaltverherrlichende und rechtsextreme Internetseiten. Spam-Filter und Werbeblocker zu installieren sei ebenfalls sinnvoll, um Mädchen und Jungen vor verstörenden Inhalten zu schützen. Spezielle Software auf Router und WLAN können zusätzlich gewisse Webseiten sperren (siehe Infokasten).
Wie wichtig es ist, sich zu informieren, verdeutlicht Klaus Kratzer an dem Beispiel einer App. Sie heißt „musical.ly“. Dort können Kinder Popstar spielen, Play-back singen und tanzen. Von ihren kleinen Auftritten posten sie ein kurzes Video, das sich jeder App-Nutzer ansehen kann. Das sei eigentlich eine ganz nette Sache, aber man müsse genauer hinschauen, warnt Kratzer. „Denn gerade junge Mädchen richten sich zum Teil her wie Prostituierte. Das ist eine Spielwiese für Pädophile.“Wenn die Eltern nicht aufpassen und bestimmte Einstellungen ausschalten, werden die Videos zusammen mit den Handynummern der Kinder veröffentlicht. Unbekannte könnten sie dann leicht über WhatsApp kontaktieren und sich im schlimmsten Fall an sie heranmachen.
Apropos WhatsApp: Das Mindestalter für die Nachrichten-Apps liegt bei 16 Jahren, doch die Hälfte aller Sechs- bis 13-Jährigen in Deutschland sind dort schon Mitglied. Eltern können dann unter Umständen für die Nachrichten ih-
rer minderjährigen Kinder sogar haften. Deshalb sollten die Eltern ab und zu auch das Handy ihrer Kinder kontrollieren, sagt Kratzer. Sie sollten wissen: Mit wem chattet mein Kind, auf welchen Webseiten ist es unterwegs, welche Apps sind installiert, welche Bilder hat es auf Instagram eingestellt. „Ich verstehe nicht, warum Eltern denken, sie hintergehen ihre Söhne und Töchter. Das ist
schließlich nur zum Wohle des Kindes.“
Bekommen Eltern und Lehrer mit, dass etwas schiefläuft, dann sollten sie auf keinen Fall schimpfen und das Handy wegnehmen, rät der Experte. „Ein Smartphone ist der Herzenswunsch der Kinder. Sie haben Angst, es wird ihnen abgenommen, wenn sie Mist bauen.“Die Kinder würden sich deshalb oft
nicht trauen, mit ihren Problemen zu den Erwachsenen zu gehen. Wenn sie verstörende Nachrichten bekommen oder genötigt werden, stehen die Minderjährigen dann alleine da. „Deshalb muss die Botschaft sein: Du darfst immer zu mir kommen, wenn du Mist gebaut hast. Ich reiße dir nicht den Kopf ab.“
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