Augsburger Allgemeine (Land West)
Jobcenter soll Geld für Wohnung nachzahlen
Zwei Kläger aus dem Kreis Günzburg haben einen Rechtsstreit mit dem Landratsamt in zweiter Instanz gewonnen. Die Behörde will das nicht akzeptieren. Hat das Urteil Bestand, könnte es Bedeutung für eine Reihe von Hartz-IV-Empfängern haben
Landkreis Günzburg Bei Kritik am Jobcenter des Landkreises Günzburg geht es häufig darum, dass die zuerkannte Mietzahlung nicht reiche, um überhaupt eine adäquate Wohnung zu finden. Der JobcenterLeiter und auch Landrat Hubert Hafner hatten jedoch immer betont, dass die Zahlungen genügten, da ein unabhängiges Büro extra ein Konzept dafür erstellt habe. Dieses orientiere sich am Wohnungsmarkt und sei fundiert. Der Mieterverein und andere Organisationen hingegen bezeichneten das Konzept als schöngerechnet, zu den angesetzten Preisen gebe es einfach nichts. Den Rat des Mietervereins, sie notfalls vom Sozialgericht überprüfen zu lassen, haben eine Frau und ihr Sohn nun mit Erfolg in die Tat umgesetzt.
Die Klägerin ist 1955 geboren, ihr Sohn ist 27 Jahre alt. Sie erhalten als Bedarfsgemeinschaft die Grundsicherung und leben in einer 90 Quadratmeter großen Vier-ZimmerWohnung, sie kostet 525,50 Euro warm. Am 26. August 2014 wurden sie auf die Mietobergrenze von 334,75 Euro plus Heizungskosten hingewiesen. Zum 1. März 2015 sollten die Kosten begrenzt werden. Für die Zeit vom 1. April bis 30. September des Jahres wurden pro Monat 328,30 Euro bewilligt.
Mit einigen Widersprüchen und einem Gerichtsentscheid zugunsten des Landkreises gab es daraufhin ein Hin und Her, bis das Landessozialgericht in der nächsten Instanz am 19. April dieses Jahres schließlich feststellte: Das Jobcenter muss den Klägern für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2015 doch für Unterkunft und Heizung 331 Euro und einen Cent mehr zahlen. Die Revision hat das Gericht dabei nicht zugelassen.
Der Rechtsanwalt von Mutter und Sohn, Wolfgang Schubaur aus Burgau, sagt dazu, dass der Landkreis höchstens eine Nichtzulassungsklage beim Bundessozialgericht einlegen könnte. Das sei aber nicht realistisch, weil sie voraussetzen würde, dass bestimmte Fragen zu diesem Thema noch nicht geklärt seien. Doch es sei „ausreichend besprochen“. Das Landessozialgericht entschied jetzt zugunsten der Kläger, weil ihm die Datengrundlage des Mietkonzepts des Landkreises zu gering war, wie aus dem Urteil hervorgeht, das auch unserer Zei- tung vorliegt. Es seien zu geringe Vergleichsmieten herangezogen worden, wobei sich auch die Frage stelle, ob es überhaupt genug vergleichbaren Wohnraum im Landkreis gebe. Das Gericht fand dies nicht plausibel geklärt. Man hätte eine Wohngeldtabelle für das Bundesgebiet als Richtschnur nehmen müssen. Schubaur sagt, er habe zu diesem Thema einige ruhende Verfahren, die er jetzt wieder aufnehmen werde. Rückwirkend für zwei Jahre könnte eine Überprüfung der Mietsätze beantragt werden, darauf gebe es auch einen rechtlichen Anspruch. Deshalb könnten auf den Landkreis erhebliche Nachzahlun- gen zukommen, wenn alle Betroffenen davon Gebrauch machen. Schubaur schätzt die Zahl der Widersprüche auf 300 im Jahr.
Seiner Erfahrung nach hätten die Probleme erst begonnen, als das Jobcenter dieses Konzept nutzte. Die Unterkunftskosten hätten einfach nicht gereicht, viele Hartz-IVEmpfänger hätten von ihrem sonstigen zuerkannten Geld einen Teil für die Miete obendrauf zahlen müssen. „Wenn es die Tafeln nicht gäbe, würde es dramatisch aussehen“, sagt der Anwalt. Weil das Landratsamt schließlich auch erkannt habe, dass Korrekturen notwendig sind, habe es ein anderes Büro für dieses Jahr mit einer Überarbeitung beauftragt. Er selbst habe wohl aus diesem Grund keine neuen, sondern nur alte Fälle auf dem Tisch, das neue Konzept passe. Jetzt kämen die Hartz-IV-Empfänger wohl mit der zugestandenen Miete zurecht. Problematisch sei nichtsdestotrotz, dass den Leuten in den Vorjahren Geld gefehlt habe. Der Wohnungsmarkt sei nun einmal sehr angespannt, und das erst recht, seit auch die anerkannten Flüchtlinge eine Bleibe brauchen. Über Jahre habe sich der Staat eben leider nicht um das große Problem gekümmert.
Entgegen der Erwartung von Schubaur will der Landkreis eine Nichtzulassungsbeschwerde einreichen. Wie Geschäftsbereichsleiter Christoph Glöckler auf Anfrage sagt, sehe die Behörde das Urteil kritisch. Deshalb „werden wir weitermachen“. In der ersten gerichtlichen Instanz habe das Mietpreiskonzept schließlich Bestand gehabt, deshalb solle das Bundessozialgericht das nun prüfen. Es gehe hier auch um grundsätzliche Dinge wie die Struktur des Konzeptes, über die noch nicht abschließend juristisch entschieden worden sei. Ohnehin gebe es für die Jobcenter eine Wahlfreiheit bei der Methode, die sie dabei anwenden. Das alte Konzept habe sich auf Bestandsmieten bezogen, und nur zur Prüfung der Plausibilität wurden aktuelle Angebotsmieten herangezogen. Im neuen Papier geht es ausschließlich um aktuelle Angebotsmieten.
Glöckler sagt, dass es noch 13 offene Verfahren gebe. Sollte das Urteil Bestand haben, müsse noch genau geprüft werden, wie viel Geld tatsächlich zurückgezahlt werden müsse.
Eine Sprecherin des Landessozi- algerichts betont auf Nachfrage, dass sich das Urteil nur mit dem Einzelfall befasse. Jedenfalls habe die Festlegung des Jobcenters nicht auf einem schlüssigen Konzept beruht, die herangezogenen Daten seien nicht repräsentativ und nicht aktuell gewesen, und eine realitätsnahe Darstellung des Mietmarkts im Landkreis sei nicht sichergestellt gewesen. Weil eine Nachbesserung des Konzepts im Klageverfahren ausgeschlossen war, seien höhere Leistungen, die sich auf Werte des Wohngeldgesetzes beziehen, zugesprochen worden.