Augsburger Allgemeine (Land West)
Jäger der vergessenen Geschichten
Legenden, Anekdoten und Tatsachen: In Welden kommen sie beim Projekt „Kulturspuren“zusammen. Aber das soll erst der Anfang sein
Welden Da wäre noch die Sache mit der Gold-Armbanduhr des Vaters sowie dem silbernen Patenbesteck, das der neunjährige Lausbub Ludwig einst stibitzt und im nahen Schwarzbrunner Wald vergraben haben soll. Zu sehr hatten ihn wohl die spannenden Schatzsucher-Geschichten der Haushälterin beeindruckt. Der Bestohlene selbst soll jedoch eher großzügig reagiert haben. Kein Wunder, bekleidete doch August Ritter von Ganghofer – Vater des späteren Erfolgsschriftstellers mit Millionenauflagen – das Amt eines königlichen Revierförsters der waldreichen Gegend.
Genügend Stoff also für den „Jäger nach Kulturspuren“, wie sich Projektleiter Markus Hilpert beim Auftakt einer sechsteiligen Veranstaltungsreihe selbst bezeichnete und seine Freude über mehr als zwei Dutzend Gäste ausdrückte.
Das vom Landkreis getragene und staatlich geförderte Vorhaben „Kulturspuren“soll alten Begebenheiten aus der Region buchstäblich auf den Grund gehen. Nach Spuren aus allen Bereichen der 7000-jährigen Besiedelung des Landkreises werde geforscht und „gegraben“, ob dies das Leben und Arbeiten der Menschen, die Landwirtschaft, den Verkehr, das Gewerbe oder die karge Freizeit früherer Zeiten angehe. Das machte Diplom-Geograf Hilpert bereits zu Beginn des ungewöhnlichen Ortstermins deutlich.
Wohl nicht zufällig fand die Begegnung im Ganghofer-Saal beim Landgasthof Zum Hirsch, einem durch und durch historisch beladenen Haus in einem geschichtsträchtigen Umfeld, statt. So musste sich bei dem engagierten Forscher ein Gefühl wie an Weihnachten eingestellt haben, als ihm Zweiter Bürgermeister Gerhard Groß in Vertretung von Peter Bergmeir gleich zu Beginn das Heimatbuch der Holzwinkelgemeinde lächelnd in die Hand drückte. „Genau so etwas können wir bestens gebrauchen“, lautete der freudige Ausruf Hilperts über das mit zahllosen Daten aus den vergangenen Jahrhunderten gespickte 300-Seiten-Werk.
Die nächste „Bescherung“für das Team von der Universität von Augsburg und Kreisheimatpflegerin Gisela Mahnkopf erfolgte postwendend. Wie vom Veranstalter ausdrücklich gewünscht, kamen mit den Mitgliedern des örtlichen Heimatvereins, Ernst Saule, Karl Höck und Rudolf Zitzelsberger Jakobs rund 200 Jahre geballter Lebenserfahrung nebst historischem Knowhow zusammen.
An einem der Tische hatte sich Uni-Kollege Jochen Bohn mit Kugelschreiber und großer Umgebungs-Landkarte zum Eintragen von interessanten Stellen bereitgehalten. Dabei kam der Kartograf gleich mächtig ins Schwitzen ob der zahlreichen Hinweise der alten, heimatgeschichtlich sehr bewanderten Herren.
Zwar gilt die Kommune Welden mit ihrem berühmten Sohn aus dem 19. Jahrhundert angesichts zahlreicher Pfade und Touren als gut erschlossen und üppig ausgeschildert. Doch konnten die Hobbyhistoriker viele bemerkenswerte und für das Projekt wichtige „weiße Flecken“auf den amtlichen Karten ausmachen. Sie sollen im Herbst dann ausgiebig unter die Lupe genommen werden. „Der späte Zeitpunkt hat damit zu tun, dass wir ohne die jetzige üppige Vegetation dann besser durchkommen“, erklärte Wissenschaftler Bohn.
So wurden auf den Karten zahlreiche Punkte markiert, denen aus Sicht der Besucher aus den Holzwinkelgemeinden sowie Altenmünster und Horgau nachgegangen werden sollte. Im Fall von Welden waren dies etwa die verschwundene Holzmühle an der Laugna, ehemalige Ton- und Kiesgruben oder Überreste vom Galgenberg, über den noch Geschichten kursieren, an die sich Ernst Saule gut erinnern kann.
Mit seinen zahlreichen Kenntnissen hielt auch der gebürtige Bonstetter und Ortschronist Georg Knöpfle keineswegs hinterm Berg. An der fröhlichen Spurenjagd im Wirtshaus beteiligten sich ebenso Adelsrieds Bürgermeisterin Erna Stegherr-Haußmann und Anni Hartmann von den Freunden des Zusamtals. Denn „jeder Beitrag ist wichtig, auch wenn er auf den ersten Blick noch so klein und unbedeutend sein mag“, betont Experte Markus Hilpert. Und: Die Erfah- rung ähnlicher Untersuchungen lehre, dass rund die Hälfte der später offiziell eingetragenen „Spurenelemente“aus dem früheren Leben in der Region von den Teilnehmern solcher Begegnungen kommen. Welden war für den Mann vom Lehrstuhl für Humangeografie erst der verheißungsvolle Anfang dieser Geschichte.